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Rechtsruck und Naturschutz "Naturschützer wählen keine Nazis"

Kampf gegen Windmühlen: Die "grüne Windkraft-Lobby" zerstöre Natur und Umwelt, wettert die AfD
Kampf gegen Windmühlen: Die "grüne Windkraft-Lobby" zerstöre Natur und Umwelt, wettert die AfD
© ZB / picture alliance
Nicht nur in Deutschland, auch in der EU sind extrem rechte Parteien auf dem Vormarsch. Sie wettern gegen Windkraft und EU-Umweltregulierungen und versuchen, die Naturschutzorganisationen zu unterwandern. Worauf kommt es jetzt an? Wir sprachen mit Kai Niebert, Nachhaltigkeitsexperte und Präsident des Naturschutzrings DNR, des Dachverbands der deutschen Natur-, Umwelt- und Tierschutzverbände

GEO: Herr Professor Niebert, hätten Sie vor einem Jahr gedacht, dass Millionen Menschen in Deutschland nicht für das Klima, sondern für die Demokratie auf die Straße gehen würden?

Kai Niebert: Nachdem sich in den letzten Jahren rechtsextremes Sprach- und Gedankengut immer stärker in die Mitte der Gesellschaft eingeschlichen hat, hat die Aufdeckung der Deportationsfantasien der Rechtsextremen offensichtlich einen gesellschaftlichen Kipppunkt ausgelöst. Auch für viele, die mit der Politik der Ampel unzufrieden sind und mit dem Gedanken spielten, ihr mal einen Denkzettel zu verpassen, war das ein Stoppsignal.

Aber die schiere Zahl der Demos und der Teilnehmenden müssten Sie doch neidisch gemacht haben.

Als Bürger bin ich zunächst einmal sehr dankbar, wie wir es offensichtlich gemeinsam schaffen, aufzustehen, wenn unsere Demokratie als Lebensgrundlage in Gefahr gerät. Auf den Demonstrationen ist bei aller Spaltung, die von einigen Akteuren herbeigeredet wird, ein großes Wir zu spüren. Das macht Mut.
Umfragen zeigen, dass es immer noch eine große Zustimmung zu einem ambitionierten Klima- und Naturschutz gibt. Zudem waren die großen Demonstrationen unterstützt von einigen unserer Mitgliedsorganisationen oder von Fridays for Future. Es gibt große Schnittmengen zwischen denen, die in den vergangenen Jahren für Klima- oder Naturschutz auf der Straße standen und denen, die jetzt für die Demokratie auf die Straße gegangen sind. Was wir übrigens bei Fridays for Future gesehen haben: Sie hatten an den Abendbrottischen eine viel größere Wirkung als auf den Straßen – weil sie Debatten in Familien hineingetragen haben. Sie konnten dadurch – das ist empirisch belegbar – den "alten weißen Mann" besser bewegen, als es irgendeine Politikerin oder eine Medienkampagne hätte tun können. Und genau das muss uns jetzt auch gelingen. Auf die Straße gehen ist das eine, die Kollegen, Freunde und Verwandten überzeugen, demokratisch zu wählen, das andere.

Kai Niebert forscht und lehrt als Nachhaltigkeitsexperte an der Universität Zürich und steht seit 2015 dem Umweltdachverband Deutscher Naturschutzring als ehrenamtlicher Präsident vor
Kai Niebert forscht und lehrt als Nachhaltigkeitsexperte an der Universität Zürich und steht seit 2015 dem Umweltdachverband Deutscher Naturschutzring als ehrenamtlicher Präsident vor
© DNR

Es gibt gerade viel zu tun: 80 Prozent der Lebensräume in der EU sind in einem schlechten Zustand, das 1,5-Grad-Limit der Erderwärmung ist erreicht. Gerät die Debatte über notwendige Veränderungen unserer Wirtschafts- und Lebensweise angesichts der Gefahr von rechts jetzt ganz unter die Räder?

