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Universelle Träume Fliegen, fliehen, fallen: Millionen Menschen träumen das Gleiche. So lassen sich die Fantasien deuten

Frau wird von einem Vogel im Traum angehoben
Wenn wir schlafen, driftet unser Geist in eine skurrile Welt ab. Zwar ist jeder Traum so individuell wie unsere Persönlichkeit. Und doch erleben Millionen Menschen weltweit hin und wieder ähnliche Nachtfantasien. Forschende suchen nach einer Erklärung
© Juana Mari Moya / Getty Images
Weltweit berichten Menschen von ähnlichen Träumen: Sie fallen ins Bodenlose, stehen nackt vor Fremden oder werden verfolgt. Was steckt hinter diesen universellen Träumen?

Inhaltsverzeichnis

Wir alle leben in einer eigenen, völlig individuell gefärbten Welt: Niemand von uns erlebt exakt das, was ein anderer Mensch erlebt. Ganz gleich, ob wir wach sind oder schlafen. Denn natürlich sind auch unsere Träume höchst individuelle Erfahrungen, oftmals skurrile Geschichten, die unser Hirn nächtens strickt, erfüllt von Emotionen, Spannung, Freude oder Angst. Und die sich nicht selten aus Anekdoten, Begegnungen, Beziehungen unseres wachen Ichs speisen. 

Was sind universelle Träume?

Dennoch scheinen Millionen Menschen rund um den Globus – zumindest hin und wieder – von ähnlichen Geschehnissen zu träumen: etwa dass sie fliegen, fallen oder fliehen. Dass sie nackt vor Fremden stehen. Oder dass sie einen Test absolvieren müssen, für den sie nicht gelernt haben. 

Expertinnen und Experten sprechen in dem Zusammenhang auch von "universellen Träumen". Fantasien, die sich über Kontinente und Kulturen hinweg in die Schlummerwelten weben. Woher aber rühren diese Geschichten? Warum träumen so viele Menschen das Gleiche? Lassen sich die nächtlichen Erlebnisse deuten?

Eines vorweg: Einigkeit über die Traumdeutung herrscht in Fachkreisen nicht. Manche Forschende meinen, es gebe keinen tiefer liegenden Grund für die Gemeinsamkeiten. Vielmehr sei der milliardenfache Zufall am Werk und produziere nun einmal Schnittmengen im nächtlichen Erleben. Insofern könne man auch keine allgemein gültigen Erklärungen für universelle Träume liefern.

Andere Fachleute dagegen gehen davon aus, dass die vielfach übereinstimmenden Traumgeschichten durchaus auf intensive Gefühle und innere Widerstände zurückgehen, die beinahe jeder und jede von uns in sich trägt. Und die somit ähnliche Bilder im Schlaf hervorrufen. Schließlich zeigen Untersuchungen: Das schlafende Gehirn illustriert häufig jene Empfindungen, die unser Leben prägen, auf plakativ-kreative Weise. Unser Oberstübchen schlüpft in die Rolle eines Regisseurs, der – von unseren Emotionen geleitet – einen surrealen Film erschafft.

Bei dieser schöpferischen Leistung spielt sicherlich auch der gesellschaftliche Kontext eine Rolle, Normen und Bräuche. Was gehört sich – und was nicht? Ein Beispiel: Wo kulturell eine Art Nacktscham herrsche, so mutmaßen Psychologinnen und Schlafforscher, könne sich ein individuelles Gefühl der Unsicherheit im Schlaf darin zeigen, dass sich der oder die Träumende entblößt vor einer Menge wiederfindet. 

Aus zahlreichen Berichten Träumender, aus Beobachtungen und Befragungen haben sich inzwischen einige Erklärungen dafür herauskristallisiert, was hinter den häufigsten universellen Träumen stecken könnte.

Der Fall ins Bodenlose

Unzählige Menschen erleben es zuweilen: Sie stürzen in die Tiefe. Rasen durch den Raum, immer schneller, jedweder Kontrolle beraubt. Bald schon droht der Aufschlag. Panik erfüllt den träumenden Geist. Und oftmals bläht sich die Angst irgendwann übergroß auf, sodass Schlafende – schweißnass – erwachen, bevor sie auf dem Boden aufkommen.

Derartige Träume vom Fallen können nach Ansicht mancher Psychologen darauf basieren, dass Betroffene darunter leiden, etwas in ihrem Leben nicht kontrollieren zu können. Die Folge: Es macht sich Angst breit, dass eine Katastrophe geschieht. Vielleicht geht gerade die Beziehung in die Brüche. Vielleicht droht die Kündigung. Vielleicht aber sind es auch Ängste des Versagens, die sich des Nachts im Fallen widerspiegeln. 

Manche Experten betrachten die Ursache von Fallträumen auch nüchterner: Demnach wird der fantasierte Sturz dadurch hervorgerufen, dass zuweilen der Blutdruck im Schlaf stark abfällt. 

Nackt in der Öffentlichkeit

Es sind nicht selten alltägliche Situationen: der Gang in die Kantine, ein Plausch auf einer Party, planloses Bummeln in der Stadt. Und plötzlich durchzuckt einen der Schock: Ich bin nackt! Mindestens teilweise. Vielleicht trägt der oder die Träumende noch ein Oberteil, aber die Hose fehlt, Schuhe und Strümpfe. Anders als die Menschen, die ansonsten durch die Traumwelt laufen. Was denken sie nur? 

Scham wallt auf, das Gefühl, bloßgestellt zu sein. Nirgends lässt sich der Anblick verbergen, die Augen der anderen: Sie starren.

