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Archäologie Sensationsfund aus der Bronzezeit: Das Geheimnis des Wracks von Uluburun

Ein offenes Holzschiff mit breitem Segel und elf Männern an Bord auf dem Meer, vor einem Küstenstreifen
Meisterwerk der Baukunst: Das Schiff, das möglicherweise von Ugarit im heutigen Syrien zu seiner letzten Fahrt in See stach, bestand aus millimetergenau zusammengesetztem Zedernholz und war 15 Meter lang und fünf Meter breit. An Bord waren vermutlich mindestens elf Männer
© Tim Wehrmann für GEO EPOCHE
Beladen mit Kostbarkeiten aus der halben antiken Welt sank um 1300 v. Chr. ein Segler im Mittelmeer, der von der Levanteküste kam. Jahrtausende später wurde das Wrack unweit der Landzunge von Uluburun im Süden der Türkei entdeckt – einer der bedeutendsten archäologischen Funde aller Zeiten

Vor mehr als drei Jahrtausenden segeln wohl mindestens elf Männer in ihr Verhängnis und ahnen es nicht mal. Wir müssen uns einen Tag um das Jahr 1300 v. Chr. vorstellen, irgendwann zwischen Mai und September, der idealen Zeit, um sich aufs Mittelmeer zu wagen: klare Sicht, sanfte Wellen, kein Sturm. Steuerbords erstreckt sich die felsige Südküste Anatoliens, kaum 50 oder 100 Meter entfernt.

Das Schiff – kein Mensch kennt heute mehr seinen Namen – ist ein Meisterwerk des Bootsbaus, 15 Meter lang, fünf Meter breit. Kiel und Planken des Rumpfes sind aus libanesischer Zeder, Zapfen aus Eichenholz halten die millimetergenau ineinandergefügten Einzelteile zusammen. Die Zimmerleute haben Spanten in den Rumpf eingesetzt, eine Art versteifendes Holzskelett. Am mittschiffs stehenden Mast bläht sich ein an zwei Querstangen befestigtes Rahsegel aus Stoff, das mit eingewirkten Lederriemen verstärkt ist. Straffe, aus Pflanzenfasern gedrehte Taue fixieren den Mast. Mit weiteren Leinen wird das Segel gesetzt oder niedergeholt sowie in optimale Stellung zum Wind gedreht.

Der Kiel ist flach und so solide, dass das Schiff auf Sand auflaufen könnte, ohne Schaden zu nehmen. Aber er geht nicht sehr tief, bietet dem Wasser kaum Widerstand. Das Schiff kann nicht kreuzen, nicht im Zickzackkurs gegen den Wind ankommen. Es kann vor dem Wind segeln, also mit dem Wind im Rücken, wahrscheinlich auch noch auf einem Halbwindkurs – also mit dem Wind genau von der Seite. Es liegt tief im Wasser, denn es ist voll beladen. Vielleicht gar zu voll …

Unter den Passagieren waren auch Adelige

Vier der womöglich elf Menschen an Bord sind einfache Seeleute. Einer oder zwei von ihnen stehen am Heck und halten mit den zu beiden Seiten befestigten Steuerrudern Kurs, einer sitzt als Ausguck rittlings oben auf der Rah. Ein anderer flickt vielleicht irgendwas, auf See gibt es immer etwas zu flicken, oder vertreibt sich die Zeit mit Spielsteinen aus Knochen. Neben dem Kapitän gehören noch drei weitere Personen von höherem Rang zur Besatzung, bärtige Männer aus Kanaan, einer Gegend ein paar Tagesreisen weiter südöstlich an der Küste Vorderasiens. Routinierte Segler, die diese Route wohl schon oft befahren haben. Sie stehen womöglich gerade auf einem etwas höher gelegenen Deck im Heck, unweit der Steuerruder.

Hier, im hinteren Teil des Schiffes, haben sie auch bronzene Schwerter und eine Schatzkiste mit Gold- und Silberstücken verstaut. In manchen Häfen teilen sie ein wenig von den Edelmetallen ab, um damit etwa Vorräte oder neue Waren einzukaufen.

Man kann sich den Kapitän vorstellen, wie er das Meer und die Küste nach Gefahren absucht. Oder vielleicht unterhält er sich mit seinen Passagieren: Zwei von ihnen sind Adelige aus einer der mykenischen Palaststädte im heutigen Griechenland, vielleicht gar von königlichem Geblüt. Der dritte Reisende ist ein geheimnisvoller Fremder irgendwo noch weiter aus dem Norden. Auch die drei Passagiere haben ihre Habe im Heck verstaut: mykenische Schwerter, einen Dolch, einen metallenen Streitkolben (eine Art massive Keule), Schmuckperlen aus bunter ägyptischer Fayence.

