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Klimaprotest Der Hungerstreik für das Klima schwächt das Vertrauen in die Demokratie

Seit dem 7. März im Hungerstreik für mehr Ehrlichkeit beim Klima: Wolfgang Metzeler-Kick
Seit dem 7. März im Hungerstreik für mehr Ehrlichkeit beim Klima: Wolfgang Metzeler-Kick
© dpa / picture alliance
In Berlin wollen fünf Männer so lange hungern, bis Kanzler Olaf Scholz eine Regierungserklärung zur Klimakrise abgibt – und umsteuert. Die Forderung ist in der Sache richtig. Nicht aber in der Wahl des Mittels

Mit einem "Schulstreik für das Klima" fing es an. Es folgten Massendemonstrationen von Fridays for Future, dann blockierten Menschen der "Letzten Generation" Flughäfen, klebten sich an Straßen und Bilderrahmen. Zur Bundestagswahl 2021 dann der erste Hungerstreik. Den die Demonstranten nach mehreren Wochen abbrachen. Und nun ein weiterer. Nach dem Willen der fünf Männer soll Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Regierungserklärung den Ernst der Lage in puncto Klima anerkennen. Und endlich Ernst machen mit einer entschlossenen Klimapolitik. Zwei der Demonstranten befinden sich schon in einem kritischen Zustand. Offenbar sind sie bereit, für ihr Anliegen bis zum Äußersten zu gehen: sich selbst zu töten.

Dass die fünf für den Klimaschutz ihre Gesundheit und ihr Leben riskieren, verdient zunächst einmal Respekt. Während viele Menschen in diesem Land nicht einmal bereit sind, mit ein paar Euro ihren Urlaubsflug zu kompensieren, machen sich diese Menschen daran, buchstäblich alles zu opfern, was sie haben und was sie sind.

Dass das Anliegen der Männer tatsächlich todernst ist, unterstreichen auch die Forschenden von Scientists for Future in einer Stellungnahme: Die 1,5-Grad-Celsius-Schwelle, jenseits derer die Klimakrise vollends unkontrollierbar zu werden droht, ist fast überschritten. Das Haus brennt schon. Politiker aber – darunter auch Kanzler Olaf Scholz – vermitteln nicht den Eindruck, dass in ihrem Denken und Handeln die Klimakrise die Priorität hat, die sie nach einer nüchternen, wissenschaftlichen Bestandsaufnahme haben müsste.

Doch Unzufriedenheit und Ungeduld sind keine Alleinstellungsmerkmale der Klimaprotestierenden. Der Frust in der Bevölkerung ist groß. Und so steht in den Zeiten der Multikrise ein anderes Thema ganz oben auf der Agenda: der Fortbestand der Demokratie, wie wir sie kennen.

Gewalt als Notwehr gegen "die da oben"

Ob Migration oder Energieversorgung: Die Feinde der Demokratie propagieren schnelle Lösungen für komplexe Probleme; die oft mühsame Aushandlung eines Interessenausgleichs verunglimpfen sie als Handlungsunfähigkeit oder Ignoranz, sie diffamieren rechtsstaatliche Prozesse und Institutionen als Geld verschlingende, ineffektive Bürokratiemonster. Sie sehen nationale Interessen von korrupten Eliten verraten – und fantasieren ein homogenes Volk mit einem homogenen Interesse herbei: "Deutschland zuerst!". Eine zunehmende Verrohung des Diskurses bis hin zu Einschüchterung und offener Gewalt gegen politisch Aktive scheinen da nur die logische Konsequenz: Politik als Notwehr.

Nun liegt das, was die Klima-Hungernden anstreben, ziemlich genau auf dem entgegengesetzten Ende des politischen Spektrums. Klimagerechtigkeit zum Beispiel, also die Idee, dass die Industrienationen nicht nur Verantwortung dafür tragen, ihre Emissionen radikal zu reduzieren, sondern auch für Klimaschäden in armen Ländern aufkommen sollten – und sie dabei unterstützen, ihrerseits eine klimaneutrale Wirtschaft aufzubauen. 

Doch auch die Aktivisten von "Hungern, bis ihr ehrlich seid" sehen Gewalt – in diesem Fall: Gewalt gegen sich selbst – offenbar als legitimes, letztes Mittel der politischen Auseinandersetzung an. Dass ein radikales Umsteuern angesichts der Klimakrise notwendig ist, muss aus ihrer Sicht nicht mehr diskutiert werden. Fatalerweise ist diese Botschaft der von ganz rechts nicht unähnlich: "Die da oben kriegen es einfach nicht hin. Wir müssen sie zum Handeln (oder zum Abdanken) zwingen." Sie wertet demokratische Prozesse und Institutionen ab. In der gegenwärtigen aufgeheizten Stimmung ist das wenig hilfreich.

Olaf Scholz ist sicher nicht der Klimakanzler, als den er sich selbst einmal bezeichnet hat. Es ist allerdings ein Irrglaube, er könne mit ein bisschen mehr Ehrlichkeit die Klimakrise gerade noch abwenden. Ebenso ist es ein Irrtum, dass die deutsche Öffentlichkeit sich nicht ausreichend über die Dimensionen der Klimakrise informieren könne.

Das Klimaproblem ist ein Menschheitsproblem, seine Folgen sind ebenso bedrohlich wie seine Ursachen komplex. Ja, es ist wahrscheinlich, dass die menschengemachte, globale Erhitzung mehr Ungleichheit und Gewalt innerhalb von Gesellschaften und zwischen Staaten mit sich bringen wird. Doch Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung – ob nun gegen andere oder gegen sich selbst – ist keine Lösung. Weil sie im Kern undemokratisch ist.

Wie ernst wir in Deutschland die Klimakrise nehmen, welche Lösungswege innerhalb einer freiheitlichen Grundordnung beschritten werden können, ob und wie die Transformation der Gesellschaft hin zu einem Wirtschaften innerhalb planetarer Grenzen vorankommt, welchen Beitrag Deutschland im Rahmen des internationalen Klimaschutzes leisten kann und will, wie wir mit den Klimafolgen umgehen und Lasten verteilen – das entscheiden wir Bürgerinnen und Bürger. Indem wir uns zivilgesellschaftlich und politisch engagieren. Und wählen gehen.

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