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Neue Berechnungen Im Meer schwimmt mehr Plastik als bislang angenommen

Kunststoff wird im Meer immer stärker zerkleinert und gelangt als Mikroplastik in die sämtliche Nahrungsketten
Kunststoff wird im Meer immer stärker zerkleinert und gelangt als Mikroplastik in die sämtliche Nahrungsketten
© Photoshot Creative / Paulo de Oliveira / mauritius images
Bislang beruhten Angaben zur Plastikmenge im Meer auf groben Schätzungen – und die widersprachen sich oft. Eine neue Berechnung basiert teils auf Messungen: Demnach gelangt zwar weniger Abfall pro Jahr ins Meer, dort häuft er sich aber stärker an

Eine Studie zu Plastik im Meer enthält eine gute und eine schlechte Nachricht: Einerseits landet der Analyse zufolge jährlich wesentlich weniger Kunststoff pro Jahr in den Ozeanen als bislang angenommen. Andererseits aber ist die langfristig angesammelte Menge weit größer - denn der Abfall verweilt länger im Wasser als bislang geschätzt. Das berichtet eine niederländische Forschungsgruppe im Fachblatt "Nature Geoscience". Deutsche Fachleute loben das Vorgehen der Forscher - vor allem, weil die Resultate zumindest teilweise auf Messungen und Beobachtungen beruhen.

Die steigende Menge an Plastikmüll im Meer ist ein großes Problem für die Umwelt. So können die Abfälle für Tiere wie Schildkröten oder Wale tödliche Folgen haben - etwa wenn sie Kunststoffteile mit Nahrung verwechseln. Zudem wird der Müll durch chemische und physikalische Prozesse immer stärker zerkleinert und kann als Mikroplastik - Teilchen mit einem Durchmesser unter fünf Millimeter - in die Nahrungskette gelangen.

Die Ergebnisse von Schätzungen zur Plastikmenge sind höchst unterschiedlich

Seit langem versuchen Studien, die Menge an Kunststoff zu ermitteln, die jedes Jahr in die Meere gelangt. Die Ergebnisse solcher Schätzungen sind jedoch sehr unterschiedlich, zudem lassen sie sich nur schwer mit der Menge in Einklang bringen, die sich auf der Wasseroberfläche ansammelt. So treiben auf dem Wasser früheren Schätzungen zufolge etwa 250 000 Tonnen Plastik, der jährliche Eintrag wurde jedoch auf ein Vielfaches davon geschätzt - diese Kluft ließ sich bislang kaum erklären.

Das Team um Mikael Kaandorp von der Universität Utrecht legt nun eine neue Berechnung vor: Sie beruht auf mehr als 20 000 Beobachtungen und Messungen vor allem an Stränden und an der Meeresoberfläche, aber auch in der Tiefsee. Aus diesen Daten modellierten die Forschenden die Entwicklung für den Zeitraum von 1980 bis 2020.

Demnach gelangen jährlich etwa 500 000 Tonnen Plastikmüll in die Meere. Knapp die Hälfte (45 bis 48 Prozent) davon stammt aus der Fischerei, rund 40 Prozent (39 bis 42 Prozent) gelangen von Küsten in die Meere und der Rest (12 bis 13 Prozent) über Flüsse. Zum Vergleich: Frühere Studien schätzten den Plastikeintrag in Gewässer - allerdings auch Binnengewässer - pro Jahr auf etwa 4 bis 12 Millionen Tonnen.

Mehr als 95 Prozent der Plastikteile sind vergleichsweise groß

Eine gute Nachricht ist das nur auf den ersten Blick: Denn insgesamt enthielten die Meere im Jahr 2020 der Studie zufolge etwa 3,2 Millionen Tonnen Plastik - wesentlich mehr als bisher angenommen. 3,1 Millionen Tonnen davon - mehr als 95 Prozent - seien relativ große Stücke über 25 Millimeter.