Skulptur einer stehenden Frau mit schwarzem Körper, deren Kopf, Hände und Füße vergoldet sind
Über 3000 Jahre nach dem Untergang des Schiffes bargen Expertenteams Tausende Objekte aus dem Wrack – etwa diese gut 16 Zentimeter hohe, einst wohl vollständig vergoldete Bronzestatuette einer stehenden Frau
© Ünsal Yalçın, Deutsches Bergbau-Museum Bochum

Vermutlich ist bis zum Horizont kein anderes Segel zu sehen, ganz sicher lauern keine Piraten an diesem anatolischen Kap, denn sonst hätten die Kanaaniter und ihre Passagiere längst die Waffen gezückt. Kein Riff scheint zu drohen, unter dem Kiel ist das Wasser wohl 40, 50, 60 Meter tief. Keine schwere Welle, keine starke Böe trifft offenbar den Segler. Die schwere Fracht ruht sicher im Bauch des Schiffes, so wie sie im Hafen eingeladen worden ist.

Das älteste je gefundene Überseeschiff

Und doch schlägt das Schicksal an diesem Tag vor mehr als drei Jahrtausenden plötzlich zu. Was genau geschieht, wird wohl für immer mysteriös bleiben: Offenbar ohne Vorwarnung sinkt das Schiff wie ein Stein in die Tiefe, mit mehr oder weniger intaktem Rumpf und seiner gesamten Ladung. Es kentert nicht, zerbricht nicht – es verschwindet einfach im Meer. Möglich, aber das ist pure Spekulation, dass unter dem Druck der tonnenschweren Fracht eine der so sorgfältig gefügten Planken nachgegeben hat und dass durch dieses Leck große Mengen Wasser in kürzester Zeit in den Rumpf strömen.

Stellen wir uns einen Augenblick der Verwirrung und Panik vor, und schon im nächsten Moment schwimmen mindestens elf Menschen um ihr Leben, und die Küste, die eben noch so nah schien, ist auf einmal fürchterlich weit weg.

Mehr als hundert Generationen später – 1982 – kreuzen andere Seefahrer vor derselben anatolischen Küste: türkische Schwammtaucher. Mehmet Çakır, einer aus der Crew, sucht vor der Landzunge namens Uluburun in mehr als 40 Meter Tiefe den Meeresgrund nach Schwämmen ab. Zufällig bemerkt er seltsame Metallstücke auf dem Boden, sie sind flach und breit, von Salzwasser angefressen, ihre Ecken stehen weit hervor, sodass ihre Form entfernt an abgezogene Ochsenhäute erinnert. Çakır meldet den Fund seinem Kapitän, der wiederum Wissenschaftler informiert – und so werden das Wrack, die Ladung und die Habseligkeiten der bronzezeitlichen Seefahrer gefunden, die über drei Jahrtausende auf dem Meeresgrund versteckt gewesen waren.

Archäologenteams bergen den gewaltigen Fund in einer titanischen Arbeit: Zehn Jahre, 22 413 Tauchgänge, am Ende haben sie dem Meer über 18 000 Objekte mit einem Gesamtgewicht von beinahe 17 Tonnen entrissen, vom goldenen Skarabäus mit dem Namen der berühmten ägyptischen Königin Nofretete bis zum Splitter einer Holzplanke. Das Schiff von Uluburun ist das älteste jemals gefundene Überseeschiff.

Die Fracht war wertvoll – und toxisch

Jene Metallbarren, die dem Taucher Çakır als Allererstes aufgefallen waren, haben über Jahrhunderte hinweg die wenigen Quadratmeter Meeresgrund verseucht, auf denen sie ruhten, denn Kupfer ist von Natur aus giftig. Es hat Bohrwürmer, Material zersetzende Mikroorganismen, sowie anderes Meeresgetier ferngehalten. So ist dieser namenlose Segler wegen seiner ebenso reichen wie toxischen Fracht zu einer der bedeutendsten archäologischen Entdeckungen aller Zeiten geworden, zu einem Jahrhundertfund.

