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Fußballenentzündungen Enge Schnabelschuhe: Männer litten im Mittelalter durch extravagante Mode

Mode in Italien, frühe Renaissance im 14. Jahrhundert
Schnabelschuhe waren im 14. Jahrhundert schwer in Mode, besonders bei wohlhabenden Bürgern und Geistlichen
© IMAGO / H. Tschanz-Hofmann
Wer schön sein will, muss leiden: Im späten Mittelalter bekamen vor allem Männer die Folgen der modischen, aber viel zu engen Schnabelschuhe zu spüren. Wie Forschende herausfanden, litten sie häufig an Fußballenentzündungen – eine Krankheit, die heute vor allem Frauen trifft, die oft High Heels oder Pumps tragen

Der Schuh ist weit mehr als bloß eine Fußbedeckung. Im Laufe der Geschichte diente er als Statussymbol und wurde zum Ausdruck der Macht. In frühen Kulturen lieferten Schuhe einen Hinweis auf den sozialen Stand: Das Gefolge des Kaisers trug andere Schuhe als die einfachen Bürgerinnen und Bürger und in Japan konnte man am Schuhwerk den Beruf erkennen.

Während in der Antike die Sandalen in Griechenland eine gewisse Schönheit und Ästhetik besitzen mussten, stand für die alten Römer vor allem die praktische Seite im Fokus: Sie wollten mit haltbaren und komfortablen Schuhen die Welt erobern. Erst später verzierten auch die Römer ihre Sandalen mit Goldstücken oder kostbaren Steinen.

Manche Schnabelschuhe waren bis zu 75 Zentimeter lang

So entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte die unterschiedlichsten Schuhformen und Modetrends. Im Spätmittelalter galten die extravaganten Schnabelschuhe als modern. Die Schuhe, die in einer grotesk langen Spitze ausliefen, waren im 14. und 15. Jahrhundert vor allem bei Männern aus der Oberschicht und der Geistlichkeit in England und Frankreich beliebt.

Die Länge des bunt verzierten Schnabels gab Aufschluss über den Reichtum seines Besitzers: Je länger der Schuh, desto wohlhabender sein Träger. Ihre übertriebenste Form nahmen die Schnabelschuhe Ende des 15. Jahrhunderts an: Manche Exemplare maßen von der Ferse zur Spitze bis zu 75 Zentimeter.

Männer in Schnabelschuhen
Spitze Schnabelschuhe  verursachten im 14. und 15. Jahrhundert schwere Fußballenentzündungen
© mauritius images / Sunny Celeste / Alamy

Bald darauf wurde das Schuhwerk als Zeichen weltlicher Eitelkeit missbilligt, Klerus und Krone unternahmen mehrere Versuche, die Spitzenlänge der Schnabelschuhe zu regulieren. Vor allem das einfache Volk, das den Schnabelschuh mit Verzögerung auch für sich entdeckte, sollte nicht mit dieser Schuhmode auftrumpfen. Im Jahr 1465 schließlich wurde den Schustern in London unter König Edward IV. per Gesetz gänzlich verboten, irgendjemandem unter dem Stand eines Lords Schnabelschuhe mit Spitzen von mehr als fünf Zentimetern zu fertigen.

Analyse von Skelettüberresten zeigt Verformungen und Fehlstellungen

Wie archäologische Untersuchungen eines Forschungsteams der Universität Cambridge nun zeigten, sorgten die eng geschnittenen Schuhe für Fußballenentzündungen und hinterließen nachhaltig Spuren an den Zehen ihrer Träger. Die Verformung am Gelenk des großen Zehs ist als "Hallux valgus" bekannt, auch "Ballenzeh" genannt.

Schnabelschuhe führten demnach bei vielen Männern im Mittelalter zu derselben Art von Fehlstellung, die heutzutage vor allem bei Frauen zu beobachten ist, die häufig High Heels oder Pumps tragen. Zu diesen Erkenntnissen kam das Archäologen-Team um Jenna M. Dittmar durch die Analyse von 177 Skelettüberresten, welche auf drei Friedhöfen in und um Cambridge im Laufe der Jahrzehnte ausgegraben worden waren.

Auf den drei untersuchten Friedhöfen wurden im 14. und 15. Jahrhundert Mitglieder verschiedener sozialer Schichten bestattet. Bei Knochenresten, die sich auf dem zentrumsnahen Friedhof befanden, wo vor allem die Wohlhabenderen begraben worden waren, trat die Fehlstellung der Zehen am häufigsten auf. Ein Beleg dafür, dass der Schnabelschuh lange Zeit ein Modeutensil der Oberschicht war.

Auf dem Friedhof des Hospital of St. John, wo vor allem die Ärmsten bestattet wurden, fanden die Archäologinnen und Archäologen erwartungsgemäß weniger Fehlstellungen an den Fußknochen. Am seltensten waren die Funde auf einem Friedhof am Stadtrand, wo im Spätmittelalter vor allem die Handwerks- und Bauernfamilien begraben wurden.

Dass die Fußballenentzündung keine Standarderscheinung des Mittelalters war, belegen ältere Skelettfunde auf denselben Friedhöfen. Bei Toten, die zwischen dem 11. und dem 13. Jahrhundert in Cambridge begraben worden waren, wurde gerade einmal in sechs Prozent der Fälle ein "Hallux valgus" festgestellt. Zu dieser Zeit war der Schnabelschuh noch nicht in der mittelalterlichen Mode angekommen.

Die Archäologin Jenna M. Dittmar und ihre Kolleginnen und Kollegen veröffentlichten ihre Ergebnisse im Fachmagazin "International Journal of Paleopathology".

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