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Kirche Von Exorzisten und Dämonen: Wie Menschen im Mittelalter gegen die Helfer des Teufels kämpften

Dämonen, so glaubte man im Mittelalter, würden Menschen in ihrem Alltag quälen und verführen. Hier eine Darstellung des Heiligen Antonius um 1520 aus dem Wallraf-Richartz-Museum in Köln
Dämonen, so glaubte man im Mittelalter, würden Menschen in ihrem Alltag quälen und verführen. Hier eine Darstellung des Heiligen Antonius um 1520 aus dem Wallraf-Richartz-Museum in Köln
© Wikimedia Commons
Dämonen galten im Mittelalter als alltägliche Bedrohung. Der Historiker Rudolf Simek untersucht in seinem Buch, wie sich die Menschen gegen diese Wesen zur Wehr setzten – und warum der Glaube an Dämonen so verbreitet war

GEO: Herr Professor Simek, Sie forschen über Dämonen. Warum widmen Sie sich ausgerechnet diesem doch sehr speziellen Forschungsfeld?

Prof. Rudolf Simek: Weil der Glaube an Dämonen viel über die Menschen im Mittelalter aussagt.

Nämlich?

Dass sie sich intensiv mit dem Bösen in der Welt auseinandergesetzt haben, ganz anders als wir heute. Wenn jemand böse handelt, sagen wir meist: "Die Person hat wohl ein Kindheitstrauma erlitten oder leidet an psychischen Problemen." Die Menschen im Mittelalter dagegen waren von der Existenz des personifizierten Bösen überzeugt: in Form des Teufels und seiner Erfüllungsgehilfen, den Dämonen.

Wie hat man sich diese Dämonen vorgestellt?

Als Geistwesen, die keinen eigenen Körper haben, aber Scheinkörper annehmen können. Und als gefallene Engel, also geflügelt. Außerdem hat man sie sich schwarz vorgestellt. Nicht, weil die Menschen rassistisch waren, sondern weil sie die Dämonen in der Hölle verortet haben. Mit der Zeit hat man die Dämonen mit tierischen Elementen versehen, etwa Hörnern, Schwanz und einer starken Behaarung.

Rudolf Simek ist emeritierter Professor für mittelalterliche deutsche und nordische Literatur an der Universität Bonn
Rudolf Simek ist emeritierter Professor für mittelalterliche deutsche und nordische Literatur an der Universität Bonn
© privat

Und wie tief verwurzelt war der Glaube an diese Wesen in der Bevölkerung?

Es gab im Mittelalter das Sprichwort: "Der Teufel ist überall." Dämonen wurden mit Mückenschwärmen verglichen, die die Menschen permanent umschwirren. Sie galten als alltägliche Bedrohung und dementsprechend hatten die meisten Personen eine – im wahrsten Sinne –Höllenangst vor diesen Wesen.

Woher rührte dieser Glaube an Dämonen?

In der Bibel wimmelt es von Dämonen. Im Matthäus-Evangelium etwa ist zu lesen, wie Jesus Massenaustreibungen von Dämonen in den Städten Gadara und Gerasa vornimmt. Das Lukas-Evangelium beschreibt, dass auch Jesus‘ Jünger in der Lage seien, Dämonen auszutreiben. Und wenn die Bibel voll davon ist, dann – so glaubten die Menschen im Mittelalter – muss was dran sein.

Welche Aufgabe schrieb man den dunklen Geistwesen zu?

Erstens, Menschen in ihrem Alltag zu quälen, also Schaden zuzufügen. Zweitens, Menschen zur Sünde zu verführen, indem sie deren Schwächen wie Habgier oder Neid ausnutzen und somit zum Abfall vom Glauben zu bringen. Drittens, diese armen Seelen nach ihrem Tod in der Hölle zu quälen.

Wo sind Dämonen im Alltag konkret aufgetaucht?