Forschende haben in langwieriger Detektivarbeit seine fatale Reise rekonstruiert und datiert, haben die Schätze an Bord identifiziert und den Weg der Ladung zurückverfolgt, haben den möglichen Heimathafen und die Werft ermittelt und sogar ein Stück weit das Geheimnis um die Menschen an Bord gelüftet. Analysen von Resten geladenen Brennholzes beweisen, dass der Segler ziemlich genau um das Jahr 1300 v. Chr. untergegangen sein muss. So kann man mit dem Schiff von Uluburun heute gewissermaßen eine Reise zurück in die letzte große Blüte der Bronzezeit unternehmen – und in eine frühe Hochphase der mediterranen Seefahrt.

Das Holzschiff fährt mit geblähtem Segel über einen Wellenkamm, begleitet von dutzenden Möwen in der Luft
Das Rahsegel aus mit Lederriemen verstärktem Stoff ließ den flachen und stabilen Kiel des Schiffs zügig durchs Wasser gleiten – obwohl im Rumpf unter anderem rund elf Tonnen Kupfer und Zinn lagerten. Genug Rohstoffe, um bronzene Waffen für eine ganze Armee zu fertigen
© Tim Wehrmann für GEO EPOCHE

Schon seit jeher wagt sich der Mensch auf Flüsse, Seen und wohl auch Küstengewässer. In der Steinzeit nutzt er bereits Einbäume oder Flöße, angetrieben von Paddeln oder Stöcken, fährt zum Fischfang hinaus, transportiert Lasten. Seit mindestens 10 000 Jahren bauen Menschen technisch ausgereifte Boote, und einige Jahrtausende später fängt Homo sapiens auch den Wind als Antriebsquelle ein: 7000 Jahre alte Felszeichnungen aus Nubien (heute Sudan) sind wohl die ältesten Belege für die Verwendung von Segeln.

Vermutlich fertigen ägyptische Handwerker vor mindestens 6000 Jahren erstmals Nilboote aus Planken an, die frühesten Funde stammen aus dem Königsfriedhof bei Abydos. Statt aus einem (Einbaum) oder mehreren Stämmen oder Schilfbündeln (Floß) fügen sie den Rumpf aus dünnen Brettern zusammen. Das spart Material, zugleich werden Boote größer und leichter – wenn man denn präzise arbeitet. Planken müssen, je nach ihrer Position im Rumpf, jeweils genaue Maße einhalten. Ihre Kanten werden mit Nut und Feder gearbeitet, damit sie ineinandergreifen. (Eine Nut ist eine kleine Vertiefung in der Schmalseite eines Bretts. Eine Feder ist eine Erhöhung auf der Schmalseite eines anderen Bretts oder ein Holzteil, das bereits in eine Nut eingesetzt ist. Die Bretter werden dann an ihren Schmalseiten zusammengefügt, indem die Feder des einen Bretts in die Nut des anderen Bretts gesteckt wird.)

Oft werden beide Bretter zudem seitlich durchbohrt und mit Holzdübeln, Metallklammern oder Seilen zusätzlich zusammengehalten. Durch kleine, eingebohrte Löcher werden die Verbindungen von Planke zu Planke eingeführt. Alles aufwendige Millimeterarbeiten, die sich, zumindest in größerem Stil, wohl auch dank scharfer Metallwerkzeuge präziser und schneller erledigen lassen. Zuerst sind diese aus Kupfer, dann aus Bronze.

Der Seehandel nahm an Bedeutung zu 

Denn in der Bronzezeit revolutioniert sich der Schiffbau wie kaum je sonst in der Geschichte. Erst jetzt werden so viele Waren über das Mittelmeer transportiert, dass dafür Einbäume oder Flöße nicht mehr reichen, und erst die Bronze ermöglicht Werkzeuge, mit denen Segelschiffe von zuvor nie geschauter Größe gebaut werden können.

Mindestens seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. werden die ineinandergefügten Planken mit Pflanzenfasern vernäht. Spätestens ab etwa 2500 v. Chr. sind zwei Steuerruder am Heck bekannt. Neben der Cheopspyramide haben Archäologen eine mehr als 4500 Jahre alte, 45 Meter lange Barke geborgen, sie ist ein Beispiel vollendeter ägyptischer Schiffsbaukunst und aus importiertem Zedernholz gefertigt. Die einheimischen Hölzer Ägyptens wie Sykomore oder Akazie taugen vielleicht noch für normale Nachen, allerdings nicht für derart große Wassergefährte wie das Boot des Cheops.

