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China: Die Qual der "Galle-Bären"

Eingepfercht in Drahtkäfige erwarten Kragenbären die tägliche Tortur des Gallensaft-Zapfens. Tierschützer machen mobil gegen diese Bärenfolter, die auf einem Irrglauben der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) beruht. Eine Foto-Reportage

Inhaltsverzeichnis

Lebenslanges Leiden

Wer sie je schreien hörte, denkt an Kinderstimmen. Von Todesangst erfüllte, wunde und verzweifelte Kinderstimmen. Zweimal täglich stoßen Kragenbären diese markerschütternden Schreie aus. Wenn sie überhaupt noch die Kraft dazu haben. Zweimal täglich wird ihnen in einer unerträglichen Prozedur Gallensaft abgezapft. Zu diesem Zweck haben ihnen die Bauern auf den chinesischen Bärenfarmen Katheder durch die Bauchdecke in die Gallenblase gespießt. Durch diese Röhre wird ein Schlauch ohne Betäubung direkt in das Organ geführt. Als "human" gilt es, auf den Katheter zu verzichten und den Saft aus einer Bauchöffnung tropfen zu lassen, die operativ direkt mit der Galle verbunden wird. Damit das Tier sich vor Schmerzen weder Rohr noch Schlauch aus der entzündeten Wunde reißt, wird es in einem Stahlkorsett fixiert und dauerhaft zur völligen Bewegungslosigkeit verdammt.

Lebenslanges Leiden

Zusammengepfercht auf Lastwagen kommen die Bären auf der Rettungsstation der Animals Asia Foundation (AAF) in Chengdu an. Sie sind zu diesem Zeitpunkt seit Stunden unterwegs und vollkommen erschöpft
Zusammengepfercht auf Lastwagen kommen die Bären auf der Rettungsstation der Animals Asia Foundation (AAF) in Chengdu an. Sie sind zu diesem Zeitpunkt seit Stunden unterwegs und vollkommen erschöpft
© Animals Asia Foundation e.V.

Geraten sie als Jungtiere in Gefangenschaft, stehen den Kragenbären, in China auch Mondbären genannt, 10, 15, bisweilen sogar 20 Jahre in stinkenden Verliesen und rostigen Käfigen bevor. Diese sind so eng bemessen, dass die Tiere darin weder stehen noch sich umdrehen oder strecken können. Außer der täglichen Tortur des "Gallemelkens" unterbricht nichts die Monotonie ihrer Tage, Wochen, Monate und Jahre. Sie werden unterernährt, erhalten zu wenig Wasser, verdämmern im Stumpfsinn, nagen sich als Reflex auf die chronischen Schmerzen die Kiefer an den Eisenstäben blutig, hauen monoton ihre Köpfe gegen das Metall, bis sich nicht heilende Hautrisse und Geschwüre bilden; viele erblinden. Die Wunden entzünden sich, brennen und schmerzen, doch kratzen können sich die Tiere nicht, weil ihnen Krallen und häufig auch die Eckzähne zu Beginn ihrer Gefangenschaft herausgerissen worden sind, fast immer ohne Betäubung.

Die genaue Zahl der Opfer ist ungewiss

Hundert Kilogramm gilt bei frei lebenden Kragenbären, deren Zahl auf nur noch 15 000 geschätzt wird, als Mindestgewicht. Die gefangenen Tiere indes, abgemagert und ohne Muskelfleisch, bringen höchstens 70 Kilo auf die Waage. Vielen fehlt eine Tatze oder gleich der ganze Lauf - Verstümmelungen durch die Fangeisen, in die sie hineingetappt sind am Anfang ihres Martyriums, aus dem sie ein qualvoller Tod erlösen wird, irgendwann, zumeist als Folge einer Bauchfellentzüng oder Blutvergiftung. 7000 Mondbären sollen in den Käfigen offizieller chinesischer Bärenfarmen verkommen. Ob die Zahl stimmt, ob die Dunkelziffer illegaler "Privat-Zapfer" vielleicht noch viel höher ist, vermag niemand zu sagen.

Medizinischer Irrglaube

Schuld an der Bären-Tortur ist, wie bei anderen Tierquälereien im Reich der Mitte auch, der unerschütterliche Glaube der Chinesen an die Heilkraft ihrer 3000 Jahre alten "Traditionellen Chinesischen Medizin" (TCM). Ihr zufolge soll die im Bärengallensaft wirksame Säure UDCA entzündliche Krankheiten heilen, Krämpfe, Fieber-, Leber- und Augenbeschwerden kurieren. Dass diese dem Wirkstoff zugeschriebene Fähigkeit längst auch von Ärzten in China selbst als Irrglaube abgetan wird, hat die Nachfrage nicht gebremst. Ebenso wenig wie der Umstand, dass alle Produkte aus Bärengallensaft längst durch Alternativen aus Kräutern oder synthetischen Substanzen ersetzt werden können. Diese sind genauso wirksam, leicht verfügbar und obendrein noch viel billiger als das tierische Präparat.

