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Interview Tiertransporte per Schiff: "Viele der Tiere kommen am Zielort blind an"

Australien gilt als einer der größten Tierexporteure der Welt; im vergangenen Jahr wurden mehr als eine halbe Million Schafe und eine halbe Million Kühe in alle Welt verschifft. Zurzeit befindet sich der Frachter "Al-Kuwait" mit rund 60.000 Tieren auf dem Weg nach Jordanien
Australien gilt als einer der größten Tierexporteure der Welt; im vergangenen Jahr wurden mehr als eine halbe Million Schafe und eine halbe Million Kühe in alle Welt verschifft. Zurzeit befindet sich der Frachter "Al-Kuwait" mit rund 60.000 Tieren auf dem Weg nach Jordanien
© AAP / imago images
Immer wieder sorgen wochenlange Tiertransporte per Schiff wegen tierschutzwidriger Bedingungen an Bord für Empörung. Doch weder auf EU- noch auf nationaler Ebene zeichnen sich Verbesserungen ab. Über die Gründe sprachen wir mit Nadine Miesterek, Campaignerin bei der Tierschutzorganisation Vier Pfoten

GEO: Frau Miesterek, zurzeit sorgt in Kapstadt ein Transporter mit 19.000 Kühen auf dem Weg von Brasilien in den Irak für Aufregung. Anwohner hatten sich über den Gestank beschwert. Abgesehen von der Geruchsbelästigung: Kann ein solcher Transport in irgendeiner Weise tierschutzgerecht sein?

Nadine Miesterek: Nein. Erst Anfang des Monats hing ein solches Schiff auf dem Weg nach Jordanien in Australien fest, mit 16.000 Tieren an Bord. Die Situation ist immer dieselbe: Es sind unglaublich viele Tiere, und die Schiffe sind in der Regel ausgemusterte, umgebaute Autofähren oder andere Frachtschiffe. Es gibt keine zeitliche Begrenzung, keinen Plan, wie man die Exkremente loswird. Meistens werden die gar nicht abgelassen, was zur Folge hat, dass die Tiere teilweise knietief in ihrem eigenen Kot stehen – und auch darin liegen. Viele der Tiere kommen am Zielort blind an oder haben entzündete Atemwege, wegen der giftigen Ammoniakdämpfe. Es gibt keine Tierärzte an Bord, das heißt, wenn sich ein Tier schwer verletzt, kann es weder behandelt noch erlöst werden.

Welche Vorschriften gelten für die Versorgung der Tiere während der Fahrt?

Die Versorgung der Tiere mit Wasser, Futter und Einstreu muss gewährleistet sein. Eine medizinische Versorgung ist dagegen nicht genauer vorgeschrieben. Lediglich die Transportfähigkeit eines Tieres muss vorab überprüft werden. Wenn die Tiere schon zu Beginn krank oder verletzt sind, dürfen sie gar nicht transportiert werden. 

Und wenn sie die Grenzen der EU überschritten haben ...

... sind sie sich selbst überlassen – und dem Transporteur. Es gab schon 2015 ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes, nach dem die europäischen Tierschutz-Vorschriften auch in denjenigen Drittländern eingehalten werden müssen, in die die Tiere exportiert werden. Aber niemand kann die Einhaltung der Vorschriften garantieren, es gibt weder Kontroll- noch Sanktionsmöglichkeiten. Deswegen halten wir solche Transporte von vornherein für illegal.

Auch aus Deutschland werden Tiere in Drittländer verschifft, vor allem Rinder. Das Verwaltungsgericht Osnabrück hat im Dezember 2023 einen Transport von 105 schwangeren Rindern nach Marokko erlaubt, der laut Erlass des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums eigentlich verboten ist. Was ist aus den Tieren geworden?

Das Urteil des Verwaltungsgerichts wurde vom Oberverwaltungsgericht bestätigt. Die Tiere sind nach Marokko verschifft worden. Dabei gibt es seit den neunziger Jahren immer wieder horrende Berichte darüber, wie die Tiere in vielen Drittländern behandelt werden. Dass die Tiere in Marokko früher oder später unter grausamen Bedingungen und ohne Betäubung getötet werden, ist leider sehr wahrscheinlich.

Entscheiden Gerichte im Zweifelsfall für die Verkäufer und gegen den Tierschutz?