Zwar befahren Schiffe aus Ägypten schon in der Pyramidenzeit die angrenzenden Meere. Doch die ersten Seefahrer, die dort und dann auch weiter westlich im großen Stil Seehandel treiben, sind andere, und sie kommen Jahrhunderte später.

Ein Schmuckstück aus Gold in Form eines dicken Skarabäus-Käfers
Der Skarabäus galt in Ägypten als Abbild des Sonnengottes, ein Schmuckstück in Form des Käfers mithin als Glücksbringer. Diese Preziose aus purem Gold trägt den Namen der Königin Nofretete
© Ünsal Yalçın, Deutsches Bergbau-Museum Bochum

In der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. gleicht das östliche Mittelmeer einem riesigen Marktplatz zwischen Hochkulturen: Ägypten im Süden. Über Palästina und Syrien im Osten erreichen Waren aus den mesopotamischen Reichen die Küste, aus Babylon, Assyrien, Mittani. Die Hethiter beherrschen Anatolien im Nordosten. Griechenland und Kreta im Nordwesten sind Heimat der mykenischen Könige, die die vormalige Seemacht der Minoer unterworfen und deren Handel mit Luxusgütern übernommen haben.

Zedern lieferten ideales Bootsmaterial

Zweifellos mächtige Staatsgebilde. Doch das Meer zwischen diesen Reichen wird zumeist von Seeleuten bezwungen, die aus kleinen Stadtstaaten wie etwa Ugarit aufbrechen, aus Häfen an der Küste von dem, was heute Syrien, Libanon und Israel sind. Sie sind Angehörige eines semitisch sprechenden Volkes, das in den Texten der Bibel als „Kanaaniter“ bezeichnet wird. (Eine Bezeichnung, die der Einfachheit halber auch hier verwendet werden soll.) Buchten und Landzungen formen hier in der Levante natürliche Häfen, flache Sandstrände sind ideal, um Schiffe zu bauen oder zu reparieren und anschließend ins Wasser zu schieben. Vor allem aber gedeihen in diesem Teil des Nahen Ostens Zedern, aus deren Stämmen sich lange Bretter sägen lassen und deren Holz besonders widerstandsfähig ist – ideales Bootsmaterial.

In Homers „Odyssee“ wird beschrieben, wie der mythische Seefahrer Odysseus sein Schiff baut. Zwar ist das ein griechisches Epos späterer Zeit, doch liest es sich wie das vielleicht älteste Protokoll antiker Schiffszimmerer: Mit dem Holz von 20 Bäumen fügt Odysseus Planken „wohl aneinander“, baut Mast, Segel, Steuerruder, als Werkzeuge dienen ihm Axt, Beil und Bohrer. 20 Bäume für ein einziges Schiff – das ist im von Wüsten umschlossenen Ägypten und seinen eher minderwertigen Holzarten kaum machbar. Wohl aber in der Levante.

Wann und wo genau die Kanaaniter lernen, lange vor Odysseus aus Zedern und dem Holz anderer Bäume Planken zusammenzufügen, Rahsegel zu nutzen und Schiffe zu steuern, verliert sich im Dunkel der Geschichte. Irgendwann während des 2. Jahrtausends v. Chr. jedenfalls durchkreuzen die Kanaaniter das östliche Mittelmeer über Zypern hinaus und stoßen westlich wahrscheinlich bis mindestens nach Sardinien vor.

Um 1400 v. Chr. wird in Theben auf einer Wandmalerei im Grab des hohen ägyptischen Würdenträgers Kenamun ein zu diesem Zeitpunkt bereits voll entwickeltes kanaanitisches Überseeschiff verewigt. Das Bild zeigt den bauchigen Rumpf mit Doppelruder und Mast, Männer laden im Hafen Amphoren und Krüge aus, bärtige Gestalten geben Kommandos, und oben auf der Rah sitzt einer der Seeleute als Ausguck und betrachtet die Szene – es ist das exakte Abbild eines Schiffs wie jenes von Uluburun.