Allerdings betont das Team, dass seine Berechnungen nur für jene Kunststoffe gelten, die - zumindest anfangs - auf der Wasseroberfläche treiben. Dazu zählen etwa Polyethylen, Polypropylen und Polystyrol. Das sei zwar der Großteil der Plastikabfälle, aber andere Stoffe mit einer größeren Dichte als Wasser, etwa Polyvinylchlorid (PVC) oder Polyethylenterephthalat (PET), würden nicht berücksichtigt. Sie stellen demnach immerhin 35 bis 40 Prozent der Kunststoffmasse in den Meeren.

Jährlich sinken allein 6000 Tonnen Mikroplastik auf den Meeresgrund

Weil auch ein Teil des anfangs treibenden Plastiks mit der Zeit zerfällt, von Algen besiedelt wird und absinkt, schätzt das Team die derzeitige Menge an der Wasseroberfläche auf rund 2 Millionen Tonnen. Demnach sinken pro Jahr etwa 220 000 Tonnen Plastik - ohne die nicht berücksichtigten schweren Kunststoffe wie PVC und PET - auf den Meeresgrund, davon 6000 Tonnen Mikroplastik.

"Das heißt, dass es länger dauern wird, bis die Effekte von Maßnahmen zum Kampf gegen Plastikmüll sichtbar sein werden", sagte Kaandorp mit Blick auf die längere Verweildauer des Kunststoffs. "Noch schwieriger wird es, eine Situation wiederherzustellen, wie sie früher einmal war. Und wenn wir jetzt nicht handeln, werden diese Auswirkungen noch viel länger andauern."

Der Eintrag von Plastik in die Meere nimmt schätzungsweise pro Jahr um vier Prozent zu

Nach einem zeitnahen Rückgang des Eintrags sieht es momentan nicht aus: Das Team schätzt, dass der Plastikeintrag in die Meere pro Jahr um etwa vier Prozent zunimmt. Allerdings, so betont die Gruppe, handele es sich bei den ermittelten Zahlen um grobe Näherungswerte.

Unabhängige deutsche Fachleute loben das Vorgehen des Teams: Die auf empirischen Daten beruhende Studie bringe die Forschung ein gutes Stück weiter, sagte die Meeresökologin Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven. Bedauerlich sei zwar, dass Kunststoffe, die schwerer als Meerwasser sind, ausgeklammert seien, "aber dies kann in künftigen Annäherungen berücksichtigt werden".

Auch Christian Schmidt vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Magdeburg sprach von einem wichtigen Beitrag: "Die wesentliche neue Erkenntnis der Studie ist, dass ein großer Teil des Plastiks im Wasser der Ozeane eher größere Partikel sind." Was für den Great Pacific Garbage Patch - dieser Großer Pazifische Müllteppich ist ein Strömungswirbel im zentralen Pazifik - schon gezeigt wurde, sei damit weltweit bestätigt. Wie realistisch die Ergebnisse sind, sei jedoch schwer abzuschätzen, räumt Schmidt ein. Das Verständnis über Transport und Verbleib von Plastik in der Umwelt sei noch immer mit sehr großen Unsicherheiten verbunden.

Allein der Great Pacific Garbage Patch hat eine Fläche von 1,6 Millionen Quadratkilometern

Wie ließe sich die Plastikflut im Meer eindämmen? "Nach wie vor gilt, dass wir den Hahn zudrehen müssen, bevor wir aufwendig und teuer Plastik aus dem Meer fischen", so Bergmann. "Wir müssen in allererster Linie die eskalierende Produktion minimieren und das Design von Kunststoffen so verbessern, dass weniger und gesundheitlich unbedenkliche Chemikalien eingesetzt werden, um den Wert von Kunststoffen zu steigern. Erst dies ermöglicht eine Kreislaufwirtschaft des wirklich notwendigen Plastiks."

"Ich halte Cleanup-Aktionen im Meer für sinnlos", betonte auch Schmidt. "Die Ressourcen wären an der Quelle viel besser eingesetzt." Allein der Great Pacific Garbage Patch habe eine Fläche von 1,6 Millionen Quadratkilometern. Zum Vergleich: Die Fläche Deutschlands beträgt 358 000 Quadratkilometer. "Man würde nie fertig werden", erklärte Schmidt. An Stränden seien Aufräumaktionen aber durchaus sinnvoll.

dpa

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