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Konflikte Wie das Miteinander-Reden besser gelingt: Schulz von Thun über die Kunst der Kommunikation

Die Kunst der Kommunikation
Ältere Generationen gingen noch anders mit Koflikten um, als die heutige. "Wir sind weitaus sensibler für zwischenmenschliche Kommunikation geworden", sagt Friedemann Schulz von Thun
© mauritius images / Westend61
In Gesprächen zwischen Menschen entstehen immer auch Anlässe für Missverständnisse, Konflikte und Zerwürfnisse. Der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun erklärt, wie wir uns am besten verständigen können

GEO WISSEN: Herr Professor Schulz von Thun, können wir heute besser streiten als frühere Generationen?

Friedemann Schulz von Thun: Ja, zumindest im Durchschnitt. In den älteren Generationen waren oft zwei Konfliktstile besonders verbreitet. Entweder: Einer hat das Sagen, und die anderen kuschen. Oder: Pseudo-Harmonie, also Konfliktvermeidung um des lieben Friedens willen. Heute hat es sich schon ein wenig herumgesprochen, dass selbstbewusste Individuen aneinandergeraten können und sollen und dass die Wahrheit zu zweit beginnt.

Wie ist es dazu gekommen?

Das autoritäre Verhältnis, von oben nach unten, ist in den Elternhäusern, Schulen und Betrieben in Verruf geraten, das Ziel heißt jetzt Partnerschaft auf Augenhöhe. Zugleich sind wir weitaus sensibler für zwischenmenschliche Kommunikation geworden. Es gibt Ratgeber, Schulungen, Forschung, Coaching. Meine Kinder mussten mein Buch "Miteinander reden" in der 11. Klasse im Fach Deutsch lesen. Insgesamt sind Menschen heute eher bereit, an sich zu arbeiten – und das gilt auch und nicht zuletzt für die Art, wie wir miteinander umgehen.

Weshalb ist es oft so schwierig, miteinander zu reden?

Wir mögen die gleiche Sprache sprechen und einander, oberflächlich betrachtet, verstehen. Da wir uns aber immer, mehr oder minder bewusst, auf vier Ebenen begegnen, lauern da unentwegt Missverständnisse. In ein und derselben Äußerung stecken nämlich immer vier Botschaften gleichzeitig:

  • eine Sachaussage, also Information über das Faktische, was mitgeteilt oder behauptet wird,
  • eine Beziehungsaussage, eine Wertung des anderen – was ich von ihm halte und wie ich zu ihm stehe,
  • eine Selbstkundgabe, eine Offenbarung über sich selbst,
  • und ein Appell, um beim Gegenüber etwas zu erreichen.

Ein Beispiel, bitte.

Das Urbeispiel, mit dem dieses "Kommunikationsquadrat" auch an vielen Schulen gelehrt wird, lautet: Ein Mann und eine Frau sitzen in einem Auto, der Mann auf dem Beifahrersitz, die Frau fährt. Er sagt: "Du, da vorn ist grün!" Auf der Sachebene teilt er eine Information mit, die sich überprüfen lässt. Gleichzeitig äußert er sich auf der Beziehungsebene, signalisiert womöglich Kritik am Fahrstil.

Auch über sich selbst gibt er etwas preis: eventuell ist er in Eile. Und schließlich steckt in seiner Äußerung vielleicht auch der Appell, etwas schneller zu fahren, um noch bei Grün über die Ampel zu kommen. Welche Botschaften der Mann auf allen vier Ebenen eigentlich gemeint hat, bleibt interpretationsfähig und damit anfällig für Missverständnisse.

Hinzu kommt: Der Hörende kann sozusagen mit „vier Ohren“ die Botschaften aufnehmen, überhören oder etwas hineinlegen, was der Sender nicht gemeint hat. Und er entscheidet, welches Ohr er besonders auf Empfang stellen will, ob er auf die Sachbotschaft, auf die Beziehungsbotschaft, die Selbstkundgabe oder auf den Appell reagieren will.

Die Frau könnte sich also gedrängt fühlen, wenn sie den Satz als Appell begreift, oder gemaßregelt, wenn sie ihn als Beziehungsaussage versteht.

Ganz genau. Und wenn sie antwortet "Fährst du, oder fahre ich?!", dann hat sie offenbar mit dem Beziehungsohr gehört und protestiert gegen die Kritik an ihrem Fahrstil. Sie könnte auch auf den Appell "Fahr schneller" reagieren, etwa indem sie Gas gibt. Oder antwortet: "Ach lass nur, wir haben ja Zeit!"

