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100 Jahre Ausstellung Erst versteckt gehalten, dann gefeiert: Wie Nofretete nach Berlin gelangte

Besucher betrachten die Büste der Nofretete
Dichtes Gedränge: Die Büste der Nofretete zieht von Anfang an zahlreiche Besucherinnen und Besucher an. Als das Kunstwerk Anfang der 1930er-Jahre an Ägypten zurückgegeben werden soll, werden Repliken angefertigt
© Ullstein Bild via Getty Images
Vor 100 Jahren, am 1. April 1924, wurde die Büste der Nofretete zum ersten Mal öffentlich gezeigt. Elf Jahre lang blieb der Kopf der Königin unter Verschluss – weil sie auf umstrittenem Wege nach Berlin gelangt war

Die Zeitungen überschlagen sich mit Lobeshymnen. Eine "göttlich schöne Frau" sei in Berlin eingezogen, ein "Weib von großer Schönheit, mit großen und langen Augen, einem stolzen Munde und dem Halse einer Gazelle". Eine wahrhafte Königin. Ihr Name: Nofretete, im 14. Jahrhundert v. Chr. die Hauptfrau des Pharaos Echnaton.

Als die Öffentlichkeit am 1. April 1924 im Amarna-Hof im Neuen Museum in Berlin zum ersten Mal die Büste der Nofretete in Augenschein nehmen darf, ist die Begeisterung gewaltig. Schlagartig wird sie zu einem der berühmtesten Kunstobjekte der Welt. Kein moderner Bildhauer könne ein derart liebreizendes Porträt anfertigen, urteilt die Presse. Ja, Nofretete sei weit wertvoller als die "blödsinnig grinsende Mona Lisa" in Paris.  

Nofretetes aufsehenerregender Auftritt 1924 ist eine Premiere mit langem Vorlauf. Über elf Jahre hinweg hielten Wissenschaftler die Büste vor den Blicken eines breiten Publikums versteckt, denn sie war auf umstrittenen Wegen nach Berlin gelangt.

Ludwig Borchardt über Nofretete: "Beschreiben nützt nichts, ansehen."

Mittelägypten, am 6. Dezember 1912: Am Ostufer des Nils, in Amarna, wo sich einst die Hauptstadt Achetaton befunden hatte, gräbt sich der archäologische Vorarbeiter Muhammad Ahmad al-Sanusi behutsam durch eine Schicht Ruinen, erst mit einer kleinen Axt, schließlich mit den Händen.

Plötzlich zieht er ein 48 Zentimeter hohes und 20 Kilogramm schweres Kunstwerk aus dem Schutt: die Büste der Königin Nofretete. Der deutsche Grabungsleiter und Ägyptologe Ludwig Borchardt notiert entzückt: "Farben wie aufgelegt. Arbeit ganz hervorragend. Beschreiben nützt nichts, ansehen." Borchardt forscht seit 1911 in Ägypten, finanziert werden die Grabungen von dem Berliner Kaufmann James Simon, einem Kunstliebhaber und Sammler. 

Männer halten die Büste der Nofretete in die Höhe
Die Nofretete-Büste unmittelbar nach ihrer Entdeckung 1912: Auf dem Foto posieren Hermann Ranke (l.), Ludwig Borchardts Assistent, sowie der Architekt Paul Hollander und ein ägyptischer Arbeiter, dessen Name unbekannt ist
© akg-images

Neben dem Kalksteinkopf der Nofretete entdecken Borchardt und sein Team weitere Fundstücke, darunter in der früheren Werkstatt des Bildhauers Thutmosis 26 Büsten. Wie damals üblich, werden die Funde geteilt. Eine Hälfte bleibt in Ägypten, die andere darf ausgeführt werden. 

Allerdings: Ägypten ist damals kein souveräner Staat, sondern steht unter britischer Herrschaft. Für Ausgrabungen wiederum ist der Antikendienst unter französischer Leitung zuständig. Nicht Ägypten selbst, sondern französische Angestellte entscheiden, welche Kulturgüter das Land verlassen. "Archäologie war auch Imperialismus mit anderen Mitteln", schreibt der Historiker Sebastian Conrad in seinem neuen Buch "Die Königin: Nofretetes globale Karriere". Wissenschaft sei ein nationaler Feldzug gewesen.

 

In Amarna treibt das deutsche Ausgrabungsteam vor allem eine Frage um: Erlauben die Franzosen tatsächlich die Ausfuhr von Nofretetes Büste? Am 20. Januar 1913 findet die offizielle Fundteilung statt. Der zuständige Inspekteur Gustave Lefebvre muss sich zwischen zwei Sammlungsteilen entscheiden: demjenigen mit der Nofretete und dem mit einem Klappaltar mit Inschriften. 

