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Archäologie Rätselhafte Gräber: Bestatteten bereits Frühmenschen ihre Toten?

2013 wurden die Fossilien von Homo naledi in einer südafrikanischen Höhle entdeckt. Wissenschaftler*innen untersuchten die Überreste daraufhin an der Universität Johannesburg. Nach neuesten Erkenntnissen könnte der Fundort ein uralter Friedhof sein
2013 wurden die Fossilien von Homo naledi in einer südafrikanischen Höhle entdeckt. Wissenschaftler*innen untersuchten die Überreste daraufhin an der Universität Johannesburg. Nach neuesten Erkenntnissen könnte der Fundort ein uralter Friedhof sein
© ASSOCIATED PRESS | Robert Clark / picture alliance
Grabstätten verraten den Archäologen viel über untergegangene Kulturen. Woran glaubten die Menschen? Hatten sie eine Vorstellung von Vergangenheit und Zukunft? Nun berichten Forscher, sie hätten in Südafrika einen Friedhof der Homo naledi entdeckt. Das könnte das Verständnis von der Menschwerdung verändern.  

Die Kammer, in der die Archäologen die Knochen fanden, liegt weit vom Höhleneingang entfernt. Ein enger, dunkler, schwer zugänglicher Gang führt dorthin. Wer in die Kammer möchte, muss klettern, kriechen, sich durch Spalten quetschen. Die Kammer war kein guter Ort zum Leben – auch nicht vor 335.000 Jahren, für Vormenschen, die nur etwa 1,50 Meter groß wurden.

Die Knochen konnten also nicht zufällig in der Kammer gelandet sein. Das alles führte die Wissenschaftler*innen rund um den US-amerikanischen Paläo-Anthropologen Lee Rogers Berger zu folgendem Schluss: In dieser Höhle in Südafrika haben Hominiden ihre Toten bestattet.

Es wäre der älteste Nachweis für Bestattungsrituale bei menschlichen Vorfahren. Die Überreste von Homo Naledi wurden im Jahr 2013 geborgen und dann dem Stammbaum des Menschen hinzugefügt. Nun sind sich Berger und sein Team sicher: Die Hominiden mit Gehirnen so groß wie Orangen haben ihre Toten nicht nur entsorgt, damit sie keine wilden Tiere anlocken. Sie haben die Verstorbenen mit Ritualen in ein Jenseits begleitet. An den Wänden des Höhlensystems fanden die Forscher eingeritzte Dreiecke, Kreuze und Schraffuren – womöglich Zeichen und Symbole, die auf den "Friedhof" hinweisen.  

Auch Tiere trauern

In der Archäologie sind Überreste von Begräbnissen oft die einzig erhaltenen Zeugnisse früherer Kulturen. Und die Bestattungen gelten darüber hinaus noch als wichtiger Meilenstein in der Evolution des Menschen.

Als die frühen Menschen anfingen über den Tod hinaus Fürsorge für ihre Mitmenschen zu zeigen, waren sie vermutlich auch zu symbolischen und sozialen Handlungen fähig.

Die Trauer um die Verstorbenen allein unterscheidet Menschen nicht von Tieren. Es ist bekannt, dass Elefanten Totenwachen halten. Eine Gorilla-Mutter trägt ihr totes Kind tagelang umher. Wale schmiegen sich an tote Artgenossen. Manchmal bringen sie den Kadaver sogar an die Wasseroberfläche. Doch schlussendlich legen all diese Tiere die Verstorbenen irgendwo ab und ziehen weiter.

Nur die Menschen begannen irgendwann damit, die toten Körper zu waschen, zu rasieren, zu kämmen oder zu parfümieren. Sie bekleideten die Toten oder zogen sie aus, bedeckten sie oder schmückten sie. Begruben sie oder äscherten sie ein. Sie sangen Klagelieder und richteten eine Trauerzeit ein. Das alles gilt als typisch menschlich.

Ein Hinweis auf die Evolution des Denkens

Bestattungsrituale geben den Anthropologen Hinweise darauf, wann Menschen anfingen symbolisch und abstrakt zu denken. Um richtig zu trauern, mussten die Menschen über den Moment hinausdenken. Sie waren nun fähig sich an die Vergangenheit zu erinnern. Und sie stellten sich eine Zukunft vor, in der auch sie sterben werden.

