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Vogelwart auf Trischen Allein auf einer Nordseeinsel: Jakob Wildraut hat Deutschlands einsamsten Job

Jakob Wildrauts Hütte auf der Nordseeinsel Trischen steht sturmflutsicher auf Stelzen. Hier lebt der Vogelwart für sieben Monate
Jakob Wildrauts Hütte auf der Nordseeinsel Trischen steht sturmflutsicher auf Stelzen. Hier lebt der Vogelwart für sieben Monate
© Jakob Wildraut
Jakob Wildraut lebt seinen Traum in einem Haus auf Stelzen. Neben Watt und Wellen gibt es auf der Nordseeinsel Trischen jede Menge Vögel. Und wegen ihnen nimmt der Ornithologe Monate der Entbehrung in Kauf. Ein Gespräch über den Reiz der unberührten Natur

Sieben Monate allein auf einer menschenleeren Insel. Was nach einem unfreiwilligen Abenteuer eines Schiffbrüchigen klingt, hat sich Jakob Wildraut selbst ausgesucht. Seit Ende März lebt der Ornithologe auf der 180 Hektar großen Insel Trischen vor der Meldorfer Bucht in der Nordsee. Ein kleines Paradies mitten im Wattenmeer – ganz besonders für die Vogelarten, die dort leben, rasten und brüten. 

Wildraut hat Deutschlands wohl einsamsten Job: Als Vogelwart für den NABU Schleswig-Holstein ist er der einzige Mensch, der die Insel betreten darf. Wie sein Alltag auf Trischen aussieht, wie er mit der Einsamkeit umgeht und welche Bedrohungen es vor Ort für die Vögel gibt, erklärt der 30-Jährige im GEO-Interview. 

GEO: Herr Wildraut, was fasziniert Sie so an der Insel Trischen? 

Jakob Wildraut: Trischen gilt als Schutzgebiet und wird seit bald 100 Jahren sich selbst überlassen. Deshalb können sich Natur und Tierwelt hier frei entwickeln, was für mich als Ornithologen einen besonderen Reiz hat. Viele Vögel brüten und rasten hier. Aktuell sind es rund 30 Brutvogelarten, darunter vor allem Möwen aber auch Seeschwalbenarten, Enten, Gänse, Watvögel und verschiedene Singvögel.

Als Vogelwart für den NABU Schleswig-Holstein werden Sie nun sieben Monate allein auf Trischen verbringen. Was waren die ersten Gedanken, als feststand, dass Sie Deutschlands einsamsten Job antreten werden?

Ich hatte mich beworben, weil ich Lust auf dieses Abenteuer hatte und es als eine Herausforderung angesehen habe. Als die Entscheidung dann gefallen war, habe ich vor Freude geweint. In den Wochen bevor es losging, war ich dann aber doch auch ziemlich nervös. Sieben Monate alleine an einem Ort zu sein, noch dazu weit weg von Familie und Freunden, das habe ich noch nie zuvor gemacht. Aber ich wollte es wagen.

Wie bereitet man sich auf so eine Zeit vor?

Ich habe mir vorher viele Gedanken über meine Aufgaben und Ziele für diese Zeit gemacht, habe Jahresberichte meiner Vorgänger studiert und mich auf die Arbeit eingestellt. Letztes Jahr war ich zudem schon einen Tag auf Trischen, um mir alles anzuschauen und da hat es sich richtig angefühlt, diesen Schritt zu gehen. Für die Freizeit habe ich mich hauptsächlich mit Büchern eingedeckt. Und da hier immer mal wieder Flaschenpost angeschwemmt wird, habe ich auch ein paar Postkarten eingepackt. So kann ich den Absendern antworten. 

Jakob Wildraut vor seiner 16 Quadratmeter großen Hütte auf Trischen
Jakob Wildraut vor seiner 16 Quadratmeter großen Hütte auf Trischen
© Jakob Wildraut

Wie werden Sie versorgt, wenn Sie die Insel nicht verlassen?

Einmal pro Woche kommt mein Versorger Axel Rohwedder bei Flut mit seinem Schiff an und bringt mir Lebensmittel und Wasser. Meist gibt es am Boot dann erstmal Frühstück und wir schnacken. Er bleibt den Tag über vor Ort, während Ebbe ist und ich arbeite. Sobald abends die Flut kommt, legt er wieder ab. Am Anfang gab es aufgrund von Reparaturen am Boot Schwierigkeiten mit der Lieferung. Da war ich direkt zwölf Tage allein auf Trischen und die Vorräte und das Trinkwasser wurden langsam knapp. Mittlerweile klappt es aber gut und ich habe auch immer ein paar Dosen als Vorrat hier.

Trischen wird fast ausschließlich von Vögeln bevölkert. Was zählt neben der Vogelbeobachtung noch alles zum Job des Vogelwarts?

