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Norditalien Aostatal: Ein Winter voller Schnee, Stille und Einsamkeit

Aostatal
Menschenleere Pisten bei traumhaftem Wetter sind in dem kleinen Skigebiet Crévacol keine Seltenheit
© Julia Grossmann
Skizirkus? Nein, danke. Auf Schneeschuhen stapfte unsere Autorin durch zwei einsame, verschneite Täler dieser Region in den italienischen Westalpen

Es ist ein Moment der absoluten Stille, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Ich höre lediglich mein Herz pochen. Dann macht Roberto einen Schritt nach vorn, und ich trete mit meinem Schneeschuh in seinen Abdruck. Der Naturführer hat mich mitgenommen auf eine Tour durch die tiefverschneite Kulisse eines kleinen Seitentals im Valle del Gran San Bernardo in den italienischen Westalpen. Allein zwölf ausgeschilderte Schneeschuhrouten verschiedener Schwierigkeitsgrade und 55 Loipenkilometer durchziehen dieses Tal.

Die meisten der umliegenden Gipfel gehören bereits zur Schweiz, wie die markante Spitze des Grand Golliat. Weiter in der Ferne zeichnet sich in Form der mächtigen Schulter das Montblanc-Massiv ab. Der Monte Bianco, wie sie ihn hier nennen, sei der höchste Berg Italiens, sagt der gebürtige Sizilianer eher beiläufig. Und da wandere ich angesichts des ewigen Grenzstreits zwischen den beiden Ländern um die höchste Kuppe Europas direkt ins Fettnäpfchen. Mein Schulwissen, erwidere ich, lautet: Der Montblanc steht in Frankreich. Roberto lässt sich bis auf ein kleines Zucken nichts anmerken und stapft in einen dichten Wald. Plötzlich deutet er mit dem Schneestock auf Tierspuren, die unsere Route kreuzen: »Hirsche, die Spuren sind ganz frisch.« Wir können die Tiere zwischen den Bäumen nicht ausmachen, sie werden uns bereits gehört haben. »Vielleicht hast du dort drüben mehr Glück.« Roberto nickt mit seinem sonnengegerbten Gesicht zu den gegenüberliegenden Bergen des Nationalparks Gran Paradiso herüber. Dort drüben leben Hirsche, Luchse, Füchse und Steinböcke unter Schutz. Ich hatte ihm erzählt, dass ich am nächsten Tag dort sein würde.

Wir laufen vorbei an den typischen, aus Stein und Holz gebauten Almhütten, kreuzen einen plätschernden Gebirgsbach und umwandern ein Lawinenfeld. Mit Blick auf die abgegangenen Schneemassen sagt Roberto: »Die Winter werden immer unberechenbarer«. Die Klimaveränderungen sind auch rund um den Grossen-St.-Bernhard-Pass spürbar. Zum Glück hat man hier nie auf Skizirkus gesetzt. Lediglich ein kleines Abfahrtsgebiet gibt es: Crévacol, zwei Sessellifte und elf Abfahrten. Die Pisten sind leer und sonnenverwöhnt, und der Blick reicht von der Schweiz bis nach Frankreich, auf der Pistenalm Arp du Jeu serviert man mir handgemachte Pasta und Aostataler Kaffee mit Schuss. Am Abend bin ich der einzige Gast im einzigen Hotel in der Ortschaft Saint-Rhémy-en-Bosses. Im Türrahmen erscheint plötzlich eine rüstige Dame mit freundlichen Augen und einem weißen Dutt: Gemma, die einzige Dauerbewohnerin der Ortschaft. Die Pächterin Edith serviert ihr einen Espresso. »Einst war es hier richtig lebendig. Bis der Tunnel gebaut wurde, musste jeder durch Saint-Rhémy.« Der Große-St.-Bernhard-Tunnel kam in den Sechzigern, die Einfahrt liegt gleich vor der Ortschaft - ein Schicksalsschlag für die Gemeinde, die dann auch nach und nach zerbrach. Gemma macht die Einsamkeit nichts aus. Sie lebt mit Blick auf den kleinen Kirchturm in dem Haus, in dem schon einst ihr Vater geboren wurde. So würde es auch bleiben, sagt sie und verabschiedet sich in die stille Nacht.