Forschende fanden 24 Steinanker

Dass dieses tatsächlich aus Kanaan stammen könnte, darauf deuten auch andere Funde hin: Aus dem Wrack wurden 24 Steinanker geborgen. Das sind grob in viereckige Form zurechtgehauene Sandsteinbrocken mit einem Loch in der Mitte, durch das ursprünglich ein Tau geführt wurde. Wirft man sie über Bord, halten sie durch ihr schieres Gewicht ein Schiff am Platz – der schwerste Anker des Uluburun-Schiffes wiegt mehr als 200 Kilogramm. Solche Sandsteine kommen an vielen Stellen der Levante vor. Unwahrscheinlich, dass man die zentnerschweren Ungetüme irgendwo herausgemeißelt und dann weite Strecken über Land zur Werft geschleppt hätte. Viel eher sind sie genau dort, wo auch das Schiff gebaut wird, direkt hergestellt worden. Als Forschende die Anker des Wracks analysieren, stellen sie fest, dass das Material aus einem Steinbruch an der levantinischen Küste, womöglich aus der Nähe einer kanaanitischen Stadt stammt, deren antiken Namen niemand mehr kennt: Tell Abu Hawam wird der Ort heute genannt, er gehört zum israelischen Haifa. Auch der Ton, aus dem einige Öllampen an Bord gefertigt worden sind, wurde einst in der Gegend abgebaut.

So ist das Schiff von Uluburun also wohl ein kanaanitischer Segler, der im heutigen Nordisrael gebaut und auch mit Seeleuten von dort bemannt worden ist. Nur: Die Fracht auf diesem Schiff ist viel zu reich und vielgestaltig für diesen kleinen Ort. Es ist bloß eine leichte Übertreibung, zu behaupten: Dieser Segler hatte Schätze aus der halben antiken Welt an Bord.

Im Rumpf sind einst mehrere Lagen hoch 354 Kupferbarren verstaut worden, die meisten etwa 24 Kilogramm schwere Platten mit vorkragenden Ecken, die Trägern als Griffe dienten – die ersten Objekte, die dem türkischen Schwammtaucher ins Auge fielen. Die einzige bis heute bekannte Gussform solcher Barren ist im syrischen Ugarit entdeckt worden, die insgesamt zehn Tonnen Kupfer jedoch wurden, das beweisen chemische Analysen, durch die Verhüttung von Erz aus zypriotischen Bergwerken gewonnen. Vielleicht ist das Metall per Frachtsegler von Zypern bis Ugarit transportiert und dort in die spezielle Form gebracht worden, denkbar aber auch, dass man die Barren auf Zypern gegossen hat. Kupfer jedenfalls ist eines der beiden Metalle der Bronzelegierung und damit so etwas wie das Öl der Epoche: der Rohstoff, nach dem immer mehr Menschen verlangen. Barren dieser Form sind beispielsweise noch in Bulgarien und Süddeutschland aufgetaucht.

Der andere Rohstoff zur Bronzeherstellung ist Zinn – und auch das war geladen, mindestens eine Tonne davon. (Schwer zu schätzen heute, denn die Zinnbarren wurden durch das Meerwasser stark angegriffen.) Das Zinn stammt womöglich aus dem Taurusgebirge Anatoliens oder aus Afghanistan, jüngste Analysen weisen gar nach Tadschikistan. So oder so: Es muss über weite Strecken bis in einen levantinischen Hafen gelangt sein.

Auf dem Deck eines Holzschiffs sitzen eine Frau und mehrere Männer, im offenen Laderaum lagern viele Amphoren und volle Körbe
Neben den bärtigen Seeleuten waren wohl auch hochgestellte Passagiere an Bord. Ihnen gehörte ein Teil der Ladung, bronzene Schwerter etwa, Schmuckperlen, Gold und Silber. In Tonkrügen transportierte der Segler zudem Granatäpfel, Oliven, Kreuzkümmel, Koriander, Mandeln, Feigen
© Tim Wehrmann für GEO EPOCHE

Zehn Tonnen Kupfer, eine Tonne Zinn: Daraus könnte man genügend Bronze gewinnen, um 300 Helme, 300 Brustpanzer, 3000 Speerspitzen und 3000 Schwerter zu schmieden – dieser eine Segler hatte Material für eine ganze Armee an Bord.