Traumgewinne mit der Bärenfolter

Pro Jahr werden aus dem Gallensaft eines Bären zwei Kilogramm Gallenpulver gewonnen. Ein Kilo davon kostet in China - so hat die Tierschutzorganisation "Animals Asia Foundation" (AAF) in der Provinz Sichuan recherchiert - umgerechnet 350 Euro. Im reichen Südkorea erzielt eine ganze Gallenblase 7500 Euro! Klar, dass die Aussicht auf solche fetten Gewinne die Zahl der Bärenfarmen in die Höhe schnellen ließ. Mit dem Boom kam allerdings auch die Überproduktion. Inzwischen wird mehr Bärengallepulver produziert als der TCM-Markt abnimmt. Deshalb haben sich Unternehmen in die Herstellung überflüssiger Produkte geflüchtet, wie Halsbonbons, Shampoo, Gallenwein und -Tee. Deren medizinischer Nutzen ist gleich null. Trotzdem gibt es auch hierfür in China selbst, vor allem aber in den großen chinesischen Gemeinden jenseits der Landesgrenzen und in Übersee Nachfrage.

Nur langsam löst die Regierung ihr Versprechen ein

Jahrelange internationale Proteste bewegten die chinesische Regierung im Sommer 2000 dazu, zumindest formell Konzessionen zu machen. Alle 247 staatlich lizensierten Bären-Farmen, die damals in Betrieb waren, sollten nach und nach geschlossen werden. Mit der in Hongkong ansässigen Tierschutzorganisation "Asia Animals Foundation" (AAF) schloss das Forstministerium ein Abkommen, wonach 500 in der Provinz Sichuan befindliche Bären in die Obhut von AAF übergeben werden sollten. Fast fünf Jahre später hält sich der Erfolg allerdings in Grenzen: Bis heute sind erst 42 Farmen dicht und 185 Bären im Auffanglager von AAF in Chengdu, in der Provinz Sichuan, angekommen.

Kati Löffler, Tierärztin der AAF, wirft gleich bei der Ankunft einen ersten besorgten Blick auf die Bären
Kati Löffler, Tierärztin der AAF, wirft gleich bei der Ankunft einen ersten besorgten Blick auf die Bären
© Animals Asia Foundation e.V.

Erste Hilfe im AAF-Bärencamp

Jeder neue Sammeltransport - Lastwagen mit gestapelten Bärenkäfigen - bietet den Tierschützern von AAF ein ähnlich furchtbares Bild: abgemagerte, von Wunden übersäte Körper; verstümmelte Gliedmaßen, blutende Bäuche, blank gescheuerte Felle, unbehandelte Knochenbrüche; vor Schmerz und Wut rasende Geschöpfe. Gail Cochrane ist Tierärztin und hat alle Bären behandelt, die bislang beim AAF angekommen sind. Jedes Tier wird zunächst betäubt, dann aus dem viel zu engen Käfig buchstäblich herausgeschnitten. Die Ohren werden gereinigt, die Krallen versorgt, das Bauchfell rasiert, um die Zapfwunde untersuchen und versorgen zu können. Per Ultraschall und durch Abtasten werden die inneren Organe untersucht. Häufig muss die perforierte Gallenblase herausoperiert werden, um einer Blutvergiftung vorzubeugen. Nach der Anamnese wird der Bär von den Helfern in einen mit Stroh gepolsterten Käfig getragen. Dort wird er zum ersten Mal seit vielen Jahren aufwachen, ohne sofort von Gitterstäben niedergedrückt zu werden.

Noch ein weiter Weg bis zum Ziel

Ihre physischen und seelischen Verwundungen verhindern, dass diese Bären jemals ausgewildert werden können. Sie werden für den Rest ihres Lebens Pflegefälle bleiben. Doch wer je sah, wie sie das Vertrauen in ihre ungewohnte Freiheit zurückgewinnen, mühsam das Laufen wieder lernen, anfangen mit Bambusstämme zu spielen, das Zusammensein mit ihren Artgenossen entdecken, auf frischen Zweigen kauen und aufhören wie kleine Kinder zu schreien, sobald sich ihnen ein Mensch nähert - der weiß, dass der Kampf gegen die Bärenfarmen und der Druck auf die chinesische Regierung nicht nachlassen dürfen. Und die Hilfen für die Tierschutzorganisationen in China auch nicht.

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