Interessant ist doch, dass alle Umfragen zeigen, dass es auch heute noch eine große Bereitschaft gibt, Deutschland und Europa klimaneutral umzubauen. Gleichzeitig werden Teile der Politik zunehmend transformationsmüde. Das kann man ganz konkret an Politik ablesen. Während eine konservative Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, mit dem European Green Deal das gemeinsame Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 auf den Weg gebracht hat, sind es jetzt die Konservativen in Europa, von den Rechtspopulisten mal ganz abgesehen, die immer stärker auf die Bremse treten. Offenbar, weil sie glauben, in einem Milieu fischen zu können, das ihnen nützen könnte. Auch in Deutschland wurden Umweltregelungen ausgesetzt ...

... darunter die Auflage für Landwirt*innen, vier Prozent der eigenen Flächen für den Artenschutz brachliegen zu lassen ...

... ohne dass dafür eine Gegenleistung verlangt wurde. Warum? Aus Angst vor immer massiver und demokratiefeindlicher werdenden Protesten von Bauern, die – das ist mittlerweile gut nachgewiesen – stark von den Rechten unterwandert waren und sind. Notwendig wäre eine klare Abgrenzung gegen rechts vonseiten der entsprechenden Organisationen. Nicht nur rhetorisch, sondern auch in der Sache.

Welche Organisationen meinen Sie?

Ich kenne viele engagierte Bäuerinnen und Bauern, für die klar ist, dass die Landwirtschaft bunt statt braun ist. Aber den Bauernverband, der laut Eigenaussage die Stimme von 90 Prozent der 300.000 Bauernhöfe in Deutschland ist, vermissen wir schon recht deutlich in den Bündnissen gegen Demokratiefeinde, die sich jetzt aus der Zivilgesellschaft, aus den Gewerkschaften und den Kirchen heraus gebildet haben.

Schauen wir ein paar Monate in die Zukunft: Im Juni, bei den Wahlen zum EU-Parlament, könnte die Fraktion der Rechtspopulisten und Rechtsextremen drittstärkste Kraft werden, die AfD steht Umfragen zufolge in Deutschland bei knapp 20 Prozent.

Es gibt, in Milieus gesprochen, die stay at home progressives, also Menschen, die eher für Klima-, Natur- und Umweltschutz stimmen würden, sich aber aufgrund diverser Enttäuschungen von der Politik abgewandt haben und nicht wählen gehen. Unsere große Aufgabe ist, diese Menschen zu mobilisieren. Ich sehe aber auch die demokratischen Parteien in der Pflicht. Beispiel CO2-Preis: Es drohen, wenn nicht für einen sozialen Ausgleich gesorgt wird, massive Verteilungskämpfe, die die Abstiegsängste von Bürgerinnen und Bürgern eher noch anheizen. Und genau das ist es ja, was sie den rechten Bauernfängern in die Arme treibt. Genau deswegen müsste ein sozialdemokratischer Bundeskanzler es doch als seine Kernaufgabe betrachten, eine soziale und ökologische Transformation ...

... also den Umbau der Gesellschaft in Richtung eines Wirtschaftens innerhalb planetarer Grenzen ...

... voranzubringen, und den sozialen Ausgleich nicht nur mitzudenken, sondern auch umzusetzen. Ein Klimageld, das die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung zumindest teilweise rückerstattet, könnte als eine Versicherung gegen "Härten im Wandel" dienen. Und wenn wir das Klimageld mit einem Regionalausgleich gestalten, sodass der Pendler ohne ÖPNV-Anschluss im unsanierten Haus auf dem Land mehr zurückerstattet bekäme als die mit Fahrrad und Fernwärme gesegnete Städterin, können wir vielleicht noch ein paar der unterschiedlichen Herausforderungen in Städten und ländlichen Räumen adressieren und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken.  

