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Rätsel der Zivilisation Macht der Kreativität: Warum erschufen Menschen die ersten Kunstwerke?

Venus vom Hohle Fels
Die Venusfigur entstand in der Höhle Hohle Fels auf der Schwäbischen Alb. Sie gilt als Fruchtbarkeitssymbol
© action press
Bereits in der Altsteinzeit vor 40.000 Jahren machten unsere Vorfahren einen großen Schritt in Richtung moderner Mensch: Sie erschufen erstmals kleine Kunstwerke, die Symbolkraft hatten. Was bewegte sie zu dieser Innovation?

Und dann saß eines Tages jemand am wärmenden Lagerfeuer und schnitzte eine Frau. Aus einem Stück Elfenbein vom Stoßzahn eines Mammuts formte er oder sie kräftige Schultern und pralle, aufragende Brüste, unter denen die Hände ruhen. Ein scharfer Stichel aus Feuerstein schälte breite Hüften und einen flachen Hintern heraus, und er ritzte eine riesige Vulva. Zehn seltsame Streifen ziehen sich über den Bauch. Die Beine sind nur angedeutet, und statt des Kopfes gibt es eine Öse; so konnte die Figur wie Schmuck an einer Schnur getragen werden. Gerade mal sechs Zentimeter misst die Skulptur, die Archäologen um den Grabungsleiter Nicholas Conard tief im Boden des Hohle Fels, einer Karsthöhle auf der Schwäbischen Alb, in neun Teile zerbrochen bargen.

Diese "Venus vom Hohle Fels" ist eines der ersten figürlichen Kunstwerke, die wir kennen. Und sie zeigt, dass der Mensch vor etwas mehr als 40.000 Jahren im Aurignacien, einer Kulturstufe der Altsteinzeit, einen großen Schritt hin zum modernen Menschen ging: Er lernte, Symbole zu erschaffen, die ihn als Teil einer Gruppe kennzeichneten. Und er fertigte ganz neue Objekte, die ihm halfen, wichtige Lebenssituationen zu bewältigen.

Neben der Venus fanden die Forscher noch viele weitere Skulpturen im Hohle Fels und in drei weiteren Höhlen: 33 gut erkennbare Figuren, darunter Großkatzen und Mammuts, ein Bison, zwei Wildpferde und Mischfiguren aus Mensch und Löwe. Die meisten dieser Werke sind nicht einmal so groß wie ein Finger, manche etwas plump gestaltet, andere von fantastischer Eleganz. Viele sind überdies mit Punkten, Linien und Kreuzschraffuren versehen: Ausdruck des großen Zeichenvorrats, über den die Schnitzer verfügten und den sie immer wieder neu kombinierten. Doch nicht überall sind die Ritzungen sofort zu erkennen, manchmal schienen die Künstler sie regelrecht versteckt zu haben, etwa unter den Fußsohlen von Mammuts. Die Archäologen bargen zudem zahlreiche Fragmente von Flöten aus Vogelknochen und Elfenbein in den Höhlen auf der Schwäbischen Alb. Die Menschen suchten dort während der jüngsten Kaltzeit Schutz vor den eisigen Temperaturen: Gletscher lagen nicht allzu weit im Norden, und auch von den Eismassen der nahen Alpen kroch Kälte zu ihnen.

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