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Sechs oder acht Stunden? Soziale Faktoren beeinflussen die Länge unseres Schlafs

Frau schläft im Bett
Wie lange jemand schlummert, hat nicht nur genetische Gründe, sondern auch mit dem gesellschaftlichen Umfeld zu tun
© Adobe Stock
Manche sind schon nach fünf Stunden Schlaf erholt, andere benötigen die doppelte Zeit, um ausgeruht in den Tag zu starten. Forschende vermuten schon seit Längerem, dass bestimmte Gene für unser individuelles Schlafbedürfnis verantwortlich sind. Nun offenbart eine Studie: Auch die Gesellschaft, in der Menschen leben, bestimmt über die Dauer des Schlafs

Auf Schlaf kann niemand verzichten: Wer dauerhaft weniger als vier bis fünf Stunden pro Nacht ruht, entwickelt mit höherer Wahrscheinlichkeit Herz-Kreislauf-Krankheiten, Übergewicht oder Diabetes. Permanenter Schlafmangel schädigt zudem das Immunsystem und fördert auf diese Weise die Anfälligkeit für Infektionen. Auch lassen die geistigen Kräfte erheblich nach, Betroffene werden unkonzentriert, irrational, vergesslich. Das Fehlen der nächtlichen Auszeit ist derart quälend, dass Schlafentzug sogar als Foltermethode eingesetzt wird – und im Extremfall tödlich endet.

Frauen schlafen länger als Männer

Angesichts der essenziellen Rolle, die Schlaf für unser Überleben spielt, könnte man erwarten, dass alle Menschen gleichermaßen darauf angewiesen sind. Doch das ist bekanntlich nicht der Fall: Einige kommen mit fünfeinhalb bis sieben Stunden Schlaf aus, während andere etwa zehn Stunden im Bett verbringen. Frauen nächtigen im Durchschnitt eine halbe Stunde länger als Männer, doch dieser Unterschied verringert sich nach den Wechseljahren.

Die längste Schlafdauer haben Neugeborene, die etwa 16 Stunden am Tag schlummern, wobei rund die Hälfte dieser Zeit auf den REM-Schlaf entfällt, der wahrscheinlich eine wichtige Rolle bei der Gehirnentwicklung spielt. Der REM-Schlafanteil sinkt bis zum 14. Lebensjahr auf etwa 20 Prozent und bleibt dann lange Zeit konstant.

Möglicherweise ruhen Kurzschläfer effizienter

Mit zunehmendem Alter nimmt die Länge des Tiefschlafs ab, und bei den meisten Menschen ist er nach dem 50. Lebensjahr auf ein Minimum reduziert. Senioren schlafen daher weniger fest und wachen nachts häufiger auf. Es wird vermutet, dass der Rückgang geistiger Fähigkeiten bei manchen älteren Menschen mit dem Verlust von Teilen des Tiefschlafs zusammenhängen könnte.

Bislang ist aber noch nicht vollends geklärt, weshalb wir Menschen über diese Unterschiede hinaus verschieden lange schlummern. Manche Experten vermuten, dass sich die Kurzschläfer möglicherweise einfach nur effizienter ausruhen. Der Grund dafür könnte eine bestimmte Genvariante sein, die Forscher vor einigen Jahren bei extremen Kurzschläfern entdeckt haben. Dieses Gen scheint die Erholungsvorgänge im Schlaf zu beschleunigen.

Schlaftypen haben womöglich evolutionäre Wurzeln

Andere Erbgutvarianten wiederum verlängern die Ruhezeit. Offenbar gibt es eine genetisch bedingte Streuung des Schlafbedürfnisses, die möglicherweise im Laufe der Evolution entstanden ist. Es ließe sich etwa mutmaßen, dass ausgesprochene Langschläfer weniger Nahrung verbrauchten, weil sie am Tage nicht so lange aktiv waren. Kurzschläfer wiederum konnten in strapaziösen Zeiten womöglich am besten mit Schlafmangel zurechtkommen.

Wie bei anderen physischen Merkmalen und Verhaltensweisen gibt es also auch bei der Schlafdauer eine Vielfalt von Individuum zu Individuum. Doch damit nicht genug: Forschungen zeigen, dass die durchschnittliche Schlafdauer auch von Weltregion zu Weltregion erheblich variiert – und damit stark von der Kultur eines jeweiligen Landes beeinflusst scheint. Diesen Zusammenhang untermauert eine jüngst in Nature veröffentlichte Studie von Forschenden des Korea Advanced Institute of Science and Technology (KAIST) und der Nokia Bell Labs im Vereinigten Königreich.

Schlafdauer: Menschen in verschiedenen Ländern schlafen unterschiedlich lang

Das Team wertete Schlafprotokolle von 30.082 Personen in 11 Industrienationen aus, die mithilfe handelsüblicher Smartwatches über einen Zeitraum von vier Jahren gesammelt wurden. Während die Aufwachzeit im länderweiten Mittel bei 7:42 Uhr lag und auffällig wenig variierte, fanden die Wissenschaftlerinnen größere Bandbreiten bei der Schlaflänge. Daraus folgt: In manchen Nationen beginnen Menschen ihre Nachtruhe früher als in anderen. Schon deutlich vor Mitternacht liegen etwa Durchschnitts-Norweger im Bett und schlummern unter den untersuchten Nationen mit acht Stunden am längsten. Menschen aus Japan, die mit durchschnittlich sechs Stunden und 51 Minuten den kürzesten Schlaf haben, kommen dagegen im Mittel erst rund 70 Minuten später als die Skandinavier zur Ruhe. Deutsche, Österreicher und Schweizer liegen im Mittelfeld.

Die Autorinnen und Autoren der Studie konnten zeigen, dass die länderspezifischen Unterschiedene zu über 60 Prozent auf kulturelle Faktoren zurückzuführen sind. Eine Vermutung ist, dass in Nationen mit besonders hohen Einkommen die Arbeitszeiten länger sind, was die Zubettgehzeit nach hinten verschieben könnte. Ein anderer Faktor könnte der Grad an Technisierung im Alltag sein. Denn insbesondere in Ländern wie Japan oder Südkorea, in denen Menschen besonders viel Zeit vor Bildschirmen verbringen und auch spät am Abend noch überdurchschnittlich oft digitale Dienste nutzen, sind die Schlafzeiten am kürzesten.

Menschen schätzen ihre Schlaflänge häufig falsch ein

Interessant ist zudem, dass die automatisch erhobenen Daten teils erheblich von jenen Angaben abweichen, die vorherige Studien durch Fragebögen ermittelt haben. Selbsteinschätzung und tatsächliche Schlafzeit liegen also oft auseinander. In allen Nationen ein ähnliches Bild: Stets gaben Probanden an, früher zu Bett zu gehen als es die Geräte durch Messung aufzeichneten. Auch hier fällt Japan mit der größten Diskrepanz auf.

Der Gedanke, in der Nacht Zeit zu sparen, liegt in Gesellschaften, in denen alles auf größtmögliche Effizienz ausgelegt ist, verhältnismäßig nahe. Doch Schlafforscher empfehlen in der Regel das genaue Gegenteil: ruhig einmal absichtlich länger zu schlummern. Denn die meisten von uns leiden nicht unter zu viel, sondern einem Zuwenig an nächtlicher Ruhezeit.

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