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Psychologie Die sechs Säulen des Glücks: Was die Forschung über psychisches Wohlbefinden weiß

Glücksschlösser an einem Gitter
Glück ist bekanntlich flüchtig. Lässt es sich festhalten, wie die Liebenden es versuchen? 
© Rainer Mirau / mauritius images
Psychologen verstehen immer präziser, auf welchen Säulen Zufriedenheit langfristig ruht und wie sogar unser Körper durch psychologisches Wohlbefinden beeinflusst ist  

Vielleicht sind es ein runder Geburtstag oder der Jahreswechsel, die zum Bilanzziehen einladen: Lebe ich eigentlich erfüllt? Ist mein Leben reich, voll, ja bin ich glücklich? Und: Auf welchen Säulen ruht mein Glück überhaupt? So wie jeder Mensch sich hin und wieder diese Fragen stellt, so beschäftigen sich Psychologie und Philosophie seit Ewigkeiten mit ihnen. Und eines ist dabei klar: Es gibt nicht den einen Königsweg zu Glück und in sich ruhender Zufriedenheit, sondern verschiedene individuelle Wege. Sechs von ihnen haben sich als tragende Säulen der Lebenszufriedenheit herausgestellt.  

Unter den Glücksquellen unterscheiden Forschende jene für schnelles und langfristiges Glück. Das schnelle, auch hedonistische Glück, das sich mit einem Urlaub, einem erfüllten Konsumwunsch oder auch einer Gehaltserhöhung verbinden mag, unterscheidet sich vom stilleren, doch langfristigen Glück, das zu eudämonischem Wohlbefinden führt. 

Quellen des Glücks: Hedonistisches Wohlbefinden ist nicht nachhaltig 

Gegen Glücksart Nummer eins, das schnelle Wohlfühlglück, ist gar nichts einzuwenden, jedoch führt es rasch in die von Experten bezeichnete hedonistische Tretmühle. Ein erfüllter Konsumwunsch führt nach einiger Zeit zum nächsten Wunsch nach einem noch besseren, ja raffinierteren Modell, die Freude über eine Gehaltserhöhung ebbt ab, wenn der Vergleich einsetzt: Die Freundin oder der Freund verdienen eben noch weit mehr, was die eigene Zufriedenheit nivelliert. Kurz: Hedonistisches Glück verpufft, so wie die Urlaubsbräune auf der Haut wieder verschwindet.

In der Psychologischen Wohlbefindensforschung sind die Arbeiten der US-amerikanischen Psychologie-Professorin Carol Ryff von der Universität Madison-Wisconsin bis heute wegweisend. Ryff hat 1989 ein Modell für seelisches Wohlbefinden aufgestellt, das sechs zentrale Säulen beschreibt: Zu diesen tragenden Grundpfeilern für Zufriedenheit im Leben zählen unter anderem die Selbstakzeptanz, der Lebenssinn, die Erfahrung von Autonomie, persönliches Wachstum, glückliche soziale Kontakte und eine Umwelt, die beherrschbar erscheint. 

Die Suche nach einem Zweck im Leben 

Carol Ryff interessierte sich als Psychologin dafür, was eigentlich ein gutes, ja ein zufriedenes Leben ausmacht, bevor der Zeitgeist diese Frage in zahlreiche Feeds und Instagram-Kanäle spülte. Sie befragte 320 Probanden (Männer wie Frauen) unterschiedlicher Altersgruppen zu ihrer Zufriedenheit und bat sie, Aussagen eines Fragenkatalogs jeweils von eins bis sechs hinsichtlich ihrer Zustimmung zu bewerten. Und sie machte als Psychologin interessante Beobachtungen, aufgrund derer sie die sechs Dimensionen destillierte, aus denen sich Lebenserfüllung ihrer Forschung nach zusammensetzt: So stellte sie beispielsweise fest, dass nicht etwa jene Menschen langfristig glücklicher waren, die in den Karibikurlaub flogen, sondern jene, die abends für ein Medizinstudium büffelten oder anderen Menschen halfen. Wie das?