Solche peinlich durchtränkten Träume treten nach Meinung mancher Psychologen dann auf, wenn man sich besonders verletzlich fühlt. Eine Phase der Vulnerabilität durchlebt.

Möglich, dass der oder die Nacktträumende einen neuen Job angetreten hat – sich noch unsicher fühlt. Von Kolleginnen und Kollegen beobachtet. Möglich auch, dass sich in der anfänglichen Zeit der Verliebtheit die Sorge breitmacht, ob die junge Beziehung wertschätzend genug sein wird. 

Eine ganz andere Interpretation: Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Betroffene insgeheim wünschen, dass ihnen die Mitmenschen mehr Beachtung schenken.

Der Traum vom Fliegen

Man breitet die Arme aus, rudert ein wenig – und schon fliegt man los. Schwebt durch die Luft, höher und höher. Über Menschen und Bäume, Häuser und Landschaften. Frei wie ein Vogel. Ein beglückendes Gefühl! Einer Untersuchung nach sind Menschen, die vom Fliegen träumen, bei wachem Bewusstsein fröhlicher.

Eine Last ist abgefallen, Leichtigkeit erfüllt das Innere. Genau das ist es, wovon viele Fachleute ausgehen, wenn die nächtlichen Fantasien zum Schweben einladen. Jemand hat eine Bürde abschütteln können, eine schwierige Aufgabe bewältigt, ist eine Belastung losgeworden. Und die Erleichterung findet ihren Weg wortwörtlich ins kreative Kopfkino.

Und doch: Manche Menschen träumen, sie würden gern losfliegen und schaffen es nicht. Die Schwerkraft hält sie am Boden, sosehr sie sich mühen. Diese unangenehmen Fast-Flugträume können, davon gehen manche Wissenschaftler aus, auf Konflikte und Probleme hindeuten, die noch immer schwelen und ihrer Lösung harren. Die eben belasten – und damit den Geist noch nicht flugtauglich machen.

Auf der Suche nach der Toilette

Der Drang ist groß, doch nirgendwo ist ein WC zu finden. Oder aber die Toilette ist dreckig, kaputt, steht im Freien und ist einsehbar. Mitunter liegt diesen Träumen das tatsächliche Bedürfnis zugrunde: eine volle Blase. 

Doch das muss nicht zwangsläufig so sein. Toilettenträume können nach Ansicht mancher Psychologen auch daher rühren, dass Betroffene bestimmte Bedürfnisse im wachen Leben vernachlässigen. Dass sie sich womöglich zu stark mit dem beschäftigen, was andere brauchen. Und dabei sich selbst aus dem Blick verlieren.

Und plötzlich: Prüfung!

Die Abschlussarbeiten in der Schule oder im Studium mögen Jahrzehnte zurückliegen. Und doch träumen nicht wenige ab und an davon, unerwartet zur Matheklausur oder zur Geschichtsprüfung gerufen zu werden. Gelernt hat man dafür natürlich nicht. Versucht vielleicht noch, sich auf die Schnelle den Stoff anzueignen. Vergeblich! Und der Raum, in dem der Test stattfindet? Keine Ahnung, wo er ist!

Einige Fachleute vermuten, dass solche Träume aus mangelndem Selbstvertrauen erwachsen. Einem subkutanen Unbehagen, an den wichtigen Weichen im Leben zu scheitern. Eine Herausforderung nicht meistern zu können.

Betroffene würden sich, so die These, im wachen Leben überdurchschnittlich stark unter Druck setzen. Seien getrieben von der Befürchtung, Fehler zu machen.

Schweben

Typische Traummotive - und wie sie zu verstehen sind

02:33 min

Die vergebliche Flucht

In der Ecke hockt das Unheil, Schatten huschen durch den Raum, jemand oder etwas nähert sich. Die einzige Lösung: Flucht! Man hetzt durch Gänge, rennt um Kurven, verliert sich im Wirrwarr dunkler Straßen, nirgends gibt es einen Ausweg.

Das nächtliche Geschehen: ein einziger Albtraum. Es erscheint sinnlos, dass sich der träumende Kopf gleichsam selbst so quält. Und doch mutmaßen manche Forschende, dass dem angstvollen Schrecken ein archaischer Sinn innewohnt: Ein Training, aus der Urzeit kommend. Möglich ist nämlich, dass die nächtlichen Verfolgungsszenarien unsere Ahnen – gefahrlos – darin schulten, Bedrohungen, etwa durch Raubtiere, zu vermeiden.

Eine andere Deutung: Der oder die Träumende hat im wirklichen Leben ein ernstes Problem, vermeidet allerdings die Auseinandersetzung damit. Vielleicht, weil es zu bedrohlich erscheint. Ein Streit mit einem nahestehenden Menschen oder aber auch eine Seite der eigenen Persönlichkeit, die verängstigt und somit nicht akzeptiert wird.

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Angst und Scham, Vermeidung und Erleichterung: Universelle Träume werden möglicherweise von Emotionen hervorgerufen, die viele Menschen teilen. Und doch sollte man sich hüten, eine bestimmte Erklärung für die einzig wahre zu halten. Denn letztlich ist noch zu wenig über das Wesen von Träumen bekannt. Und: Die Psyche eines jeden Menschen ist zu einzigartig, zu vielschichtig, als dass sich pauschal eine Erklärung für die nächtlichen Fantasien finden ließe. Ganz gleich, wie viele Menschen sie hinter ihren geschlossenen Augen auch erleben mögen.

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