Besonders real waren für die Menschen Krankheitsdämonen. Sie wurden hinter rätselhaften Fieberkrankheiten wie Malaria vermutet oder anderen Krankheiten, an denen Kinder überraschend schnell starben. Im Volksglauben spielten auch Wetterdämonen, die Unwetter und Hagel mit sich brachten, eine große Rolle. Daneben kannten die Menschen aber beispielsweise auch den Mittagsdämon, den sie für Trägheit nach dem Mittagessen, oder den Fehlerdämon, den sie für Missgeschicke aller Art verantwortlich machten.

Von Dämonenaustreibungen berichtet auch die Bibel: Im Matthäus-Evangelium etwa ist zu lesen, wie Jesus Dämonen austreibt
Von Dämonenaustreibungen berichtet auch die Bibel: Im Matthäus-Evangelium etwa ist zu lesen, wie Jesus Dämonen austreibt
© picture-alliance / akg-images | akg-images

Der Dämonenglaube war also überall dort ausgeprägt, wo Menschen keine andere Erklärung für bestimmte Ereignisse fanden.

Genau. Es ging um Phänomene, die durchaus existenz- oder lebensbedrohlich sein konnten, und da hat man um Erklärungen gerungen. Wenn etwa ein lokal auftretender Hagelsturm die Ernte eines Bauern vernichtet hatte, während der Nachbarort völlig verschont geblieben war, wollte der Betroffene natürlich wissen: "Warum hat es mich getroffen?" Das Treiben der Dämonen bot sich als Erklärung an. Ähnliches gilt für Krankheitsdämonen: Gegenüber todbringenden Krankheiten war die Medizin oft hilflos. Der Glaube an Dämonen gab den Menschen die Hoffnung, damit fertig zu werden oder zumindest irgendetwas tun zu können.

Aber was konnte man denn gegen die Dämonen unternehmen?

Das war unterschiedlich. Gegen Sturmdämonen sollte Glockengeläut helfen. In viele Glocken war das Ave Maria eingraviert, und das bedeutete: Mit jedem Glockenschlag rief man die Gottesmutter an, die die Dämonen vertreiben sollte. Es gab auch Prozessionen gegen Unwetter, bei denen den Dämonen das Kreuz Christi entgegengehalten wurde. Auch nicht-christliche Rituale hielten sich im Mittelalter: etwa mit Wetterhörnern gegen ein Gewitter anzublasen oder an Bäumen Zettel mit Beschwörungen aufzuhängen. Im äußersten Notfall wurden gegen heranziehende Gewitter alte Frauen vors Dorf geschickt, die sich dort umdrehten, bückten und den heranziehenden Sturmdämonen ihr Hinterteil entgegenstreckten.  

Half diese Maßnahme auch gegen Krankheitsdämonen?

Nein, gegen Krankheiten hat man vor allem auf Blei-Amulette gesetzt. Es handelte sich um kleine Blechstreifen mit Segenssprüchen, die ins Gewand eingenäht wurden. Das hat man besonders bei Kindern gemacht, um Krankheitsdämonen abzuwehren. Da konnte beispielweise draufstehen: "Ich beschwöre Euch Krankheitsdämonen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, dass Ihr diesem Kind nicht schadet an seinem Kopf und an seinen Gliedern, weder bei Tag noch bei Nacht. Seht das Kreuz Christi! Flieht Ihr bösen Geister!"

Wie stand denn die Kirche zu solchen Glücksbringern?

Das ist die große Frage. Der offizielle Standpunkt der Kirche war tatsächlich, dass man Tieren und Menschen keine solche Schriftstücke umbinden sollte, weil das Magie sei. Gleichzeitig war das Herstellen von Amuletten ein Riesenmarkt. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass der Großteil der Amulette von Priestern und Mönchen hergestellt wurde, denn sie konnten schreiben und kannten die Schutzformeln. Für sie war das wohl ein Nebenverdienst und gleichzeitig die Möglichkeit, den betroffenen Menschen irgendeine Art von Hilfe zu bieten. Es gab hier also eine Diskrepanz zwischen offizieller Lehrmeinung der Kirche und praktischer Umsetzung. 