Unser Eindruck ist, dass sowohl die Gerichte als auch die Staatsanwaltschaften dazu neigen, im Sinn der Landwirte oder der Transporteure zu entscheiden – falls es überhaupt zur Strafverfolgung und zum Prozess kommt. Nach unserer Einschätzung fehlt es häufig auch einfach an Wissen über Tierschutzprobleme. Von 21 Verfahren, die wir im Jahr 2020 auf den Weg gebracht haben, sind mittlerweile alle eingestellt worden. Nur in einem Fall haben wir Widerspruch eingelegt.

Stehen Rinder bei Transporten tagelang in ihren eigenen Exkrementen, können die Ammoniakdämpfe ihre Atemwege und die Augen schädigen – bis zur Blindheit
Stehen Rinder bei Transporten tagelang in ihren eigenen Exkrementen, können die Ammoniakdämpfe ihre Atemwege und die Augen schädigen – bis zur Blindheit
© Animals' Angels e. V.

Um was ging es bei den Klagen?

Wenn Tiere aus Deutschland verschifft werden, muss den Veterinärämtern ein Fahrplan vorgelegt werden, aus dem auch die Zwischenstationen ersichtlich sind. Diese Pläne werden dann – theoretisch – auf Plausibilität überprüft. 2019 hatten wir die seltene Gelegenheit, einige Dokumente aus der nicht öffentlichen Datenbank, in der diese Pläne hinterlegt sind, einzusehen. Viele davon waren nicht plausibel, hätten also nie bewilligt werden dürfen. Da waren zum Beispiel Versorgungsstationen entlang der Transportroute ohne Adressen angegeben, was eine Überprüfung unmöglich macht. In einem Fall wurde für einen Transport vom Emsland in den Iran eine Fahrtdauer von neun Stunden angegeben.

Zurzeit werden die EU-Vorschriften für den Transport von Tieren mit Schiffen überarbeitet. Zeichnen sich da Verbesserungen ab?

Leider nein, wir sind wirklich enttäuscht. Es gibt allenfalls Schönheitsreparaturen. Geplant ist bisher lediglich, maximale Transportzeiten um eine Stunde zu verkürzen, oder dass bei der Abnahme eines neu in Betrieb genommenen Transportschiffes zukünftig auch ein Veterinär anwesend sein muss. Zudem ist zu befürchten, dass die wenigen Fortschritte, die die Überarbeitung bringen könnte, im Europäischen Rat noch verwässert werden. Wir setzen auf Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Deutschland ist schließlich im EU-Agrarrat ein Schwergewicht.

Auch auf nationaler Ebene könnte Özdemir etwas bewirken, das deutsche Tierschutzgesetz wird derzeit überarbeitet. Wie sieht es da aus?

Leider genauso. Zu Tiertransporten und speziell zu Drittlandexporten steht im Referentenentwurf gar nichts.

Wie erklären Sie sich das?

Die Rinder kommen in Deutschland überwiegend aus der Milchindustrie. Denn eine Kuh muss, um ihre Milchleistung zu erhalten, jedes Jahr ein Kalb gebären. Wir haben also viel mehr Kälber, als in Deutschland gebraucht werden. Wenn sie die nicht mehr exportieren dürften, was sollten die Bauern dann mit denen machen? Für diese Tiere gibt es hier keinen Markt. Zum einen sind es Kälber, die zur Mast in die Niederlande oder nach Italien verkauft werden, um dann als Jungbullen in Drittländer weiterverkauft zu werden.

Es werden aber auch trächtige Jungkühe, sogenannte Färsen, in Drittländer verkauft, weil es dort eine Nachfrage gibt. Offiziell geht es dann oft um den Aufbau einer Zuchtpopulation. Nach unseren Informationen ist das aber nur ein vorgeschobenes Argument. Denn irgendwann müssten in den Empfängerländern diese Zuchtpopulationen ja aufgebaut sein. Davon hören wir aber nichts. Wir haben vom Bundeslandwirtschaftsministerium auch einmal die Auskunft bekommen, eine Verbotsliste mit Hochrisikostaaten könne diskriminierend sein.

Was muss passieren?

Wir fordern ein komplettes Verbot solcher Schiffstransporte auf EU-Ebene – oder mindestens auf nationaler Ebene eine klare bundeseinheitliche Regelung im Tierschutzgesetz, damit es nicht jedem Bundesland und den Veterinärämtern überlassen bleibt, im Einzelfall zu entscheiden. Aus Tierschutzsicht sind diese Transporte eine Katastrophe, und es gibt keine Möglichkeit, sie für die Tiere irgendwie "angenehmer" zu gestalten.

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