Die Sache ist also komplex, kein Wunder, wenn wir uns bisweilen zwischenmenschlich verheddern. Aber wer die vier Ebenen erkannt hat und sie bewusst handhabt, dem wird es leichter fallen, Missverständnisse zu vermeiden oder aufzudecken.

Das ist allerdings ziemlich viel verlangt. Im Streit ist doch niemand derart analytisch.

Stimmt, je stärker Gefühle aufwallen, umso schwerer fällt dies. Denn dann gilt das Gesetz der vertikalen Gegenläufigkeit: je höher die emotionale Betroffenheit, desto mehr geht die kommunikative Kompetenz in den Keller. Das ist tragisch, aber menschlich. Es sei denn, das Wissen um die vier Ebenen ist schon verinnerlicht: Dann stehen die Chancen besser, dass es zu einer guten Klärung kommt.

Ist es nicht ein Wunschtraum von Psychologen, Menschen würden im Alltag ausführlich darüber reden, wie sie miteinander reden?

Eine solche Metakommunikation kann ein Missverständnis durchaus direkt oder im Nachhinein klären. Aber nicht durch eine psychologisierende Analyse, sondern durch eine Selbstoffenbarung. Meine Lehrerin Ruth Cohn hat immer gesagt: "Wenn es schwierig wird in der Kommunikation, dann sag, was mit dir ist!" Dafür brauchen wir allerdings ein Gespür dafür, was in uns vorgeht, und den Mut, das dem Gegenüber auch zu offenbaren.

Aber gerade im Streit verstummen viele Menschen, ziehen sich zurück.

Ja, besonders wenn sie sich angegriffen fühlen und zugleich in ihrem Selbstwertgefühl bedroht. Die Kränkung schmerzt und lähmt, und ein beleidigter Mensch ist nicht mehr konfliktfähig. Aber auch ein Rückzug oder eisiges Schweigen ist Kommunikation, und es ist möglich, auf die darin steckende Selbstoffenbarung oder auf den darin steckenden Appell zu reagieren, sofort oder, manchmal besser, später.

Es heißt, Männer würden sich eher als Frauen im Streit zurückziehen und verstummen. Stimmt das?

Ja, im Durchschnitt sind wir Männer wohl etwas weniger begabt als Frauen, auf der zwischenmenschlichen Ebene zu reagieren. Für viele Männer ist die Beziehungsebene ein vermintes Gelände. Jedes falsche Wort kann vermeintlich eine Katastrophe auslösen, da sagt man besser gar nichts. Aber es gibt auch Frauen, die mauern und dichtmachen, und umgekehrt – zunehmend – Männer, die selbst­offenbarend und einfühlsam Konflikte austragen. Und ganz gleich, wer nun verstummt: Wenn eine Seite in Schweigen verfällt, geraten Streitende oft in einen Teufelskreis.

Wie lässt sich der beschreiben?

Je mehr sich der eine zurückhält, desto zudringlicher wird der andere, redet, fordert. Je mehr er das aber tut, desto einsilbiger wird der Erste, fühlt sich bedrängt. Das ist ein Prozess, der sich immerzu selbst befeuert. Stellen wir uns ein Ehepaar vor. Sie schimpft einmal, er geht daraufhin zu seiner Eisenbahnanlage in den Keller. Daraufhin schimpft sie mehr, er geht häufiger in den Keller. Schließlich ist sie übel­launig, weil er immer unten ist, er ist immer unten, weil sie übellaunig ist. Beide setzen im gleichen Kreislauf eine unterschiedliche „Interpunktion“, wie Kommunikationspsychologen sagen: Beide begreifen sich als bloß reagierendes Opfer. Aus dieser Haltung heraus können sie fortwährend Vorwürfe formulieren.

Wie kommt man aus einem solchen Teufelskreis heraus?

Betroffene sollten einmal bewusst ganz anders reagieren als gewohnt. Er könnte, statt sich abzuwenden, einmal eine kleine Rede aus dem Herzen halten und sich offenbaren, wie ihm in der Beziehung zumute ist. Sie könnte einmal, statt zu schimpfen und anzuklagen, ihrem Mann ganz bewusst mit Empathie begegnen, versuchen, sich einzufühlen in seine Bedrängnis und in sein Gefühl, der Angeklagte zu sein. Vielen gelingt das aus eigener Kraft allerdings nicht. Sie sind in ihrem Teufelskreis gefangen. In dem Fall kann es ein Segen sein, das eingefahrene Muster mit Hilfe eines Mediators oder eines Paarberaters zu durchbrechen.

Neugierig geworden? Das komplette Interview mit dem Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun lesen Sie auf GEO Plus.

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