Nicht nur die Ziele des Natur- und Umweltschutzes, auch die Organisationen selbst werden durch Rechtsextreme unterwandert, die den Schutz der "Heimat", sei es beim Kampf gegen Windräder oder gegen die Tesla-Fabrik, als Anknüpfungspunkt für rechte Ideologien missbrauchen. Wird auf regionaler Ebene genug getan, um sich abzugrenzen?

Wir hören tatsächlich aus unseren Mitgliedsverbänden, wie der Druck vor Ort wächst, wie sich Rechtsextreme anbiedern. Dies beginnt bei rechtsesoterischer Umweltbildung und endet noch lange nicht in Gruppierungen wie der Anastasia-Bewegung, die – so wie wir – für eine regionale, ökologische, sanfte Landwirtschaft eintritt, dies aber nicht wie wir mit biologischer und kultureller Vielfalt begründet, sondern eine völkische Landnahme durch ethnisch homogene Gemeinschaften anstrebt. Bei uns im DNR kommen auch immer wieder Hilferufe aus Organisationen, wenn sie Druck von AfD-Sympathisanten bekommen, man müsse sie doch endlich aufnehmen.

Was antworten Sie?

Unsere Position im DNR ist ganz klar: Naturschützer wählen keine Nazis – und wir kooperieren nicht mit Nazis. Ich mache mir übrigens bei den Leitungen unserer 100 Mitgliedsorganisationen überhaupt keine Sorgen, dass es irgendwo schwierig wird. Auch wenn manche Rechtsextreme vordergründig vorgeben, die gleichen Ziele zu verfolgen – zum Beispiel eine ökologische Landwirtschaft –, heißt das noch nicht, dass man gemeinsame Werthaltungen teilt. Diese Werthaltungen – Demokratie, Weltoffenheit, Nachhaltigkeit – sind in unseren Satzungen verankert. Und wir weisen unsere Mitgliedsorganisationen darauf hin, dass sie sich unter anderem mit Verweis auf ihre Satzungen abgrenzen oder Kooperationsangebote von Rechtsaußen ausschlagen können – und sollen. Die Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN) beispielsweise macht hier eine enorm wichtige Arbeit, weil ihre Referent*innen ganz konkret in Trainings mit Jugendgruppen gehen, um die jungen Leute auch argumentativ vorzubereiten. So etwas werden wir in Zukunft noch stärker brauchen.

Natur- und Umweltschutzorganisationen waren nicht schon immer Freunde von Vielfalt und Demokratie. Viele von ihnen haben während der NS-Zeit mit völkischen Ideologien "Heimatschutz" betrieben. Naturschützer und sogenannte "Landschaftsanwälte" begrünten Hitlers Autobahn und den Westwall ebenso wie das Vernichtungslager Auschwitz. Haben sich die Verbände mit ihrer Vergangenheit ausreichend auseinandergesetzt?

Es ist in der Tat so, dass der Naturschutz teilweise eine schwierige Vergangenheit hat. Wir kennen aus der dunkelsten Zeit Deutschlands Blut-und-Boden-Naturschutz, Organisationen, die sich sehr schnell angedient haben – und wir haben auch bei einem meiner Vorgänger als DNR-Präsident eine zentimeterdicke Entnazifizierungsakte gefunden. Ich muss sagen, dass ich durchaus stolz darauf bin, einer Organisation vorstehen zu dürfen, deren Mitglieder diese schwierige Vergangenheit in verschiedenen Studien aufgearbeitet haben und erstens zeigen konnten, dass es mit Ende des Zweiten Weltkriegs auch bei uns eine klare Zäsur im Naturschutz gegenüber braunen Tendenzen gab und dass sie zweitens auch aktiv Brandmauern eingezogen haben, damit sich so etwas nicht wiederholt.

Inwiefern?

