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Archäologie 130.000 Jahre alter Bärenknochen offenbart erstaunliche Fähigkeiten der Neandertaler

10,6 Zentimeter misst der geritzte Bärenknochen, der 1953 in der Höhle Dziadowa Skała in Südpolen gefunden wurde
10,6 Zentimeter misst der geritzte Bärenknochen, der 1953 in der Höhle Dziadowa Skała in Südpolen gefunden wurde
© T. Gąsior/Płonka et al. 2024,Journal of Archeological Science
Eine neue Studie zeigt: Ganz bewusst ritzte einst ein Neandertaler in einen Bärenknochen 17 Kerben. Das Fundstück ist damit eines der ältesten Beispiele für eine symbolische Kultur

Neandertaler haben ein mieses Image: Mit ihrer fliehenden Stirn und der gedrungenen Statur gelten sie im Vergleich zum modernen Menschen nicht nur als plump – sondern auch als primitiv. Zu Unrecht. Denn offenbar waren die Höhlenbewohner schon lange vor der Ankunft des anatomisch modernen Menschen zu erstaunlichen kognitiven Leistungen fähig. So verfügten sie über eine Sprache und haben sich möglicherweise auch schon künstlerisch betätigt.

Ein Beispiel für die überraschenden Fähigkeiten der Neandertaler haben nun polnische Forschende unter das Mikroskop genommen.

Das etwas mehr als zehn Zentimeter lange Fragment eines Oberarmknochens eines Bären hatten Archäologen schon in den 50er-Jahren aus der Dziadowa Skała-Höhle in Südpolen geborgen – neben den Überresten Dutzender anderer Tierarten. Das Alter des Knochens: bis zu 130.000 Jahre, also rund 90.000 Jahre vor der Ankunft der modernen Menschen in Europa.

Doch das Aufsehenerregende an dem Knochen waren ungewöhnliche Spuren: 17 quer zur Längsachse angeordnete, jeweils nur wenige Millimeter lange Ritzungen, die bislang nie eingehend untersucht worden waren.

Ein polnisches Forschungsteam ist dem Artefakt nun mit 3D-Mikroskopie und Computertomographie zu Leibe gerückt und hat die Kerben nach Länge, Breite und Tiefe vermessen. Wie sie entstanden sein könnten, rekonstruierte das Team, indem ein Kollege an vergleichbaren Knochen Ritzungen mit verschiedenen Werkzeugen und Gegenständen vornahm. Das Ergebnis stellen sie nun im Journal of Archaeological Science vor.

Die Kerben wurden mit Absicht geritzt. Aber mit welcher?

Demnach sind die Kerben mit großer Wahrscheinlichkeit von einem Rechtshänder gemacht worden – oder einer Rechtshänderin. Darauf weist ihre Form hin, die mit einem leichten Schwung nach unten rechts ausläuft. Das Werkzeug muss eine scharfe Klinge, etwa ein Feuersteinmesser, gewesen sein. Die 17 Kerben wurden außerdem in einem Arbeitsgang angefertigt – absichtlich und mit je einer einzigen Bewegung zum Körper hin. Dass es sich um zufällige Beschädigungen oder um die Fraßspuren von Aasfressern handelt, können die Forschenden damit ausschließen. Ebenso, dass sie einem praktischen Zweck dienten, etwa, um das Fleisch vom Knochen zu lösen.

Bärenhöhle  Dziadowa Skała
In der Höhle Dziadowa Skała fanden Archäolog*innen die Überreste zahlreicher Tiere. Und die 130.000 Jahre alte, kryptische Botschaft eines Neandertalers
© Jerzy Opiela / Wikimedia

Doch mit welcher Absicht die Ritzungen wirklich gemacht wurden, wird wohl ein Rätsel bleiben. Ob es sich um eine Zahl oder eine Botschaft handelt? Steckt gar eine künstlerische Absicht hinter den in unregelmäßigen Abständen angebrachten Kerben?

So viel scheint sicher: "Es handelt sich um einen der ganz seltenen Neandertaler-Gegenstände mit symbolischem Charakter", sagte der Erstautor der Studie, der Archäologe Tomasz Płonka von der Universität Wrocław, gegenüber Live Science. Der Knochen dürfte damit nördlich der Karpaten das früheste Beispiel für die Entstehung einer symbolischen Kultur darstellen. Und einen weiteren Beleg dafür, dass die Neandertaler nicht so primitiv waren, wie lange angenommen.

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