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De-Extinction Die "Rettung" des Nördlichen Breitmaulnashorns ist mit dem Tierschutz nicht vereinbar

Die Letzten ihrer Art: Diese beiden Nördlichen Breitmaulnashörner, Mutter und Tochter, leben schwer bewacht im Reservat Ol Pejeta Conservancy in Kenia   
Die Letzten ihrer Art: Diese beiden Nördlichen Breitmaulnashörner, Mutter und Tochter, leben schwer bewacht im Reservat Ol Pejeta Conservancy in Kenia
 
© Tony Karumba / Getty Images
Forschende und Zooleute wollen eine Spezies "auferstehen" lassen, die praktisch ausgestorben ist – auf Kosten der zwei überlebenden und weiterer, artverwandter Tiere. Was als noble Rettung inszeniert wird, ist vor allem "Jurassic Park", PR, Verdrängung und Speziesismus

Es gibt weltweit noch genau zwei Nördliche Breitmaulnashörner: eine Mutter und ihre Tochter. Der letzte männliche Vertreter der Spezies wurde 2018 eingeschläfert. Die Art wird in nicht allzu ferner Zukunft eine jener 150 Tier- und Pflanzenarten sein, die täglich von der Erde verschwinden.

In Berlin will man das nicht wahrhaben. Dort planen Forschende vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) und der Berliner Zoo "das scheinbar Unmögliche möglich zu machen" – und die Art im Reagenzglas wiedererschaffen. Mithilfe von Stammzellforschung, künstlicher Befruchtung, tiefgefrorenen Embryonen und "Leihmüttern" einer Unterart – des Südlichen Breitmaulnashorns – wollen sie die Spezies in Zuchtzentren nachzüchten

Das Projekt ist nicht das erste und nicht das einzige in dieser Richtung: Weltweit arbeiten Forschende daran, selbst aus Erbmaterial, das sie in Permafrostböden oder in ausgestopften Museumsexemplaren finden, längst ausgestorbene Tierarten wieder zum Leben zu erwecken. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie damit eines Tages Erfolg haben werden. Technisch gesehen.

Liest man wissenschaftliche Publikationen und Presseberichte darüber, gewinnt man den Eindruck, alle seien sich einig: dolle Sache!

Das ist nicht verwunderlich. Denn die Idee, Tierarten, die wir Menschen von diesem Planeten verdrängt haben, bei Bedarf sozusagen aus dem Kühlschrank zu holen, ist ein willkommenes Heilsversprechen angesichts unserer Bestürzung und der Trauer über den Verlust. Es ist ein bisschen wie mit dem Klima: Die Ohnmacht gegenüber der menschengemachten Erderwärmung und der Zerstörung, die sie anrichtet, beflügelt kühne Tech-Ideen: die Sonne mit Segeln im All abzuschirmen, Wolken künstlich zu erschaffen, etc. Ob diese Hacks am Ende funktionieren – oder so funktionieren, wie es von ihnen erwartet wird –, das weiß niemand. Klar ist nur, dass es besser wäre, schnell die Emissionen zu stoppen. Beziehungsweise Lebensräume und ihre Bewohner unangetastet zu lassen.

Die medizinische Machbarkeitsfantasie verdrängt allerdings nicht nur die Aufmerksamkeit für die Ursache des Problems. Sie verdrängt auch die schlichte Tatsache, dass nicht Spezies leidensfähig sind. Sondern ausschließlich Individuen.

Die "Rettung" ist nichts anderes als ein Tierversuch

Was das IZW und der Berliner Zoo vorhaben, ist ein großes Experiment mit großen Versprechungen – bei dem trotz des völlig offenen Ausgangs das Wohl einzelner Lebewesen bedingungslos der Existenz der Spezies untergeordnet wird. Wie viele Tiere in diesem Versuch "verwendet" werden, wie man im Fachjargon sagt, wie belastend die Prozeduren für sie sein werden – das kann heute niemand abschätzen.

So sollen dem jüngeren der beiden Tiere alle drei bis vier Monate Eizellen entnommen werden, um sie mit eingefrorenem Sperma von – längst toten – männlichen Tieren zu befruchten. Die Embryonen sollen Südliche Breitmaulnashörner austragen. Zwölf Versuche mit Embryonen aus dem Reagenzglas sind schon gescheitert. Bei einem dreizehnten entwickelte sich der Fötus 62 Tage gesund im Mutterleib – bis die Mutter an einer Bakterieninfektion starb.

Und selbst wenn es gelänge, in Zuchtzentren in aller Welt eine "genetisch gesunde" Population zu erschaffen: Es ist völlig unklar, ob die Tiere eine Chance haben, irgendwann wieder unbehelligt intakte Savannen zu durchstreifen. Denn für das Aussterben des Nördlichen Breitmaulnashorns gibt es Gründe. Wer garantiert, dass die gezüchteten Tiere ihr Leben nicht als Schaustücke in den Zoos der Welt, als lebende Leistungsnachweise der Reproduktionsmedizin beschließen?

Ein Projekt wie die Nachzüchtung des Nördlichen Breitmaulnashorns ist nur denkbar unter der Prämisse, dass nichtmenschliche Tiere in einer Hierarchie unter Homo sapiens stehen. Dass ihnen keinerlei grundlegende, individuelle Rechte zustehen, wie sie für uns Menschen selbstverständlich sind. Zum Beispiel das Recht auf körperliche Unversehrtheit, auf ein selbstbestimmtes Leben. Niemand käme auf die Idee, zum Beispiel eine Gruppe von indigenen Menschen, die auszusterben drohen, "nachzuzüchten". Und dann noch mit Methoden, die bei anderen Säugetieren (nicht nur vom Aussterben bedrohten Nashörnern) völlig selbstverständlich angewendet werden.

Nein, die "Wiedererschaffung" des Nördlichen Breitmaulnashorns ist keine noble Rettung; ihre Voraussetzung, der Speziesismus, ist Teil des Problems. Liebe Artenschützer: Schützt die letzten beiden Nördlichen Breitmaulnashörner vor Wilderern. Schützt ihre Lebensräume. Und dann lasst sie einfach in Ruhe.

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