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Studie Stress-Faktoren im Vergleich: Finanzielle Sorgen beeinträchtigen die Gesundheit am stärksten

Eine Frau schaut sorgenvoll auf ihren Laptop-Bilschirm
Menschen, die über viele Jahre in finanzieller Not leben, sind besonders gefährdet, krank zu werden
© Ekaterina Goncharova / Getty Images
Schon länger ist bekannt, dass Psyche und Immunsystem eng verflochten sind: Wer ständig unter Druck steht, entwickelt eher körperliche Leiden. Jetzt konnten Forschende erstmals zeigen, welche Art von Stress das Risiko für Rheuma, Herzinfarkt und Co am deutlichsten erhöht – mit überraschenden Ergebnissen

Lange Zeit ging die Wissenschaft davon aus, dass Körper und Psyche unabhängig voneinander arbeiten. Inzwischen weiß man, dass seelische Belastungen, allen voran Stress, zur Entwicklung einer Vielzahl lebensbedrohlicher Erkrankungen beitragen können, etwa Diabetes oder Herzinfarkt. Wer dauerhaft unter Druck steht, ist also nicht nur in Gefahr, an Burnout, Ängsten oder Depressionen zu erkranken – die Signalkaskaden des Stresses führen langfristig mitunter auch zu schweren körperlichen Leiden.

Der entscheidende Grund: Das Immunsystem chronisch gestresster Menschen ist gestört, gerät gleichsam aus dem Takt, mit der Folge, dass Betroffene generell anfälliger für Gebrechen sind. Dazu muss man wissen, dass Stress evolutionär eine Reaktion auf eine gefährliche Situation ist: Er hilft dem Körper, seinen Überlebensmodus zu aktivieren. Allen voran das Stresshormon Kortisol gibt Kraft für Kampf oder Flucht – unterdrückt aber das Immunsystem. 

Moderner Stress ebbt mitunter kaum mehr ab

Normalerweise beruhigt sich der Körper nach einer akuten Stressphase wieder. In den meisten Fällen haben wir es heutzutage jedoch mit psychosozialem Stress zu tun, im Büro oder auch in der Familie. Der ist oft nicht auf einzelne Situationen begrenzt, sondern wird schnell zur Dauerbelastung. Der Körper befindet sich dann langfristig im Ausnahmezustand – was sich etwa an ständig erhöhten Kortisol-Werten im Blut Betroffener ablesen lässt; eine vollständige Regeneration findet kaum mehr statt. 

Ob steigendes Arbeitspensum, der Verlust geliebter Menschen, die Pflege von Angehörigen, finanzielle Sorgen – all das kann daher auf die körperliche Gesundheit schlagen. Allerdings mit unterschiedlichem Gewicht, wie ein Team des University College London (UCL) und des Kings College im Vereinigten Königreich kürzlich herausgefunden hat. Erstmals gelang es den Forschenden anhand einer größeren Kohorte auszuwerten, welche einzelnen Stressfaktoren die Gesundheit am stärksten beeinträchtigen.

Langzeit-Studie gibt Aufschluss über Risiken

Dazu untersuchten sie die Konzentration bestimmter Biomarker (die mit etlichen stressbedingten Leiden in Verbindung stehen) im Blut von fast 5000 Erwachsenen. Die Daten bezogen die Wissenschaftler aus der English Longitudinal Study of Ageing, einer kontinuierlichen Langzeituntersuchung zum Gesundheitszustand britischer Bürgerinnen und Bürger über 50. Entsprechend ihrer Analyse erstellten die Wissenschaftler verschiedene Risikoprofile: Diejenigen, deren Biomarker – darunter spezielle Entzündungswerte und das Hormon Kortisol ­– in einem Verlauf von vier Jahren besonders gestiegen waren, ordneten sie einer Hochrisiko-Gruppe zu. Sie galten als besonders gefährdet, in späteren Jahren ernsthaft zu erkranken. Andere, mit weniger auffälligen Werten, zählten zu einer Gruppe mit eher niedrigem Risiko. 

Zugleich wertete das Team Angaben zum individuellen Stressempfinden aus – und insbesondere dazu, welche Arten von Stress die Teilnehmenden der Langzeitstudie jeweils plagten. Sechs besonders häufige Trigger für psychische Belastung standen im Fokus: 

  • familiärer Trauerfall; 
  • eigene Behinderung; 
  • finanzielle Sorgen; 
  • längere Krankheit; 
  • Scheidung; 
  • Pflege eines Angehörigen.  

Wie erwartet, fanden die Forschenden bei all jenen, die generell übermäßig viel Stress erlebten, eher erhöhte Konzentrationen von Biomarkern im Blut. Bei ihnen lag die Wahrscheinlichkeit, zur Hoch-Risiko-Kategorie zu zählen, im Vergleich zu wenig oder moderat belasteten Probanden um gut 60 Prozent höher. Häufig summierten sich mehrere Stressfaktoren: Wer etwa aufgrund einer Behinderung in seinem sozialen Leben eingeschränkt ist und dann noch einen geliebten Menschen verliert, ist demnach erst recht gefährdet, gesundheitliche Probleme zu entwickeln. 

Finanzieller Stress mit vielfältigen Auswirkungen

Überraschenderweise beeinflusste jedoch ein Faktor deutlich stärker als andere das Krankheitsrisiko: finanzieller Druck. Selbst bei Personen, die sonst über keine weiteren Sorgen klagten, verschärfte dieser eine Aspekt das Risikoprofil überdurchschnittlich stark. Das könnte laut Studienautoren daran liegen, dass monetärer Stress gleich mehrere Bereiche unseres Lebens negativ beeinflusst, zu familiären Konflikten, sozialer Ausgrenzung und sogar zu Hunger oder Obdachlosigkeit führen kann.

Platz zwei der ungünstigsten Stressoren belegt gemäß Studie die Trauer um den Tod eines nahen Menschen, Platz drei die psychische Belastung, die mit einer längeren Krankheit verbunden ist. Eine eigene Behinderung, ein pflegebedürftiger Angehöriger und selbst eine Scheidung stachen dagegen nicht heraus – so sehr diese Belastungen natürlich ihrerseits gesundheitliche Probleme verursachen können. 

Weitere Forschung nötig

Die Wissenschaftler betonen zwar, dass das Level bestimmter Stoffe im Blut erstmal nur ein Indikator für das Krankheitsrisiko eines Menschen darstellt – und keine feste Prognose ist. Doch die Tatsache, dass unsere mentale Verfassung gravierende Auswirkungen auf die Biologie des Körpers hat, findet sich in ihren Daten eindrucksvoll bestätigt. Nicht zuletzt unterstreichen die Ergebnisse einmal mehr, welche schweren Folgen es haben kann, wenn Menschen in existenzieller Not leben. Wo das Geld ständig knapp ist, so ließe sich ein Resultat der Untersuchung deuten, leiden sie ganzheitlich. 

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