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Prophylaxe Kann Viagra vor Alzheimer schützen?

blaue Pillen in Nahaufnahme
Für Männer mit Erektionsproblemen hat sich Sildenafil als Segen erwiesen. Nun rückt ein weiteres Anwendungsfeld in den Fokus
© Максим Слесарчук / Adobe Stock
Jüngst veröffentlichte Studien deuten darauf hin, dass der Wirkstoff Sildenafil das Risiko verringern könnte, an Alzheimer zu erkranken. Wird uns die blaue Pille demnächst auch vor dem Vergessen bewahren?   

Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Da ist eine Pille, die gleich zwei altersbedingten Schwächen vorbeugen könnte – nachlassender Potenz und schwindender Geisteskraft. Ursprünglich als ein Therapeutikum entwickelt, um Herzbeschwerden in den Griff zu bekommen, entpuppte sich Viagra unverhofft als Wundermittel gegen Erektionsschwierigkeiten. Seither hat der in Viagra enthaltene Wirkstoff Sildenafil den Weltmarkt erobert und Millionen Männer überzeugt.

Das Medikament bewirkt, dass sich die Gefäße im Körper erweitern, mithin der Blutfluss gesteigert wird. Daher kommt es gelegentlich auch zur Behandlung von Bluthochdruck, der arteriellen Hypertonie, zum Einsatz.

Wer Viagra nimmt, scheint seltener an Alzheimer zu erkranken

Und nun mehren sich seit einiger Zeit die Hinweise, dass Sildenafil auch vor dem Abbau geistiger Kräfte schützen könnte. So fand ein Team des University College of London bei der Auswertung von Patientendaten heraus, dass Männer, die regelmäßig Viagra verschrieben bekamen, ein um 18 Prozent geringeres Risiko hatten, in den Folgejahren an Alzheimer zu erkranken. In der Gruppe mit der höchsten Verschreibungsrate sank das Risiko sogar um 44 Prozent, wie die Forschenden kürzlich im Fachblatt "Neurology" berichteten.

Ein ähnliches Ergebnis veröffentlichten kürzlich Forschende des "Cleveland Clinic Genomic Medicine Institute" in den USA. Für einen Teil ihrer Studie analysierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem mithilfe von Computermodellen und Künstlicher Intelligenz Millionen anonymisierter Versicherungsprofile aus zwei unabhängigen Datenbanken. Laut Veröffentlichung im "Journal of Alzheimer’s Disease" wurde bei Patienten, die Sildenafil einnahmen, 30 bis 50 Prozent seltener eine Alzheimer-Diagnose gestellt als bei unbehandelten Männern.  

Untersuchungen zeigen keinen Kausalzusammenhang

Solche rein statistischen Beobachtungen sind allerdings kritisch zu hinterfragen und stellen noch keinen Beleg dar. Eine Erklärung für die Auffälligkeit könnte zum Beispiel sein, dass Männer, die sich Viagra verschreiben lassen, generell aktiver leben und Wert auf körperliche Fitness legen. Oder umgekehrt: Weil sie dank Viagra mehr Sex haben, verspüren sie auch mehr Lust auf Sport. In beiden Fällen könnte der Faktor Bewegung ausschlaggebend sein. Dieser hat bekanntlich auch einen großen Einfluss auf die kognitiven Fähigkeiten eines Menschen. Ebenso mögen Patienten, die in Fragen der Männergesundheit zum Arzt gehen und sich Viagra verschreiben lassen, tendenziell einen gesünderen Lebensstil pflegen und allein deshalb ein geringeres Demenzrisiko haben. 

Nur verständlich also, dass die Fachwelt skeptisch reagiert, wenn aus bloßen Korrelationen vielversprechende Schlagzeilen oder voreilige Empfehlungen abgeleitet werden. Keineswegs sollte nun jemand auf die Idee kommen, einfach so Viagra zu schlucken, in der Hoffnung, dass es seine geistige Fitness aufrechterhält (zumal das Medikament nicht ohne Risiko und Nebenwirkungen ist). 

Gleichwohl sind die Beobachtungen ein wichtiges Indiz und geben Anlass für weitere Forschung. Bereits im Jahr 2021 hatte das Team aus Cleveland eine Studie veröffentlicht, die die Wirkung von Sildenafil bei Experimenten im Labor zum Gegenstand hat. Demnach zeigte sich in Versuchen mit Zellkulturen, dass der Stoff das Wachstum von Nervenzellen ankurbelt und Entzündungsprozesse reduziert. In der Petrischale soll er zudem die Ablagerung schädlicher Proteine, die für Alzheimer typisch sind, eindämmen können.

Klinische Studien könnten folgen

Für das Team aus Cleveland sind all diese Befunde Grund genug, weitere Forschungen anzuregen, die die mögliche Wirkung der Substanz nicht nur in Zellkulturen, sondern auch in Versuchen mit echten Menschen und vor allem im Rahmen klinischer Studien untermauern könnten. Diese müssten dann auch Frauen einschließen und lange Beobachtungszeiträume berücksichtigen – erst recht bei einer langsam fortschreitenden Erkrankung wie Alzheimer.

Einen großen Vorteil gäbe es freilich: Da der Wirkstoff Sildenafil bereits zugelassen ist, wäre seine Verwendung für andere Therapieformen wesentlich kostengünstiger und unkomplizierter als die Erforschung und Zulassung neuer Medikamente. Kein Wunder, dass sich die Pharmaindustrie angesichts von Millionen von Demenzkranken (und vielen weiteren, für die ein potenzielles Sildenafil-Medikament als Alzheimer-Prophylaxe infrage käme) begeistert zeigt.

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