Doch das sind längst nicht alle Rohstoffe, die geborgen wurden, man möchte kaum glauben, dass diese Fracht auf einem einzigen, 15 Meter langen Segler verstaut gewesen ist. (Vielleicht ist er gesunken, weil er überladen war?) Im Rumpf stapelten sich, und das ist bloß eine Auswahl, geschätzt 175 Glasbarren, insgesamt um die 350 Kilogramm. Das Glas stammt aus Ägypten und dem libanesischen Tyros, die bis zu 16 Zentimeter durchmessenden scheibenförmigen Barren sind kobaltblau, andere violett, türkis, bernsteinfarben. In Ägypten und dem mykenischen Raum wurden solche Rohlinge zu Schmuck weiterverarbeitet. In zehn riesigen Tonkrügen – sechs davon groß genug, dass ein Mensch dort hineinklettern könnte, man muss sie sich als Container der Bronzezeit vorstellen – sind unter anderem Reste von Granatäpfeln, Oliven, Kreuzkümmel, Koriander, Mandeln und Feigen gefunden worden, dazu Farbstoffe wie Purpurschnecken wohl aus Ugarit und gelbe Arsenblende, vermutlich aus einer syrischen Mine, sowie der Duftstoff Terebinthenharz aus Kanaan. Was nicht in den Riesenkrügen verstaut wurde, lagerte in einem von 155 kleineren Gefäßen (wie die großen auf Zypern hergestellt).

Auch Stoßzähne und Straußeneier waren an Bord

Im Rumpf lagen zudem 18 jeweils etwa einen Meter lange Ebenholzstämme aus Ostafrika, die traditionellerweise im Land der Pharaonen oder in den mykenischen Reichen zu Truhen und Bettgestellen getischlert wurden; auch Elefantenstoßzähne, Eckzähne von Nilpferden und Straußeneier waren geladen.

Womöglich hatte der kanaanitische Kapitän seine reichhaltige Fracht in einem sogenannten Diptychon festgehalten, einer Art Notizbuch. (Das im Wrack geborgene Exemplar ist damit so etwas wie das älteste Notizbuch der Welt.) Zwei Holzbretter werden durch drei Elfenbeingelenke in der Mitte zusammengehalten. Klappt man dieses „Buch“ auf, sah man ursprünglich zwei in das Holz eingelassene Wachstafeln, in die man mit einem Griffel Notizen machen konnte. Homers „Ilias“ erwähnt ein Diptychon, im irakischen Nimrud ist einer von Archäologen gefunden worden, in der hethitischen Hauptstadt Hattuscha wurde ein passender Griffel geborgen: Notizen, Listen, überhaupt die Bürokratie sind in der Bronzezeit allgegenwärtig. Wie schade, dass zwar Holz und Elfenbein überdauerten, nicht jedoch das Wachs die mehr als drei Jahrtausende im Meerwasser überstanden hat. So wird niemand je diese Notizen lesen.

Notizen, die vielleicht nicht bloß die Rohstoffe, sondern auch die kunsthandwerklichen Schätze verzeichnet hätten: Kästchen aus Elfenbein, Silber- und ägyptischer Fayence-Schmuck sowie insgesamt mehr als ein halbes Kilogramm Gold. Die gut 16 Zentimeter hohe Bronzestatuette einer stehenden Frau mit ausgestreckten Armen befand sich beispielsweise einst an Bord, ihr Kopf, ihre Hände, ihre Füße sind bis heute goldüberzogen. Dem Stil nach muss die Figur im kanaanitischen Raum von einem Künstler gefertigt worden sein. Forschende können bloß spekulieren: Ist die namenlose Schöne eine kanaanitische Göttin, die das Schiff beschützen sollte? Oder ist sie das Abbild einer nahöstlichen Prinzessin und wurde als Staatsgeschenk an einen anderen Hof geschickt? Sie wäre nicht die einzige Frau von hoher Geburt, deren Spur mit dem Wrack von Uluburun wieder aufgetaucht wäre.

War der Schmuck für die Pharaonin?

Taucher fanden auf dem Meeresgrund mehrere Skarabäen, einen aus Knochen oder Elfenbein, andere aus verschiedenen Edelsteinen geschnitzt und einen aus purem Gold. Der Skarabäus gilt in Ägypten als Abbild des jugendlichen Sonnengottes, Schmuckstücke in Form des Käfers dienen als Amulett oder Glücksbringer – und das Exemplar aus Gold trägt in Hieroglyphen den Namen der Nofretete. Ist diese Preziose ebenfalls eine Fracht, die in die Fremde geschickt worden war, womöglich von der berühmten Pharaonin selbst? Das Schiff muss vielleicht noch zu ihren Lebzeiten oder kurz danach untergegangen sein. Aber an wen sollte Nofretete den Skarabäus geschickt haben? Oder hat gar jemand an Bord dieses Goldstück als persönlichen Besitz getragen? Doch wer mag das gewesen sein?