Mädchen mit roten lockigen Haaren lachend
Neues zu lernen und durch anregende Erfahrungen inspiriert und begeistert zu werden, mag eine Quelle für langfristiges Glück sein 
© Ingram Publishing / Alamy / Alamy Stock Photos / mauritius images

Die Lernenden arbeiteten nach Ryffs Deutung auf ein bedeutsames Ziel und einen höheren Lebenszweck hin. Zugleich taten sie etwas für die persönliche Entwicklung und ihr geistiges Wachstum. Beides zahlt auf ein Gefühl von Stimmigkeit und Kohärenz im Leben ein und führt dazu, das eigene Leben als größeres Ganzes zu erleben. Zu lernen und neue Erfahrungen zu machen, regt generell Menschen an und stimuliert sie, es führt psychologisch zu Wachheit und einer positiven Aktivierung (arousal). Diejenigen wiederum, die anderen halfen, erlebten ihr Tun als sinnvoll und bedeutsam und empfanden vermutlich ein Gefühl sozialer Verbundenheit. Aus beiden Quellen speist sich langfristiges Wohlbefinden. Ryffs Modell hat mit der Betonung des eudämonischen Glücks Anklänge an die Aristotelische Ethik. Nach Aristoteles besteht das Ziel im Leben nicht darin, glücklich zu sein und zu genießen, sondern tugendhaft und im Einklang mit zentralen Werten zu leben. 

Signaturstärken zu entfalten führt zu Zufriedenheit 

Auch wenn das für heutige Ohren asketisch klingen mag, so bestätigt ein neuerer Zweig der Psychologie, die Positive Psychologie, Ryffs Einschätzungen. Vertreter wie Martin Seligman, Barbara Fredrickson oder auch Willibald Ruch aus Zürich betonen die Wichtigkeit, im Einklang mit eigenen Werten und Talenten zu leben – sie nennen das Charakterstärken, die ein Mensch möglichst entfalten sollte, anstatt einfach nach dem Lustprinzip zu leben und kurzfristigen Impulsen zu folgen. Denn das hedonistische Lebensglück sei, so Barbara Fredrickson, in etwa mit leeren Kalorien vergleichbar. Es bietet keine langfristig verwertbaren Nährstoffe. 

Die Sehnsucht nach Sinn im Leben, erfüllende Freundschaften, ausreichend Wachstum und Entwicklung der Persönlichkeit leuchten als potente Glücksquellen ein: Doch auch die Selbstakzeptanz erkannte Ryff früher als andere als wesentlichen Faktor. 

Menschen, die ständig ihre Schwächen beleuchten und sich grübelnd damit befassen, was ihnen nicht geglückt ist, sabotieren demnach ihr Wohlbefinden, erkannte Ryff. Wohlbefinden im Leben hängt zentral davon ab, sich als Persönlichkeit positiv wahrzunehmen. Ryff erfragte die Dimension Selbstakzeptanz ebenfalls anhand von Skalen. Eine günstige Antwort wäre etwa: "Ich schätze die meisten Aspekte meiner Persönlichkeit." Denn zur Akzeptanz der Persönlichkeit zählen auch das Wissen um sowie der geschlossene Frieden mit Grenzen des Selbst. 

Zufriedenheit reduziert entzündungsfördernde Prozesse 

Wie sich der Cocktail aus individuellen Glücksquellen zusammensetzt, ist von Mensch zu Mensch, das versteht sich von selbst, verschieden. Doch Zufriedene sind in der Regel auf einem jener sechs Pfade unterwegs, die Ryff erkannte. Die meisten wissen nach Einschätzung der deutschen Psychologin Renate Frank, die ein Buch über Wohlbefinden geschrieben hat, was sie glücklich macht. Allerdings komme es darauf an, diese Glücksquellen dann aktiv in das Leben einzuplanen und für diese proaktiv zu sorgen.

Für mehr positive Gefühle hat Renate Frank noch einen weiteren Tipp: Menschen sollten sich auf ihre Stärken fokussieren. Eine der zentralen Erkenntnisse der Positiven Psychologie lautet: "Build, what's strong" – kräftige, was gut ist. Wer diese Signaturstärken in möglichst vielen Bereichen einsetzt, kann sogar mit Flow-Gefühl belohnt werden, weil er oder sie im Tun aufgeht.  

Psychoneuroimmunologie forscht weiter 

Ryff, der Pionierin des Wohlbefindens, ging es allerdings noch um mehr als nur um seelische Zufriedenheit. Sie beleuchtete in späteren Arbeiten auch, wie Wohlbefinden mit körperlicher Gesundheit einhergeht. Die Pionierin schob Studien dazu an, wie das Erleben von Zufriedenheit proinflammatorische – also entzündungsfördernde – Zytokine im Körper reduziert. Auch Herz-Kreislauf-Risiken ließen sich durch Wohlbefindensinterventionen senken. Inzwischen denkt die Psychoneuroimmunologie diese Zusammenhänge weiter. Durch gute Lebenskunst kann also jede und jeder etwas für das Wohlbefinden tun und sogar gesundheitliche Risiken durch weniger Stress- und mehr Zufriedenheitsgefühle beeinflussen. Nur die Suche nach den eigenen Glücksquellen kann niemand dem Fragenden abnehmen: Innehalten, um zu reflektieren, lohnt sich nicht nur an runden Geburtstagen! 

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