Lefebvre wählt den Altar – der Nofretete-Kopf darf nach Berlin. Es ist eine Entscheidung, die Fragen aufwirft. Erschien dem Franzosen, einem Altphilologen, der Altar mit den Inschriften schlicht interessanter als die bunte Nofretete-Büste? Oder hat der deutsche Ägyptologe Borchardt die Büste versteckt, vielleicht sogar mit Schmutz besprengt, um ihren wahren Wert zu verschleiern? 

Angeblich hat Lefebvre Nofretetes Büste nie zu Gesicht bekommen

Schnell werden Vorwürfe laut, Borchardt hätte die Franzosen getäuscht. Nur "durch List und Betrug" sei Nofretete nach Berlin gekommen, wird Willy Diemke, ein früherer Mitarbeiter des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo, Jahrzehnte später vermerken. Und Bruno Güterbock, bei der Fundteilung 1913 als Sekretär der Deutschen Orient-Gesellschaft zugegen, bekräftigt: Lefebvre hat die Büste nie zu Gesicht bekommen. Bei der Aufteilung der Funde seien die Kulturgüter bereits in Kisten verpackt gewesen, sodass der Franzose seine Entscheidung lediglich anhand von Fotografien getroffen habe.  

Fest steht: 1913 in Berlin angekommen, wird Nofretete nicht etwa der Öffentlichkeit präsentiert – sie wird unter Verschluss gehalten. "Da Borchardt sich der Legitimität seines Handelns nicht ganz sicher sein konnte, verbarg er die Büste so gut wie möglich und suchte ihre öffentliche Zurschaustellung zu verhindern", schreibt der Historiker Conrad. Offensichtlich befürchtet der Ägyptologe, die Altertumsbehörde in Kairo würde Nofretete zurückverlangen. 

In einem Bericht über seine Amarna-Expedition erwähnt Borchardt die Königin zwar und zeigt ein Bild, aber: "Der Ausschnitt ist so gewählt worden, dass man daran die ganze Schönheit der Büste nicht sehen kann", sagt er später einmal. Die Fotografie "genügt aber, um nötigenfalls jedes spätere Gerede von Dritten über Geheimhaltung zu widerlegen."

Als die Büste zurückgegeben werden soll, schaltet sich Hitler ein

So steht der Kopf der Nofretete zunächst jahrelang auf dem Schreibtisch von James Simon, dem großen Finanzier der Expedition und Eigentümer aller nach Deutschland verbrachten Funde aus Amarna. Ganz verborgen bleibt das Kunstobjekt jedoch nicht: Kaiser Wilhelm II. besitzt eine Nachbildung aus Stein, die er einzelnen Gästen zeigt, zudem existieren Fotografien der Büste. Eine weitere Geheimhaltung scheint zwecklos: 1920 schenkt James Simon den Kunstschatz dem Ägyptischen Museum in Berlin, das bald darauf Pläne für eine Ausstellung schmiedet.

Blick in den Amarna-Hof im Neuen Museum
Um die Nofretete-Büste sowie die weiteren Funde aus Amarna angemessen in Berlin präsentieren zu können, wird das Neue Museum umgebaut. Ab 1924 ist die Büste im neu geschaffenen "Amarna-Hof" zu sehen
© akg-images / picture alliance

Kaum ist die Büste ab dem 1. April 1924 öffentlich ausgestellt, werden Borchardts Befürchtungen wahr: Noch im gleichen Jahr fordert der französische Direktor des ägyptischen Antikendienstes die Rückgabe des Kunstobjekts an Kairo. Tatsächlich einigen sich das Berliner Museum und der Antikendienst nach jahrelangen Verhandlungen auf einen Tausch: Die Büste der Nofretete gegen die lebensgroße Statue des Ranefer, eines Beamten des Alten Reiches. 

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Und fast wäre der Handel auch vollzogen worden – hätte im Herbst 1933 nicht Adolf Hitler eingegriffen. "Ich kenne diese berühmte Büste. Ich habe sie schon oft betrachtet und bewundert", erklärt er. "Sie ist ein einzigartiges Meisterwerk, ein Juwel, ein wahrer Schatz." Hitler will für Nofretete sogar ein eigenes Museum bauen lassen – und stoppt deren Auslieferung kurzerhand. Damit bleibt das berühmte Kunstobjekt zwar in Berlin, die Diskussion aber, wem die Büste gehört und wo sie ausgestellt sein sollte, hält bis heute an.

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