Überhaupt, die Fracht und ihr Ziel: Kupfer von Zypern, Zinn aus Zentralasien, Elfenbein aus Afrika, Glas aus Ägypten, Schmuck, Waffen, Schätze aus dem mykenischen Bereich, Assyrien und dem mesopotamischen Kassitenreich – wo und warum ist dies alles auf einem einzigen Schiff aus Kanaan geladen worden? In welchem Hafen? Und: Wohin sollte diese Reise denn gehen?

Ein goldener Pokal mit angenietetem Trichterfuß aus dem Wrack von Uluburun
Auch diesen goldenen Pokal mit angenietetem Trichterfuß konnten die Unterwasserarchäologen und -archäologinnen sicherstellen. Insgesamt führten sie in zehn Jahren 22 413 Tauchgänge durch – und holten dabei mehr als 18 000 Teile mit einem Gesamtgewicht von beinahe 17 Tonnen an die Oberfläche
© Ünsal Yalçın, Deutsches Bergbau-Museum Bochum

Die kanaanitischen Seefahrer werden sicherlich Winde und Strömungen gekannt und ihre Routen entsprechend geplant haben. Im östlichen Mittelmeer ist es sinnvoll, den vorherrschenden Strömungen folgend in einem großen Kreis entgegen dem Uhrzeigersinn zu reisen: Wer in der Levante, etwa von Ugarit oder Tell Abu Hawam aus, Anker lichtet, richtet den Kurs zunächst nach Zypern, von dort weiter zur anatolischen Küste und dann bis zum griechischen Festland. Von dort geht es nach Kreta, Richtung Süden über das offene Meer zur libyschen Küste, östlich bis nach Ägypten – und schließlich zurück in den Heimathafen an der Levante.

Diesen großen Zirkel sind die Kapitäne vermutlich einmal, vielleicht zweimal pro Saison entlanggefahren, eventuell auch nachts. In Homers „Odyssee“ jedenfalls erteilt die Göttin Kalypso dem Helden Navigationsregeln nach den Sternen, rät ihm etwa, „den Blick auf den Bären gewendet“ zu halten, weil diese Konstellation „allein von allen sich nimmer im Ozean badet“, also nie unter den Horizont sinkt. Er solle den Bären „auf seiner Fahrt immer zur Linken behalten“. Ein Indiz dafür, dass antike Seefahrer sich an jenen Sternen orientieren, die sie mit bloßem Auge sehen können.

Das Schiff war vielleicht auf besonderer Mission

Das Schiff von Uluburun hat jedoch Waren aus allen Regionen an Bord – so, als wäre es den großen Kreis durchs östliche Mittelmeer bereits komplett abgefahren und hätte überall eingeladen, doch nirgendwo entladen, um sich anschließend von der Levante aus erneut auf die gleiche Reise zu begeben. Das ergibt allerdings überhaupt keinen Sinn. Und so mag man fragen: Ist dies vielleicht gar kein gewöhnlicher Frachter auf einer Rundreise durchs östliche Mittelmeer, sondern ein Schiff auf einer besonderen Mission?

Es sind die an Bord vorhandenen Waffen, die heutige Wissenschaffende an drei außergewöhnliche Passagiere auf dieser Reise denken lassen: Zwei prachtvolle Bronzeschwerter (und einige ebenfalls geborgene Schmuckstücke) sind Insignien der mykenischen Eliten. Neben diesen Waffen fand sich auch ein weiteres Schwert, wie es typisch ist für Krieger aus Nordgriechenland oder benachbarten Teilen des Balkans – war dieser dritte Mann vielleicht ein Söldner oder Leibwächter der Mykener? Oder ein weiterer Adeliger, der von sehr weit her angereist ist?

Noch zwei Indizien: Glas wurde wohl ausschließlich in Ägypten und der mykenischen Welt zu Schmuck verarbeitet. Das Ebenholz, ein sehr hartes Material, dürften nur spezialisierte Handwerker in ägyptischen oder mykenischen Palastwerkstätten zu Luxusgegenständen getischlert haben. Da das Wrack nördlich von Kanaan gefunden wurde, wird es vermutlich nicht Ägypten zum Ziel gehabt haben – eher könnte Mykene oder ein anderer Fürstensitz der mykenischen Kultur der Zielhafen gewesen sein.

