Anzeige

Demenz Im Hier und Jetzt

Jede Woche treffen sich die beiden Schülerinnen Lily und Eylül mit älteren Menschen, die an Demenz erkrankt sind.
© Michael Koch/GEOlino
Spielen, reden, einfach da sein: Jede Woche treffen sich die beiden Schülerinnen Lily und Eylül mit älteren Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Die Begegnung tut nicht nur den Seniorinnen und Senioren gut …

Frau Zöller würfelt und lässt die Spielsteine über das „Mensch ärgere dich nicht“-Brett wandern. Das Spiel kennt die 87-Jährige seit ihrer Kindheit, die Regeln sind ihr vertraut. Dinge, die sie noch nicht so lange in ihrem Gedächtnis gespeichert hat, vergisst sie hingegen öfter mal … 

Mit ihr am Tisch sitzen Lily und Eylül, 13 und 14 Jahre alt. Die Mädchen sind nicht etwa die Urenkelinnen der alten Dame – für sie ist der Besuch gewissermaßen Schulunterricht: Die beiden dürfen jede Woche eine Doppelstunde frei gestalten. Andere aus ihrer Klasse gehen klettern oder kochen – Lily und Eylül besuchen eine Gruppe demenzkranker Seniorinnen und Senioren.

Stichwort: Demenz

  • Demenz bedeutet wörtlich übersetzt „ohne Geist“, denn bei dieser Krankheit verliert das Gehirn seine Leistungsfähigkeit. Oft ist erst das Kurzzeitgedächtnis betroffen. Dann verschwinden auch Erinnerungen und Fähigkeiten, die sich Betroffene vor Langem eingeprägt haben.
  • In Deutschland leben rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenz – und es werden immer mehr. Der Grund: Wir werden immer älter, und damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dement zu werden.
  • Die bekannteste Form von Demenz ist Alzheimer. Sie betrifft weltweit zwei Drittel aller Demenzkranken.
  • Demente Menschen sind nicht nur vergesslich, sondern oft auch unruhig, aggressiv oder verängstigt. Diese Symptome sind für die Betroffenen und für Angehörige sehr belastend.
Lily ist am Zug: Die Mädchen nutzen das Treffen auch für eine Partie »Mensch ärgere dich nicht«. Weil Ursula Zöller das Spiel seit ihrer Kindheit kennt, kann sie sich an die Regeln erinnern
Lily ist am Zug: Die Mädchen nutzen das Treffen auch für eine Partie »Mensch ärgere dich nicht«. Weil Ursula Zöller das Spiel seit ihrer Kindheit kennt, kann sie sich an die Regeln erinnern
© Michael Koch/GEOlino

 
Das heißt: Bei den Menschen, auf die sie hier treffen, arbeitet das Gehirn nicht mehr so zuverlässig wie früher. Sie vergessen oft ganz alltägliche Dinge, finden sich in ihrer eigenen Wohnung nicht mehr zurecht und werden aufbrausend oder traurig, ohne zu wissen, warum. Manche stellen sich alle fünf Minuten vor und begrüßen die Mädchen, als ob sie sich zum allerersten Mal treffen.

Organisiert werden die Besuche vom Malteser Hilfsdienst, Treffpunkt sind die Räume eines Veranstaltungszentrums in Mainz. Heute nehmen sechs Seniorinnen und Senioren teil. „Die haben sich so gefreut, dass wir gekommen sind. Das fand ich voll süß irgendwie“, sagt Lily. Für die älteren Menschen, die zum Teil in Alten- oder Pflegeheimen leben, ist das Treffen eine willkommene Abwechslung. Frau Zöller mustert als erstes Lilys Hose mit einem großen ausgefransten Loch über dem Knie. Die 87-Jährige schüttelt den Kopf: „Das ist aber keine gute Qualität.“ Lily lacht, und Eylül erklärt: „Das ist Mode, Frau Zöller.“

Nach der Begrüßung setzen sich alle in einen Stuhlkreis. Die Mädchen lesen einen Text vor, und immer, wenn darin das Wort „gelb“ vorkommt, sollen die Seniorinnen und Senioren ein Tuch in dieser Farbe hochhalten. Frau Zöller reagiert meistens als Letzte. Sie schmunzelt, zögert, wirkt ein bisschen unsicher. Die Mädchen ermuntern sie mit ihren Blicken.

