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Peter Wohlleben Was bedeutet eigentlich nachhaltig? – Ein Gespräch mit Louisa Dellert

Nachhaltigkeit – Der Begriff ist in aller Munde. Doch was genau meinen wir, wenn wir von Nachhaltigkeit sprechen?
Nachhaltigkeit – Der Begriff ist in aller Munde. Doch was genau meinen wir, wenn wir von Nachhaltigkeit sprechen?
Woher kommt der Begriff Nachhaltigkeit? Wer hat ihn definiert? Was ist wirklich sozial gerecht? Wieviel schlechte Nachrichten verträgt der Mensch? Über diese Fragen unterhalten sich Peter Wohlleben und die Autorin, Moderatorin und Influencerin Louisa Dellert

Der Begriff ist in aller Munde – mehr und mehr Menschen bekennen sich zu ihm. Doch was genau meinen wir, wenn wir von Nachhaltigkeit sprechen?

Der Impuls zur Nachhaltigkeit kam nicht von der Forstwirtschaft

Starten wir mit einem berühmten Werbezitat um ein Schweizer Kräuterbonbon: "Wer hat’s erfunden?" Im Falle der Nachhaltigkeit kam der Impuls nicht von der Forstwirtschaft (obwohl die sich die Idee gerne auf die Fahnen schreibt) – es war der Bergbau. Hans Carl von Carlowitz, ein sächsischer Berghauptmann, stellte wie viele Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts fest, dass der Branche das so wichtige Holz auszugehen drohte.

Man brauchte es beispielsweise, um die weitverzweigten Stollen gegen Einsturz abzusichern. Von Carlowitz unternahm ausgedehnte Reisen in Europa und traf dort auf Menschen wie den Engländer John Evelyn, einen Gartenbauer, der schon vor von Carlowitz Abhandlungen über Baumanpflanzungen zur Verhinderung einer Rohstoffknappheit geschrieben hatte.

Mengennachhaltigkeit statt Erhalt von Ökosystemen

Unter den Eindrücken seiner Reisen verfasste der Berghauptmann dann sein Werk "Sylvicultura oeconomica", den Grundstein der heutigen Forstwirtschaft in Deutschland, ja sogar weltweit.

Mit Ökologie hat das allerdings so wenig zu tun, als wollte man ein Maisfeld zu einer Insektenwiese adeln – nein, von Carlowitz führte vielmehr landwirtschaftliche Methoden im Wald ein.

Seither werden Bäume in Feldern angebaut, werden gepflegt und nach wenigen Jahrzehnten mehr oder weniger zeitgleich "geerntet". Diese Plantagenwirtschaft wird bis heute auf großer Fläche betrieben. Aus damaliger Sicht war die Methode ein Fortschritt. Der Wald glich durch akkurate Gliederung in Abteilungen einem gut kontrollierbaren Vorratslager, aus dem nie mehr entnommen werden sollte als nachwuchs. Es ging also nicht um den Erhalt von Ökosystemen, sondern um eine reine Mengennachhaltigkeit. So etwas betreibt prinzipiell jeder Bauer auf seinem Feld: Jährlich wird in etwa die gleiche Menge an Feldfrüchten geerntet.

Eine moderne Definition von Nachhaltigkeit

Dieses Prinzip wurde bis heute im Wald eingehalten. Gelitten hat unter der Konzentration auf den Rohstoff Holz das Ökosystem. Wirklich alte Buchenwälder, einst in ganz Mittel- und Westeuropa dominierend, sind in Deutschland auf kümmerliche Reste von 0,3 Prozent der Waldfläche zusammengeschmolzen. Nachhaltig kann man das nicht nennen. Doch was wäre eine moderne Definition dieses so inflationär gebrauchten Begriffs? Sinnge­mäß hat man sich international auf Folgendes geeinigt: Das Ökosystem muss in seiner Funktion und Ar­tenausstattung so an die folgende Generation übergeben werden, dass es mindestens dem Zustand entspricht, in dem wir es von un­seren Eltern übergeben bekommen haben.

Schnell wird klar: Wirklich nachhaltig zu handeln ist in der heutigen Zeit, auf diesem Niveau des Lebensstandards, nicht mög­lich. Egal was wir tun, was wir pro­duzieren oder verbrauchen: Es hin­terlässt Spuren in der Umwelt, die sich nicht so schnell tilgen lassen. Trotzdem lohnt es sich, es wenigs­tens zu versuchen, und dabei mag die Einführung eines neuen Wortes helfen, denn neuerdings wird dem Begriff Nachhaltigkeit ein Adjektiv an die Seite gestellt: enkelgerecht. Und genau das sollte unser Han­deln prägen: Es muss den künfti­gen Generationen eine lebenswerte Zukunft ermögli­chen, einschließ­lich einer ausreichend großen, in­takten Natur.

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