In Ägypten und der Levante sind tatsächlich auf Tontafeln oder Papyrus geschriebene Briefe gefunden worden, die beweisen, dass mykenische Fürsten Delegationen über See geschickt haben, die Geschenke, Tribute oder Prinzessinnen und Prinzen als Hochzeitspartner in die Fremde brachten oder zurück in die Heimat geleiteten.

Eine Küste im Hintergrund, davor ein hölzernes Schiff mit mehreren Männern auf dem offenen Deck, die Manöver ausführen
Die südanatolische Küste in Sicht, schreckte ein Leck Besatzung und Passagiere auf. Womöglich hatte eine Planke unter der tonnenschweren Ladung nachgegeben. Wasser schoss in den Rumpf, das Schiff war verloren – gut möglich aber, dass sich die Menschen an Bord noch retten konnten
© Tim Wehrmann für GEO EPOCHE

Und wenn es vielleicht so gewesen ist? Das ist, man kann es nicht deutlich genug wiederholen, eine Spekulation, aber immerhin eine begründete. Stellen wir uns die letzte Reise des Schiffs von Uluburun so vor: Zwei mykenische Adelige, begleitet von ihrem Leibwächter, reisen in die Levante, um eine Fürstentochter abzuholen, die in eine mykenische Herrscherfamilie einheiraten soll – vielleicht eine Tochter aus Ugarit, der bedeutenden Seefahrerstadt und dem Ort, an dem das Kupfer für die Ladung in Barrenform gegossen worden ist.

Mit dieser Prinzessin geht ihr goldglänzendes Abbild an Bord, jene kleine Statue mit den ausgestreckten Händen. Und die Ugariter schicken reiche Gaben mit, Gaben aus der Heimat wie Glas und Farbstoffe, doch vor allem Preziosen, die sie zuvor aus allen Regionen zusammengeholt haben, mit denen sie Handel treiben: Schätze aus Mesopotamien, Anatolien und Zentralasien, die über Land bis in ihre Küstenstadt gelangt sind. Waren aus Afrika, die via Ägypten und dann über den Seeweg in die Levante kommen. Kupfer und Keramik von Zypern, jener Insel, die nur eine kurze Seereise entfernt ist.

Gab es ein Beiboot – und damit Rettung?

Stellen wir uns den Hafen von Ugarit vor und eine Szene, wie sie im Grab des Kenamun in Theben verewigt worden ist: Das womöglich in Tell Abu Hawan gefertigte Schiff liegt am Kai, die Besatzung macht es seefertig. Träger schleppen Waren aus Lagerhäusern an Bord, packen die Kupferbarren an den Haltegriffen an den Ecken und stapeln sie, ähnlich wie übergroße Dachschindeln, in überlappenden Reihen vor dem Mast. Andere bringen die Riesenkrüge, Zinn, Glas, Gewürze, Duftstoffe … Stellen wir uns zwei bewaffnete Mykener und ihren Leibwächter vor, die Gold, Silber, Elfenbein ganz besonders aufmerksam bewachen und sorgfältig im Heck verstauen lassen. Und stellen wir uns eine junge Frau vor, die am Tag der Abreise zum Kai geführt wird.

Wenn es denn so gewesen ist, dann sind an jenem fatalen Tag vor über drei Jahrtausenden nicht allein ein knappes Dutzend Männer an Bord gewesen, die in Form von Waffen, Spielsteinen und anderem Besitz materielle Spuren auf dem Meeresgrund hinterlassen haben – sondern zusätzlich eine Frau, wenn nicht gar mehrere Frauen. (Denn wäre eine Fürstentochter ohne Gefolge gereist?) Vielleicht sind Schmuckstücke und kleine Reste von Duft- undFarbstoffen deren einziges Zeugnis.

Ob die elf oder zwölf oder wie viele Schiffbrüchige es auch immer gewesen sein mögen, ob die Unglücklichen wohl die Katastrophe von Uluburun überstanden haben? Noch eine Spekulation, die letzte: 24 Steinanker lagen im Wrack, zwei davon sind viel zierlicher als die anderen. Sie sind ein Indiz dafür, dass dieses Schiff ein kleines Beiboot hatte (das mit leichteren Ankern auskommen konnte). Da von dem Beiboot aber ansonsten keine Spur gefunden worden ist, wäre es immerhin möglich, dass sich alle Menschen in ihm gerettet und das Land erreicht haben. Wenn das so wäre, dann hätten sie überlebt und ihre Reise sicherlich später fortgesetzt. Auf einem anderen Schiff.

Erschienen in GEO Epoche Nr. 123 (2023)

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