Die Mädchen lesen vor, die Älteren hören zu. Eylül verbringt gern Zeit mit der Gruppe. Ihre eigenen Großeltern leben in der Türkei
Die Mädchen lesen vor, die Älteren hören zu. Eylül verbringt gern Zeit mit der Gruppe. Ihre eigenen Großeltern leben in der Türkei
© Michael Koch/GEOlino

Nach dem Spiel gibt es Zeit für Gespräche – in denen Jung und Alt voneinander lernen. Lily erzählt: „Wir haben mal über ältere Wörter gesprochen, die wir nicht kannten, und die Älteren haben sie uns erklärt. Dafür haben sie uns dann gefragt, was Influencer sind.“ Frau Zöller erzählt gern von Dingen, an die sie sich von früher erinnert. „So jung wie ihr müsste man wieder sein!“, sagt sie.

Warum haben die Mädchen entschieden, ihre Zeit hier zu verbringen? „Weil ich selbst solche Erfahrungen mit meinem Opa gemacht habe, er hat auch Demenz“, sagt Lily. Für Eylül sind die alten Menschen hier ein bisschen Ersatz-Großeltern, weil ihre eigenen in der Türkei leben. „Deswegen verbringe ich gern Zeit hier“, sagt sie.

Anderthalb Stunden lang sprechen und spielen sie miteinander – zum Schluss die Partie ��Mensch ärgere dich nicht“. Manchmal setzt Frau Zöller aus Versehen die Spielsteine der Mädchen, die drei lachen zusammen. Dann nimmt die 87-Jährige auf einmal die Hand von Eylül, kurz darauf die von Lily. Auch wenn sie sich später vielleicht nicht mehr daran erinnert – die beiden Mädchen werden noch lange an diesen Moment zurückdenken.

Das könnt ihr tun:

  • Weckt Erinnerungen! Oft erinnern sich Demenzkranke noch an Gedichte, Spiele oder Lieder aus der Kindheit: „Hänschen klein“ oder „Der Kuckuck und der Esel“ – probiert es mal aus! Zeigt Zuneigung! Auch wenn richtige Gespräche kaum möglich sind, nehmen Demenzkranke Aufmerksamkeit wahr: ein Lächeln, ein Lob, eine Berührung.
  • Gebt nach! Versucht, demente Menschen nicht ständig zu korrigieren. Für Betroffene ist es unangenehm, mit dem eigenen Ver-sagen konfrontiert zu werden.
  • Nehmt es nicht persönlich! Wenn demente Menschen euch ungerecht behandeln, habt Verständnis für sie und ihre Krankheit. Zeigt Geduld und nehmt sie ernst. Dann könnt ihr schöne Momente zusammen erleben.

Diese Geschichte erschien in der GEOlino-Ausgabe 01/2024

Die „Woche der Vielfalt“ zum Thema „Generationen“

Demenz: Im Hier und Jetzt

Im Rahmen der „Woche der Vielfalt“ stellt RTL Deutschland vom 6. Bis 12. Mai 2024 das Thema Generationen in den Mittelpunkt, um damit Brücken zwischen verschiedenen Altersgruppen schlagen. Die Themenwoche ist Teil der Initiative „Vielfalt verbindet“ von RTL Deutschland, die Sichtbarkeit für Vielfalt schaffen möchte, da sie elementar für eine offene Gesellschaft ist.

Neu in GEOlino

VG-Wort Pixel