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Frankreich Lyons neue Mitte

Dort, wo Rhône und Saône sich küssen, liegt der neue Stadtteil La Confluence auf einer Halbinsel mit kühnen Bauten und einem der aufregendsten Museen Europas
Frankreich: Das Musée des Confluences wurde 2014 eröffnet, nachdem der Bau des futuristischen Gebäudes fast zehn Jahre länger gedauert hat, als geplant
Das Musée des Confluences wurde 2014 eröffnet, nachdem der Bau des futuristischen Gebäudes fast zehn Jahre länger gedauert hat, als geplant
© mauritius images / VIEW Pictures Ltd / Alamy

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Wie eine Kreuzung aus Raumschiff und Rieseninsekt sieht es aus, ein bisschen Dino mag auch noch hineinspielen: Auf silbernen Stelzenbeinen erhebt sich der asymmetrische Leib des Musée des Confluences über der Spitze der Halbinsel am Zusammenfluss von Rhône und Saône. Seine Eröffnung am 20. Dezember 2014 war die vorläufige Krönung eines ambitionierten Stadtentwicklungsprojekts, das ein neues Wohnund Geschäftsviertel entstehen lässt: Confluence, übersetzt: Zusammenfluss. Lange Zeit war die im 18. Jahrhundert als Verbindung mehrerer kleiner Flussinseln aufgeschüttete Landzunge eine unwirtliche Gegend, gerade gut genug für Schlachthäuser, Industriebetriebe und das Gefängnis. Dann entdeckte auch Lyon den Charme maroder Hafenanlagen und halb verfallener Industriebauten – und begann mit der groß angelegten Umwandlung in eine Fluss-Hafencity unter der Federführung des Stadtplaners François Graether und des Land- schaftsarchitekten Michel Desvigne.

Ansehen

Die Wiener Architektur-Exzentriker "Coop Himmelb(l)au" entwarfen die konkurrenzlose Hauptattraktion: das Musée des Confluences. Nicht weniger als die Entstehung des Universums und des Lebens auf unserem Planeten, die Geschichte der Menschheit und ihrer Gesellschaften sowie die Frage eines Lebens nach dem Tod werden in den Dauerausstellungen behandelt. Klingt nach einem größenwahnsinnigen Programm für ein einziges Museum, hat aber einen charmanten, überraschend einfachen Ansatzpunkt: die Tradition der "Wunderkammern", in denen in Spätrenaissance und Barockzeit exotische und kuriose Objekte aus den unterschiedlichsten Wissensgebieten ausgestellt wurden. Das Museum präsentiert sich als hypermodernes gigantisches Kuriositätenkabinett inklusive Saurierskelette und exotische Masken. Sie werden in einen doppelten erzählerischen Zusammenhang gebracht: Auf der einen Seite des Rundgangs wird die Entstehung des Universums streng naturwissenschaftlich dargestellt, während auf der anderen Skulpturen, Bilder und Objekte von den Schöpfungsmythen zahlreicher Kulturen berichten – ein gelungenes multidisziplinäres Experiment. Eine gläserne Aussichtskanzel beschert den Besuchern Titanic-hafte Momente oberhalb der Flüsse (Quay Perrache 86, www.museedesconfluences.fr).

Rumkommen

Vor dem Museum erstreckt sich ein kleiner Park bis zum letzten Zipfel der Halbinsel. Von dort aus spaziert man am Quay Rambaud entlang, um den Rest des neuen Viertels zu entdecken. Nicht ohne Grund wird dieser Teil der Saône-Promenade als "Architekten-Ufer" bezeichnet: Die experimentellen Gebäude, die seinen Anblick prägen, stammen größtenteils von renommierten Baumeistern. Zum Beispiel der Bürobau Le Dark Point, der ebenso viel Aufsehen erregt wie seine punkig auftretende Schöpferin Odile Decq: Mit seinem brachial anmutenden Stahlskelett und der mit Schwarzweiß-Fotos bedruckten Glasfassade nimmt das Gebäude auf die industrielle Vergangenheit des Stadtteils Bezug. Oder die beiden Büro-Würfel von Jakob + MacFarlane in Quietschorange und Knallgrün mit ihren Fassaden aus fein gelaserten Stahlblechen. Zwischen den futuristischen Kuben sticht ein alter, roh renovierter Zweckbau hervor: La Sucriére, ein Zuckerspeicher mit zwei riesigen Silos. In dem Betonbau von 1930 sind Ausstellungen zeitgenössischer Kunst zu sehen (Quay Rambaud 49–50, www.lasucriere-lyon.com). Obendrauf hat sich die wohl angesagteste Location der Stadt eingenistet: Der Club Docks 40 (Quay Rambaud 40, www.docks-40.com, Do–So).