In welchen Fällen kam es zu Exorzismen, also zu Dämonenaustreibungen?

Das, was wir heute unter einem Exorzismus verstehen, wurde bei sogenannten Besessenen angewendet. Menschen mit einer psychischen Krankheit, für die man keine andere Erklärung als Dämonen fand. Man glaubte, dass die Dämonen durch den Mund oder die Ohren in den Körper der Menschen eindringen können, oder sich in den Haaren einnisten.

Lesetipp: Rudolf Simek: Dämonen, Teufel, Hexenglaube. Böse Geister im europäischen Mittelalter. Böhlau, 39 €
Lesetipp: Rudolf Simek: Dämonen, Teufel, Hexenglaube. Böse Geister im europäischen Mittelalter. Böhlau, 39 €

Und was waren Anzeichen für Besessenheit?

Wenn eine Person plötzlich eine Fremdsprache sprach, die sie bis dahin nicht konnte, unerklärliche Körperkräfte entwickelte oder Kenntnisse über Dinge oder Ereignisse hatte, die sie eigentlich nicht wissen konnte. Diese Kriterien für Besessenheit gelten in der katholischen Kirche offiziell bis heute.

Wie häufig fanden Dämonenaustreibungen statt?

Das ist schwer zu sagen. Für das Mittelalter sind wesentlich weniger Fälle echter Dämonenaustreibung belegt, als man zunächst vermuten würde, auch wenn schwer zu unterscheiden ist zwischen Wundergeschichten in den Lebensbeschreibungen von Heiligen und historischen Schilderungen. Man muss sich klar machen, dass es nicht den einen Exorzismus gab. Stattdessen unterscheidet das Kirchenrecht zwischen dem einfachen Exorzismus, den sogar Laien ausüben können, und dem feierlichen, der von einem amtlichen Exorzisten mit Erlaubnis des Bischofs durchgeführt wurde.

Wie kann man sich einen feierlichen Exorzismus vorstellen?

Zunächst fand ein solcher Exorzismus nicht etwa im Verborgenen statt, sondern in der Kirche oder in Klosterräumen, unter Anwesenheit der Familie, von Priestern und Angehörigen. Vermutlich gab es auch öffentliche Austreibungen. Der Exorzist rief dann mehrfach feierlich die Dreifaltigkeit aus, beschwor den Dämon und sagte verschiedene Formeln auf. Zu den häufigsten Exorzismusformeln gehörte: "Christus siegt, Christus herrscht, Christus befiehlt!" Zum Ritus gehörten Gebete, Handauflegen, Kreuzzeichen, die über den Exorzierenden geschlagen wurden und Kerzen. Ziel war es, dass der Dämon aus dem Körper der besessenen Person fährt. Das ganze Ritual war auch ein Drama, das die Macht Gottes, seiner Kirche und seiner Diener darstellte und dafür eines Publikums bedurfte.

Nun werden heute zumindest in Mitteleuropa wohl nur wenige Menschen zugeben, an Dämonen zu glauben. Wann hat der Glaube an diese Wesen abgenommen?

Das war ein sehr langfristiger Prozess, der mit der Reformation einsetzte. Die Reformatoren des 16. Jahrhunderts haben versucht, Auswüchse wie das Verkaufen von Amuletten gegen Geld zu unterbinden. Auch Engel spielen im Protestantismus eine untergeordnete Rolle. Ich denke, dass der Dämonenglaube schlichtweg als immer weniger zeitgemäß empfunden wurde. Die Katholische Kirche beschäftigt zwar noch heute Exorzisten, aber selbst für Gläubige spielen Dämonen kaum eine Rolle.

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