Solch ein Denken – so zumindest die Annahme - ermöglichte es den Menschen auch erstmals, sich ihre Umwelt auf eine bestimmte Weise vorzustellen, zu beschreiben und zu verändern.

Ein Hinweis auf diese Evolution des Denkens liefert auch die Entwicklung von Sprache. Aber Sprache hinterlässt keine prähistorischen Spuren. Friedhöfe tun es. Indem Wissenschaftler alte Begräbnisstätten untersuchen, erfahren sie etwas über die soziale Ordnung, über kulturelle Werte und Weltanschauungen unserer Vorfahren. Die Pyramiden in Ägypten und uralte prächtige Gräber in Griechenland und China verrieten Archäologen eine Menge über die Vorstellungen und Wertesysteme in der antiken Welt.  

IMAGO / Greatstock  HOMO NALEDI; MAROPENG; SOUTH AFRICA MAROPENG; SOUTH AFRICA - 11 SEPTEMBER 2015: at Maropeng, near Johannesburg, South Africa. Homo naledi is arguably the most important fossil discovery on the continent as it appears that the human ancestor disposed of it™s dead, something thought to only be capable of modern day humans. PHOTOGRAPH BY DANIEL BORN/ GREATSTOCK GSE-DAN-01905102-002 PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY
Homo naledi lebte vor etwa 335.000 Jahren, er ist ein uralter Vorfahr der modernen Menschen. Forscher*innen vermuten nun, dass er schon zu abstraktem Denken fähig war
© IMAGO / Greatstock

Ob der Homo Naledi allerdings wirklich der erste menschliche Vorfahr war, der seine Artgenossen bestattete, ist umstritten. Die älteste zuvor bekannte Grabstelle eines Neandertalers ist 78.300 Jahre alt. Homo Naledi zog etwa 160.000 Jahre früher durch den Süden Afrikas.

Anthropologen sind angewiesen auf Interpretationen

Einige Wissenschaftler*innen bezweifeln daher die Bestattungstheorie von Lee Berger und seinem Team. Die Zeichen an den Höhlenwänden könnten auch von späteren Homo-sapiens-Gruppen stammen, merken sie an. Die Paläo-Anthropologin María Martinón-Torres vom spanischen Nationalen Forschungszentrum für die menschliche Evolution vermutet, die Skelettteile könnten durch Höhlenschächte in die schwer zugängliche Kammer gefallen oder gespült worden sein. Dann wäre der Fundort von Überresten mehrerer Hominiden an einer Stelle nicht Hinweis auf einen Friedhof, sondern einfach nur: Zufall.

(4 Nov 2021) An international team of researchers, led by Professor Lee Berger from Wits University, has today (4 Nov) revealed the first partial skull of a Homo naledi child that was found in the remote depths of the Rising Star Cave in the Cradle of Humankind World Heritage Site near Johannesburg, South Africa. Describing the skull and its context in two separate papers in the Open Access journal, PaleoAnthropology, the team of 21 researchers from Wits University and thirteen other universities announced the discovery of parts of the skull and teeth of the child that died almost 250,000 years ago when it was approximately four to six years old. The first paper, of which Professor Juliet Brophy of Wits and Louisiana State Universities PUBLICATIONxNOTxINxUKxFRA Copyright: xx 50845837
Ein internationales Forschungsteam rund um den Paläo-Anthropologen Lee Berger hat die Fossilien untersucht. Seine Erkenntnisse sind allerdings nicht unumstritten
© IMAGO / Cover-Images

Der Streit ist nichts Ungewöhnliches auf dem Feld der Paläoanthropologie. Die Wissenschaftler sind häufig auf die Interpretation der Fundorte angewiesen – und kommen dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Häufig fehlten den Urmenschenforschern die Untersuchungsgegenstände, sagte der Anthropologe Friedemann Schenk einmal in einem Interview. "Das ist ungefähr so, als wolle man die Geschichte Mitteleuropas schreiben und hat als Grundlage nur eine halbe römische Münze, das Taschentuch einer wilhelminischen Dienstmagd und Teile eines Mikrofons."

Die in der südafrikanischen Höhlenkammer gefundenen Überreste von Primaten könnten tatsächlich ein Hinweis auf sehr frühe Bestattungen unter Primaten sein. Und dennoch bleibt die Frage nach der Herkunft und Evolution des Menschen eines der großen, ungelösten Rätsel der Naturwissenschaft.  

DIA

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