Frankreich: Futuristischer Arbeitsplatz am Wasser: The Orange Cube ist wohl eins der auffälligsten Gebäude im Lyoner Stadtteil La Confluence
Futuristischer Arbeitsplatz am Wasser: The Orange Cube ist wohl eins der auffälligsten Gebäude im Lyoner Stadtteil La Confluence
© mauritius images / Julian Castle / Alamy

Einkaufen

Ins eigentliche Herz des neuen Stadtteils gelangen Besucher über den Quay Rambaud: auf die Place Nautique mit ihrem weiten Wasserbecken, flankiert von einer Mall mit bunt beleuchtetem Luftkissendach. Das Einkaufszentrum rühmt sich, größtenteils ohne Kunstlicht und Aircondition auszukommen, und ist auch sonst bemüht, übers schnöde Shoppen hinaus attraktiv zu sein, etwa mit Kino, Spa (www.spa-azium.fr) und der höchsten Indoor-Kletterwand Frankreichs (http://azium.fr/escalade-lyon). Die gegenüberliegende Seite des Bassins mutet wie eine Leistungsschau für avantgardistische Wohnarchitektur an, deren spielerischer Material- und Formenmix zu jeder Tageszeit anders anmutet: Im Licht changierende Aluminiumfassaden wechseln sich ab mit Holz, Glas oder halbtransparenten Solarfassaden, die in der Sonne glänzen wie die Platinen eines riesigen Computers. Goldfarbener Beton mit dreidimensional wirkenden Mustern steht neben dunklem, der wie Schieferstein anmutet. (Deutschsprachige Architektur-Führungen bietet Marie Louise Maugat an: Office du Tourisme, Tel. 0033-4-72 77 72 33, www.de.lyon-france.com.) Nach so viel ambitionierter Architektur ist es tröstlich zu wissen, dass das gute alte Bistro auch in der Stadtwelt von morgen seinen Platz hat: Am Quai Antoine Riboud, der Flanierzeile am Rande des Bassins, reihen sich kleine Restaurants und Cafés wie das St. Trop, das abends ein funkiges Musikprogramm bietet (Nr. 5, www.lesttroplyon.com). Unerwartet nostalgisch gar ist ein Verkehrsmittel: Einmal in der Stunde tuckert das Vaporetto, eine Mini-Jacht im Stil der Fünfzigerjahre, vom Bassin über die Saône bis in die Innenstadt – die schönste Verbindung zwischen den Stadtteilen (www.confluence.fr/W/do/centre/navette).

Essen

Lyon gilt als Feinschmecker-Stadt, und Confluence trägt zu diesem Ruf bei. Etwa mit dem Schnellimbiss Ouesr Express von Paul Bocuse (Cours Charlemagne 106, www.ouestexpress.com). Oder der hervorragenden Brasserie des Confluences im Museum. Die beste Adresse liegt außerhalb des Viertels: Jenseits der wunderschönen Raymond-Barre-Brücke über die Rhône steht rechterhand eine alte Villa. Kein Schild, kein Hinweis, doch das Bar-Restaurant La Maison mit seinem samtigen, eleganten Sixties-Interieur hat es in sich. Ob Thymian-Huhn oder Jakobsmuscheln an Mango-Ananas-Jus – die Küche wird dem legendären Ruf gerecht (Rue Jonas Salk 4, www.lamaisonrestaurant.fr).

Schlafen

Ein richtig schönes Hotel fehlt noch in Confluence. Wer im Viertel übernachten möchte, ist einstweilen auf das Novotel angewiesen, Teil des Mall-Komplexes. Vier-Sterne-Schick mit Blick auf die Hänge am gegenüberliegenden Saône-Ufer, aber auch mit der unvermeidlichen Plastik- Anmutung dieser Hotelkette (Rue Paul Montrochet 3, www.novotel.com).

Per Hand umgearbeitetes Leder von alten Schul-Turngeräten erwartet den Gast im nostalgisch-stylischen Collège Hôtel, das früher eine Schule war und sich eine Vaporettofahrt entfernt in der Altstadt befindet (Place Saint-Paul 5, www.college-hotel.com).

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