Dieser Ort ist magisch. Um zu ihm zu gelangen, muss man sich auf eine Reise einlassen, gefasst auf das Besondere, das in der Tiefe darauf wartet, entdeckt zu werden. Nicht viel weist auf den Ort hin. Nur eine grüne Pforte zu ebener Erde an einer Ausfallstraße. Öffnet sich die Pforte, gibt sie den Blick frei auf einen Raum mit der Aura einer Kapelle. Freunde der Römerzeit haben ihn im 19. Jahrhundert errichtet. Von dort geht es steile Treppen hinunter in die Tiefe.
Mit jeder Stufe wird es kühler, tönen die Schritte der Besucherinnen und Besucher dumpf auf den Trittsteinen. Geheimnisvolles Dämmerlicht umfängt die Menschen, die den Weg hierher finden. Am Ende der Treppe hängt eine hochgezogene Falltür über den Köpfen, mit der sich der Gang und die Kammer dahinter verschließen lassen – das Römergrab von Köln-Weiden.
Inmitten der Gruft, ein wenig aus deren Zentrum gerückt, steht ein mit Figuren reich verzierter Sarkophag. Die Wände der steinernen Kammer sind mit Nischen und Liegen versehen. Drei perfekt erhaltene Porträtbüsten sind hier aufgestellt. Auf den ersten Blick fast zu makellos, um echt zu sein. Doch die Skulpturen eines Mannes und zweier Frauen sind mehr als 1800 Jahre alte Originale.
Eines der besterhaltenen römischen Grabmäler nördlich der Alpen
Mehr noch: Die Kammer, in der eine reiche Gutsbesitzerfamilie seit der Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. ihre verstorbenen Angehörigen bestattete, zählt zu den besterhaltenen römischen Grabanlagen nördlich der Alpen. Ein Museum aber ist sie nicht. "Wir sind ein Erlebnisraum", betont der Archäologe Prof. Heinz Günter Horn, Denkmalschützer und zugleich Vorsitzender des Fördervereins Römergrab Weiden. "Im Museum sind die Objekte ihres Kontextes beraubt. Hier stehen sie genau an der Stelle, an der sie sich auch in der Antike befanden. Das gibt es sonst nirgendwo."
Das Grab liegt mitten an einer der Hauptausfallstraßen von Köln, der Aachener Straße – und das ist kein Zufall: Schon zu Zeiten der Römer gab es hier eine Fernstraße, die Via Belgica. Sie führte nach Belgien und weiter bis zur französischen Kanalküste.
Zu Zeiten der Römer säumten zahlreiche Grabmäler die Ausfallstraßen der Städte und Siedlungen
Da Tote zu römischer Zeit außerhalb der Stadt bestattet werden mussten, säumten Grabmäler die Fernstraßen. Die Reichen und Berühmten wollten noch im Tod zeigen, wer sie gewesen waren. Deshalb bauten sie möglichst prächtige Grabmonumente. Auch das Römergrab im heutigen Stadtteil Weiden besaß wohl einen überirdischen Teil, womöglich – darauf deuten ein paar Säulen hin – in Form eines Tempels.
Entdeckt wurde das Grab im Jahr 1843 bei Ausschachtungsarbeiten. Man erkannte die Bedeutung des Fundes sofort. Sicherte und bewahrte, was erhalten war, errichtete einen Schutzbau darüber und ein Wächterhaus gleich nebenan. Das Grab sollte öffentlich zugänglich sein, führte aber zuletzt eher ein Schattendasein.
Eine Zeitreise in die Ära der Legionäre und Gladiatoren
Dass es heute wieder zu besuchen ist, verdankt die Öffentlichkeit zahlreichen Ehrenamtlichen, die nach Jahren akribischer Arbeit nun wieder sicherstellen, dass das Grab an drei Tagen in der Woche besichtigt werden kann. Ein modern gestalteter Informationsbereich führt in Bild und Ton in die Welt der Römer ein, Ende Mai wird noch ein Erweiterungsbau mit Versammlungsraum und einem dahinter liegenden römischen Garten eröffnet. Unten aber soll alles weiter so aussehen wie zu Zeiten der Legionäre und Gladiatoren.
"Magisch, beinahe mystisch", beschreibt Horn die Atmosphäre in der Grabkammer, und er übertreibt nicht. Als die Neuerschließung vor einigen Jahren begann, gab es Bestrebungen, alles mit einer Glasscheibe zu versiegeln und die Besucher nur von außen hineinschauen zu lassen - schließlich ist das Grab auch eine Schatzkammer voller Kostbarkeiten. Doch dagegen hat sich Horn erfolgreich gewehrt: "Ich habe gesagt: Ich wette, dass sich die Leute hier unten benehmen". Und genauso ist es gekommen. Es ist die Atmosphäre des Ortes, die die Menschen still werden lässt.
Horn widerstand auch der Versuchung, den Raum mit Informationen zu überfrachten. "Die Leute sollen hier reinkommen und sich ganz von der Stimmung gefangen nehmen lassen. Mehr nicht."
Das Grab ist nicht nur ein Bestattungsort, es ist ein Speisezimmer
Die größte Überraschung indes sind wohl jene zwei Korbsessel mit Sitzkissen, die täuschend echt aus Kalkstein gearbeitet sind. Ihr Aussehen unterscheidet sich in nichts von heutigen Modellen. Eines Sommers ließ sich eine Besucherin sogar erschöpft auf einen der Sessel fallen, offenbar in der Annahme, der könne nun wirklich nicht antik sein.
In die Wände ringsum sind zum Liegen einladende Bänke eingelassen, römische Gräber gleichen oft Speiseräumen. Letzteres habe damit zu tun, dass man ein Grab zu römischer Zeit regelmäßig besucht und dort auch Festmähler abgehalten habe, erklärt Horn. Bei diesen Essen hatten die Menschen dann das Gefühl, ihren verstorbenen Verwandten besonders nahe zu sein.
Die drei Porträtbüsten im Grab stellen solche Familienmitglieder dar. Der Sarkophag aus Carrara-Marmor wurde um 300 n. Chr. für das Familienoberhaupt und seine Frau angefertigt – ein teures Importstück aus Italien, das sich nur die Allerreichsten leisten konnten, um ihr Andenken zu bewahren.
Immerhin: Das Geld war gut angelegt. Der Gutshof, den die Familie besaß, ist zwar bis heute nicht gefunden. Doch ihr Grabmal, in dem die Lebenden die Toten immer wieder besuchten und so die Erinnerung wachhielten, ist noch heute erhalten. Als Fenster in eine Welt von vor fast 2000 Jahren.