Insgesamt sind es drei Bereiche. Ich kümmere mich um die Öffentlichkeitsarbeit, schreibe meinen Blog und werde nach meinem Aufenthalt auch Vorträge halten, um den Naturschutz auf der Insel bekannter zu machen. Mein zweiter Aufgabenbereich ist die Gebietsbetreuung. Da niemand außer mir die Insel betreten darf, bin ich dafür verantwortlich, dass das auch so bleibt. Es ist wichtig, dass die Tiere hier ihre Ruhe haben.

Der größte Bereich ist jedoch die wissenschaftliche Arbeit. Ich untersuche unter anderem wie viele Vogelarten und Paare auf der Insel Trischen brüten und beobachte im Frühling und Herbst die Zugvögel. Außerdem zähle ich, wie viele Vögel in und um die Insel im Wattenmeer rasten. 

Es muss schön sein, den Tieren in unberührter Natur so nah zu kommen…

Das ist wirklich etwas Besonderes. Ich wohne hier in einer Holzhütte auf Stelzen und die Vögel kommen meinem Zuhause auf Zeit sehr nahe. Es sind auch schon Singvögel in meine Hütte hineingeflogen. Ich erinnere mich noch an die Anfangszeit, als ich einen Ausflug in den Norden der Insel gemacht habe und plötzlich drei Seehunde vor mir lagen. Das war beeindruckend. Mittlerweile ist es ein täglicher Anblick. 

Gibt es auch Momente, die Sie auf Trischen herausfordern?

Absolut. Zu Beginn war das Wetter sehr kalt und regnerisch, da hatte ich auch mehrere Tage lang keinen Strom, denn den beziehe ich über Solarpaneele auf meinem Dach. Wenn man ohne Strom den ganzen Tag die Hütte nicht verlassen kann, muss man schauen, dass man sich gut beschäftigt. Und dann sind da noch die Herausforderungen, die der Schutz der Vögel mit sich bringt. 

Welche wären das?

Ich habe kürzlich Spuren von Wanderratten auf der Insel gefunden. Die sind sehr gefährlich für Brutvögel, denn die hier nistenden Arten sind nicht auf Feinde eingestellt. Sie brüten am Boden. Werden sie dann von einer Ratte überrascht, haben sie keine Chance. Wanderratten fressen nicht nur die Eier, sondern auch Küken und Vögel. Das war also eine ernste Sache. 

Auf der Insel brüten die Vögel am Boden und ziehen dort auch ihre Küken groß
Auf der Insel brüten die Vögel am Boden und ziehen dort auch ihre Küken groß
© Jakob Wildraut

Konnten Sie die Ratte aufspüren?

Ich konnte die Ratte einmal mit einem Nachtsichtgerät sehen. Mithilfe von zwei spezialisierten Biologen, die extra auf die Insel gekommen sind, haben wir es dann geschafft, das Tier zu fangen. 

Wie ist die Ratte denn überhaupt auf die Insel gelangt?

Sie wird vermutlich über das Watt gelaufen und einen Teil geschwommen sein. Allerdings sind es zehn Kilometer bis zum Festland, sie hat also eine ordentliche Strecke zurückgelegt. 

Es sind aber nicht nur Säugetiere, die die Vögel auf Trischen bedrohen. Welche Rolle spielt der Mensch?

Hier finden sich überall Spuren menschlichen Lebens – und zwar in Form von Müll. Oft sind es Abfälle aus der Fischerei wie Netze oder Leinen. So viel Müll, wie hier angeschwemmt wird, kann ich gar nicht aufsammeln. 

Und macht sich auch der Klimawandel bemerkbar?

Ja, der Anstieg des Meeresspiegels ist eine Bedrohung, gerade für so flache Inseln wie Trischen. Wenn das Wasser steigt, wird dieses Stück Land irgendwann verschwinden und somit auch die Brutstätte für viele Vögel. Es kommt außerdem zu stärkeren Stürmen, die Teile der Insel abtragen. Einiges wird auf der anderen Seite wieder angeschwemmt. Dadurch wandert Trischen langsam.

Für die Vögel sind auch die zunehmenden Sommerfluten ein Problem, denn sie sind an die Hochwasser nicht angepasst. Sie denken, ihre Eier sind auch in niedrigen Bereichen sicher, doch dann kommt das Wasser und Gelege und Küken gehen verloren. Der Klimawandel hat also schon heute große Auswirkungen.

Was sind Ihre Ziele für die nächsten Monate auf Trischen?

Den Tieren nahe sein und möglichst viel über sie erfahren und dokumentieren. Ich bin täglich mit meinen drei Ferngläsern, Spektiven, einer Kamera und einem Aufnahmegerät draußen. Ich mache außerdem beim Wattmonitoring mit, wo ich die Organismen im Watt wie beispielsweise Schnecken, Würmer und Muscheln erfasse. Auch Forschung an Schweinswalen und Seehunden steht noch aus. Aktuell sammle ich Eier von Austernfischern und Flussseeschwalben. Dann wird geschaut, wie hoch deren Schadstoffbelastung ist. Es gibt also noch einiges zu tun.

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