Wie ein schwerer, tropfenförmiger Sack schwebt das verlorene Schleppnetz in den Tiefen der Ostsee. Jahre schon, vielleicht Jahrzehnte hängt es fest am Meeresboden vor Rügen und formt ein Gefängnis aus Plastik, hält die Kadaver von Meeresvögeln, Krebsen und Fischen in seinem Inneren. Bis heute.
Mit Messern sägen Taucherinnen und Taucher an den algenbewachsenen Tauen, die sich am felsigen Untergrund verfangen haben. Eine mühsame und gefährliche Arbeit, nicht nur wegen des kalten Tiefenwassers und der schlechten Sicht: Die Tauchenden müssen aufpassen, sich nicht selbst in dem Netz zu verheddern.
Sobald es vom Meeresboden gelöst ist, wird das Netz von luftgefüllten Hebesäcken an die Oberfläche gezogen, wo Helfende die Taue Meter für Meter an Bord eines Boots ziehen. Einige der darin gefangenen Plattfische hatten Glück: Sie leben noch, können mit gezielten Schnitten aus dem Netz befreit werden und verschwinden nach einem kurzen, kräftespendenden Wannenbad wieder in der Ostsee.
Sie waren die letzten Gefangenen des Geisternetzes, dessen Bergung Aktivistinnen und Aktivisten der Umweltorganisation Sea Shepherd auf einem Video festgehalten haben. Doch es ist nur eines von Tausenden herrenlosen Netzen, die in der Ostsee treiben. Und in jedem anderen Meer der Welt.
Tiere auf Nahrungssuche werden von verwesenden Kadavern angelockt
Wer an Plastikmüll im Meer denkt, sieht Joghurtbecher und Plastikstrohhalme im Wasser treiben, Müllbeutel und PET-Flaschen. Dabei besteht knapp ein Drittel des Abfalls, den Umweltschützende weltweit aus den Meeren fischen, aus Netzteilen und Tauen. Die nicht wieder eingeholten Netze machen über Jahre und Jahrhunderte das, wofür sie einst geflochten wurden: Sie fangen Fische. Und sind dabei äußerst effizient. Erst nach 400 bis 600 Jahren in den Tiefen der Ozeane verrotten moderne Fischereinetze aus Plastik. So lange werden sie zur tödlichen Falle für Meeresbewohner, die sich in ihren Maschen verfangen.
Mindestens 344 Tierarten weltweit verheddern sich in Meeresplastik, befand eine Metaanalyse niederländischer Forschender. Bei fast der Hälfte davon handelt es sich um Säugetiere wie Seehunde und Robben, Seevögel oder Schildkröten. Angelockt durch den Geruch bereits verwesender Tiere, finden sie ebenfalls den Tod in den Netzen. Und werden so Teil eines Teufelskreises: Je mehr tote Tiere in einem Geisternetz verwesen, desto attraktiver wird es für die lebenden Nahrungssucher.