Wir sehen heute, dass Organisationen wie Greenpeace helfen, rechte Machenschaften aufzudecken, schließlich haben sie die Correctiv-Recherche sogar mit angeschoben. Oder die Kolleg*innen von Campact, die mit Verve die Bündnisse für Demokratie unterstützen. Das zeigt für mich, wie hoch die Sensibilität mittlerweile ist. Und doch: Mit unseren Mitgliedsorganisationen vertreten wir elf Millionen Menschen in Deutschland. Hier wird es wichtig sein, wirklich bis in den letzten Ortsverein klarzumachen: Im Naturschutz ist kein Platz für Nazis.  

Steht die "Brandmauer nach rechts" im Natur- und Umweltschutz?

Ja, die Brandmauer steht, und wir tun alles dafür, um gemeinsam mit anderen Organisationen diese Brandmauer in der Gesellschaft insgesamt hochzuziehen. Wir führen unter anderem eine gemeinsame Videokampagne durch, mit der sich die Spitzen unserer Organisationen an die elf Millionen unserer Mitglieder wenden, um klarzumachen: Die Demokratie braucht dich jetzt. Das ist übrigens gar nicht so trivial, weil das Gemeinnützigkeitsrecht enge Grenzen vorgibt, für was sich die Organisationen engagieren dürfen. Hier sind wir als Dachverband gefordert, zu zeigen: Natur-, Klima- oder Tierschutz geht nicht ohne Demokratie.

Wie blicken Sie persönlich in die Zukunft?

Wäre ich kein Optimist, könnte ich mein Amt als Präsident dieses Verbandes nicht gut ausfüllen. Ich war allerdings als Mitglied von verschiedenen Regierungskommissionen immer wieder schockiert darüber, wie einfach gestrickt Politik doch häufig ist, wie eine kohärente Politik nicht selten einem nächtlichen Geschachere zum Opfer fällt. Wir wissen empirisch: Die Menschen sind bereit, Zumutungen in der Transformation zu ertragen. Dafür braucht es jedoch eine nachvollziehbare, gut erklärte und als fair empfundene Politik – sonst entwickeln sich Widerstände in der Bevölkerung. Nehmen Sie nur die Agrardieseldebatte: Hätte man statt in einem vermeintlich leichten Sektor sämtliche Dieselsubventionen gestrichen, wäre die Debatte ganz anders verlaufen. Wenn man aber nur einen Subventionstatbestand herausgreift, führt das natürlich zur Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten. Wir brauchen mehr Kohärenz und Gerechtigkeit.

Und Mut zu Veränderungen?

Auf jeden Fall. Ich bin überzeugt, dass der Ansatz des Bundeskanzlers: "Für euch wird sich nichts ändern, ich organisiere das", nicht funktionieren wird. Es wäre deutlich wichtiger, die Menschen zu befähigen, sie also von Objekten zu Subjekten der Transformation zu machen. Dass alle Zumutungen ertragen müssen in dieser Transformation, ist doch völlig klar. Aufgabe der Politik wäre es in dieser Umbruchsphase, den Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit mit auf den Weg zu geben und sie aber gleichzeitig zu befähigen, Teil des Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft zu werden.

Was, wenn Ihr Optimismus trügt?

Nachdem die Deportationsfantasien bekannt geworden waren, kam mein 13-jähriger Sohn zu mir und fragte: Papa, glaubst du, dass das mit den Nazis wieder passieren kann? Ich habe ihm gesagt, ich würde gerne mit einem klaren Nein antworten. Aber ich könne es nicht. Demokratie sei eine Aufgabe, die wir alle gemeinsam leben und verteidigen müssen. Er hat dann mit seinen Schulfreunden eine Demonstration organisiert, um zu fordern, dass 1933 in den Schulbüchern bleiben muss und sich nicht wiederholen darf. Die Offenlegung des widerlich rechtsextremen Gedankenguts der Demokratiefeinde führt offensichtlich dazu, dass viele Menschen aufwachen und für ihre, für unsere gesellschaftlichen Lebensgrundlagen eintreten. Das macht Mut.
 

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