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Solidarische Landwirtschaft Gemeinsam ackern gegen Preisdumping und Klimawandel

In den Gewächshäusern der Solawi Vierlande reifen im Sommer auch Tomaten heran
In den Gewächshäusern der Solawi Vierlande reifen im Sommer auch Tomaten heran
© Solawi Vierlande e.V.
Wenn wir uns wirklich nachhaltig ernähren wollen, müssen mehr Lebensmittel regional, saisonal und bio erzeugt werden. Und ohne Preisdruck und Marktrisiko. Ein paar Pioniere haben mit der Solidarischen Landwirtschaft einfach schon mal angefangen

Erst Hitze und Dürre, dann kühle und nasse Wochen: Der Sommer 2023 stellt die Landwirtschaft auf eine Probe. Mal wieder. Viele Landwirt*innen bangen angesichts von Wetterextremen und gefährdeten Ernten um ihre Existenz.

Etwas entspannter blickt Anna auf das Wetter. Sie ist zwar keine Bäuerin und steht nicht jeden Werktag mit beiden Gummistiefeln fest im Matsch. Aber sie arbeitet im Beirat eines landwirtschaftlichen Betriebes: der Solidarischen Landwirtschaft Vierlande im Südosten Hamburgs. "Unseren Gärtnerinnen und Gärtnern geht es mit dem Wetter nicht anders als anderen", sagt die hauptamtliche Politikwissenschaftlerin, die nur mit ihrem Vornamen genannt werden möchte. Doch zurzeit laufe die Ernte von Zucchini, Tomaten, Auberginen, Salaten, Melonen, Rote Beete und Bohnen planmäßig.

Was Anna etwas gelassener auf das Wetter schauen lässt als die meisten Menschen in der landwirtschaftlichen Produktion, ist das Wirtschaftsmodell ihres Betriebs. In der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) wird nämlich nicht für ein Produkt bezahlt, das am Ende in einem Regal liegt. Sondern für die Landwirtschaft selbst.

Die Solidarische Landwirtschaft Vierlande ging aus einer Gemüsegärtnerei hervor. Die Gewächshäuser zeugen davon
Die Solidarische Landwirtschaft Vierlande ging aus einer Gemüsegärtnerei hervor. Die Gewächshäuser zeugen davon
© Julian Wendt

"Alle Solawistas sind Mit-Landwirte und -Landwirtinnen", erklärt Anna. Solawistas – so nennen sich die Mitglieder einer Solawi untereinander. Sie tragen mit festen monatlichen Beiträgen dazu bei, dass der Betrieb wirtschaftlich arbeiten kann. Auch in Zeiten von Schneckenplagen oder verregneten Ernten. Ob viel oder wenig: Geteilt wird, was da ist. Und eben auch das finanzielle Risiko. "Während der einzelne Landwirt auf dem globalen Markt und im internationalen Wettbewerb um die günstigsten Preise nicht mehr mithalten kann", erklärt Anna, "haben wir ein geschlossenes System von Produzent*innen und Abnehmer*innen.

Ackern nach Plan für eine abwechslungsreiche Gemüseversorgung

Jedes Jahr vor dem Beginn der Ackersaison planen die Solawistas gemeinsam, was auf den insgesamt 3,5 Hektar der Solawi wann angebaut werden soll, um ganzjährig eine vielfältige und abwechslungsreiche Gemüseversorgung sicherzustellen. Was jede Woche geerntet wird, landet in ausgewählten Depots im Südosten Hamburgs und in der City. Und wird dort von den Mitgliedern abgewogen und abgeholt. Wie viel jedem oder jeder zusteht, errechnet sich aus der wöchentlichen Ernte und dem monatlichen Anteil, den sich die Mitglieder zu Beginn der Ackersaison in der sogenannten Bietrunde gesichert haben.

Wer zu Beginn der Saison einen "normalen" monatlichen Anteil bestellt hat, so wie Anna und ihr Mann, kann auch für eine Kleinfamilie abwechslungsreich, mit erntefrischem, saisonalem, regionalem und biologisch erzeugtem Gemüse kochen. (Angebaut wird nach EU-Bio- und den noch strengeren Bioland-Richtlinien.) Für den größeren Hunger ist mit einem "großen" Anteil gesorgt. Das seien dann überwiegend größere WGs oder Familien mit mehreren Kindern, erklärt Anna.

Mitarbeit auf dem Acker ist erwünscht, aber nicht Pflicht

Dafür, dass Zucchini und Co. rechtzeitig vom Acker ins Depot kommen, sorgen bei der Solawi Vierlande vier fest angestellte Gärtnerinnen und Gärtner. Wenn es besonders viel zu tun gibt, kommen Freiwillige hinzu. Besonders an Samstagen wird es im Sommer oft bunt auf den Äckern: Dann st��rmen die Freiwilligen, die sogenannte Ackergruppe, "mit Mann und Maus und Kind und Kegel", wie Anna sagt, die Möhren- und Salatbeete.

Mitackern ist erwünscht, aber keine Pflicht
Mitackern ist erwünscht, aber keine Pflicht
© Solawi Vierlande e.V.

Das ist nicht nur solidarisch. Es schärft auch den Blick für die Bedingungen der Lebensmittelproduktion und schafft Verbindung. Mit der Natur und unter den Mitgliedern.

Die Solawi Vierlande, 2017 gegründet, hat heute 250 Mitglieder und kommt "gut über die Runden", wie Anna sagt. Nur bei der Ackerarbeit wünscht sie sich schon noch mehr Einsatz von Freiwilligen. "Wir laden immer wieder dazu ein, mitzumachen", sagt sie. "Denn wir können die Arbeit zwar bewältigen, aber die Absicht ist ja schon, dass nicht nur das finanzielle Risiko, sondern auch die Arbeit von der Gemeinschaft getragen wird."

Doch auch wenn nicht alle Lust und Zeit haben, selbst mit anzupacken: Das Modell Solawi macht Schule. So listet das "Netzwerk Solidarische Landwirtschaft" derzeit immerhin schon 462 Solawis in ganz Deutschland. Tendenz: steigend.

Dabei locken Interessierte nicht nur Gourmet-Basilikum und -Chili und die Aussicht, sich zu Expert*innen für die Vielfalt heimischer Lebensmittel, deren Zubereitung und Verarbeitung weiterzubilden. Viele Solawistas verstehen die Solawi als Beitrag zu einer besseren, resilienten und ressourcenorientierten Landwirtschaft. Sozusagen als Gegenmodell zu Preisdumping und zum Raubbau an der Natur.

Oder, wie Anna, einfach als Statement für eine klimafreundlichere Landwirtschaft: "Wir sehen uns auch als praktisch-politischen Beitrag gegen den Klimawandel. Das ist für mich einer der wichtigsten Gründe, warum ich mitmache."

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