Ausflug in den Nationalpark Gran Paradiso

Am Morgen mache ich mich auf den Weg in den Nationalpark Gran Paradiso. Drei Täler ducken sich zwischen mächtigen Bergrücken. Das einstige königliche Jagdrevier wurde 1922 zum ersten Nationalpark Italiens erklärt, insbesondere, um die damals im gesamten Alpenraum fast ausgerotteten Alpensteinböcke zu retten. »Inzwischen gibt es aber wieder etliche«, sagt Stephanie, eine der sechs Ranger im Tal von Rhêmes-Notre-Dame. Die junge Italienerin und ihr Kollege Alberto stehen in olivgrüner Kluft auf Schneeschuhen vor dem Besucherzentrum des Parks in Chanavey. Ich darf sie ein wenig begleiten. Und so wandern wir zu der Alm, die die Ranger als Stützpunkt nutzen. Loipen eskortieren uns eine Weile und werden von meterhohen Mauern aus Schnee abgelöst. Die steinernen Häuser und Höfe am Wegesrand sind verlassen. Einige werden es immer bleiben, andere sind nur im Sommer bewohnt.

Während die beiden konzentriert und leichtfüßig die Höhenmeter passieren, komme ich ins Schwitzen. Zwischen Tannen im Schneekleid treffen wir auf Tourenskigeher, die auf dem Weg zur nächsten Anhöhe sind, um dann ins Tal herunterzuwedeln. Stephanie und Alberto haben das große Fernrohr bereits aufgebaut, als auch ich endlich die Türschwelle der eingeschneiten Hütte erreiche. Was für ein Ausblick! Die Bergkuppen, wie die des Mont Roletta, zeichnen sich gegen den blauen Himmel ab, die strahlende Sonne bringt Schneefelder zum Glitzern. Ich blicke durch das Fernrohr und erkenne, kristallklar, als schaute ich in Wahrheit eine TV-Dokumentation, drei Alpensteinböcke, die sich ihren Weg gen Gipfel bahnen.

Geführte Touren mit Ski und Schneeschuhen

Trekking Habitat

Roberto Giunta ist ausgebildeter Naturführer und bietet Schneeschuhwanderungen durch das Valle del Gran Bernardo an.

Trek Alps

Das Team offeriert Eisklettern, Bergbesteigungen und Wanderungen mit Tourenski durch den Nationalpark.

Aostatal
An Gemütlichkeit und Gastfreundlichkeit ist das abgelegene Chalet de Pellaud kaum zu übertreffen
© Julia Grossmann

Ausgewählte Unterkünfte und Restaurants im Aostatal

Restaurant Chez Felice

Einige Autominuten vor dem Großen-St.-Bernhard-Tunnel reicht Felice Hausgemachtes aus dem Aostatal: Kastanien in Honig und Gnocchi überbacken mit Fontina, dem hiesigen Käse (Saint-Oyen, Rue Grand-Saint-Bernard 1, Tel. 0039-0165-78 96 00).

Chalet de Pellaud

Während der Kamin knistert, finden in der gemütlichen Hütte mitten im Nationalpark Käseplatten, Schinken und Polenta ihren Weg auf die Tische. Wer nicht hierhin wandern will, bestellt das hauseigene Schneemobiltaxi. Unbedingt reservieren (Rhêmes-Notre-Dame, Fraz. Pellaud 1, Tel. (mobil) 0039-349-227 25 27).

Le Barmé de l'Ours

Im Rhêmes-Tal gedeiht der Roggen. Mit diesem und weiteren lokalen Produkten hantiert Irene Piovanelli am liebsten in ihrer Küche. Sie kreiert eine überraschend neue Küche. Wild mit Birne und Spätzle zum Beispiel oder Wildschwein mit Polenta (Rhêmes-Saint-Georges, Fraz. La Fabrique 15, Tel. 0039-0165-90 75 04).

Hotel Suisse

Sechs rustikale Zimmer vermietet Edith in einem der alten Steinhäuser von SaintRhémy. Das Frühstück und das Abendessen serviert sie im behaglichen Gastraum (www.suissehotel.it, DZ/F ab 80 €).

Hotel Boule de Neige

Die 13 Zimmer mit Balkon liegen direkt an den Loipen und dem kleinen Skigebiet von Rhêmes-Notre-Dame. Der »Schneeball« hat auch einen kleinen Spa. (www.bouledeneige.net, DZ/F ab 94 €).

Chalet Charmant

Wer lieber ganz für sich sein möchte und die Abgeschiedenheit mit Blick auf die felsigen Flanken der Berge sucht, mietet sich in dem kleinen Chalet von Laura Cossard ein. Zu der voll ausgestatteten Hütte, die bis zu vier Personen beherbergen kann, führt eine etwa 30-minütige Wanderung von Rhêmes-Notre-Dame – oder eine rasante Fahrt mit dem Schneemobil. Dafür sind es bis zum »Chalet de Pellaud« und seinen Käseplatten nur fünf Minuten Fußweg (www.chaletcharmant.it, ab 50 €/Nacht).

GEO Saison Nr. 12/2018 - Australien

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