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Fußball Nehmen Torhüter die Welt auf andere Weise wahr?

Manuel Neuer
Meisterhafte Reaktionen: Nationaltorwart Manuel Neuer vor dem Viertelfinale der Weltweisterschaft 2014 in Brasilien
© AP Photo / picture alliance
Torwarte müssen das Gewimmel im Strafraum überblicken, Schüsse aus zweiter Reihe antizipieren und bei Elfmetern in Sekundenbruchteilen reagieren. Eine irische Studie zeigt nun erstmals: Professionelle Torhüter verarbeiten Reize tatsächlich anders als Fußballmuffel und Feldspieler – und können dadurch blitzschnell Entscheidungen treffen

Torhüter spielen im Fußball seit jeher eine besondere Rolle – und das nicht nur, weil sie als Einzige den Ball mit der Hand spielen dürfen. Sie sind Teil des Teams und dennoch Individualisten. Wenn alle auf das gegnerische Tor losstürmen, bleiben sie hinten. Wenn sie gefragt sind, stehen sie allein im Rampenlicht. Glanzparaden machen sie zu Helden, kleinste Fehler können ihr Team den Sieg kosten.

Vielleicht gelten Torhüter deshalb in vielen Mannschaften als Äquivalent zu Schlagzeugern in Rockbands. Im Hintergrund zwar, aber mit dem besonderen Etwas. Mit einer "Macke", wie es Trainerlegende Max Merkel einst formulierte. Große Exzentriker hat die Fußballgeschichte auf der Torwartposition hervorgebracht: den Paradiesvogel José Luis Chilavert, den verbissenen Tor-Titan Oliver Kahn, den wahnsinnigen René Higuita mit seinem "Skorpion-Kick" oder Klaus Thomforde, "das Tier im Tor" beim FC St. Pauli.

Ticken Torhüter tatsächlich anders als andere Spieler? Dieser Frage widmet sich eine Untersuchung des Trinity College und der Dublin City University in Irland, die kürzlich in der Fachzeitschrift "Current Biology" erschienen ist. Die Wissenschaftler*innen hatten insgesamt 60 Probanden zu einem Test eingeladen: 20 von ihnen waren professionelle Torhüter, 20 waren Feldspieler. Dazu kamen weitere 20 Teilnehmer, die keinen Fußball spielen. Sie dienten als Vergleichsgruppe.

Die Versuchspersonen – allesamt Männer – wurden dem "Sound Induced Flash Illusion"-Test unterzogen, einem Klassiker der Wahrnehmungsforschung. Dabei sehen die Probanden schnell aufflackernde weiße Lichtblitze auf einem schwarzen Hintergrund. Zeitgleich hören sie in ebenso schneller Folge kurze Pieptöne, deren Anzahl sich von der Zahl der Lichtblitze geringfügig unterscheidet.

Die meisten Menschen bringen bei diesem Test Gehörtes und Gesehenes durcheinander: Werden sie beispielsweise mit einem Blitz und zwei Pieptönen kurz hintereinander konfrontiert, nehmen viele fälschlicherweise an, sie hätten zwei Blitze gesehen. Das Gehirn ist mit den visuellen und akustischen Reizen überfordert und kann sie nicht auseinanderhalten. Je nachdem, wie schnell Blitze und Töne aufeinander folgen, verringert oder verstärkt sich dieser Effekt.

In der Dubliner Studie schnitten Nicht-Fußballer und Feldspieler im Test ähnlich ab. Doch die Ergebnisse der Torhüter stachen heraus. Sie unterlagen der typischen Täuschung signifikant seltener als die übrigen Probanden. Offenbar können sie die visuellen und akustischen Reize deutlich besser auseinanderhalten. "Viele Spieler und Fans auf der ganzen Welt sind mit der Vorstellung vertraut, dass Torhüter einfach 'anders' sind als wir anderen. Diese Studie liefert womöglich erstmals einen wissenschaftlichen Beweis für diese Behauptung", sagt Studienleiter David McGovern, Assistenzprofessor an der Dublin City University. 

0,25 Sekunden Reaktionszeit beim Elfmeter

Die Fähigkeit der Torhüter, multisensorische Signale präziser und schneller zu verarbeiten, überrascht nicht: Beim Torwartspiel zählt die Reaktionsgeschwindigkeit mehr als Kraft und Ausdauer. Nur 0,25 Sekunden Zeit haben Torhüter etwa beim Elfmeter, auf den Schuss zu reagieren – und da ist die Situation immerhin übersichtlich. Im Strafraumgewühl stehen ihnen nur begrenzte Informationen zur Verfügung, weil sie nur einen Teil des Geschehens überblicken können. 

"Im Gegensatz zu anderen Fußballspielern müssen Torhüter Tausende von sehr schnellen Entscheidungen auf Grundlage begrenzter oder unvollständiger sensorischer Informationen treffen", sagt Michael Quinn, der die Idee zu der Studie hatte. Vor seiner Zeit als Wissenschaftler war er selbst in irischen Ligen als Nummer eins aktiv. "Meine Karriere als Profi-Torwart hat mich davon überzeugt, dass Torhüter die Welt auf besondere Art und Weise wahrnehmen. Mit dieser Frage wollte ich mich im letzten Jahr meines Psychologiestudiums unbedingt beschäftigen."

Keine Aussage wagt das Team um Quinn und McGovern hingegen dazu, ob die besonderen Fähigkeiten der Torhüter eine Folge des jahrelangen Trainings sind oder eine angeborene Eigenschaft, auf der ihr Talent gründet. Das soll nun Gegenstand weiterer Untersuchungen werden, ebenso wie die Frage, ob sich der Unterschied auch bei weiblichen Torhüterinnen zeigt.

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