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Heilung Wunderwaffe Stammzellen: Was man über die Hoffnungsträger der Medizin wissen sollte

Probe von Stammzellen, die im Labor in einer Petrischale  pipettiert wird
Im Labor ist es möglich, Stammzellen zu extrahieren und in Nährflüssigkeit zwischenzulagern 
© Westend 61 / picture alliance
Sie können Lahme wieder in Bewegung versetzen, Blinden das Augenlicht zurückgeben oder Herzkranken neues Leben schenken: Stammzellen gelten als Wunderwaffe beim Wiederaufbau von zerstörtem Gewebe. Was genau macht diese Zellen so einzigartig? Und warum ist ihr Einsatz bisweilen so umstritten?

Inhaltsverzeichnis

Im Verborgenen sorgt ein komplexer Mechanismus dafür, dass unser Körper sich immer wieder erneuern und reparieren kann. Hauptakteur dieses lebenswichtigen Prozesses sind die Stammzellen. Dank ihrer speziellen Fähigkeiten sind sie auch zu Hoffnungsträgern der Medizin geworden. Denn mit ihrer Hilfe versuchen Forschende, selbst schwerste Leiden zu heilen. 

Was macht Stammzellen so besonders?

Stammzellen sind eine Art natürliches Reservoir, aus dem der Körper kranke, verbrauchte oder abgestorbene Zellen ersetzt. Denn zum einen sind sie in der Lage, sich unbegrenzt zu teilen und immer neue Zellen hervorzubringen. Zum anderen entwickeln sich aus Stammzellen die mehr als 200 verschiedenen Zell­arten des menschlichen Körpers. Aus ihnen können unter anderem Haut-, Muskel-, Blut- oder Nervenzellen hervorgehen. Das Geheimnis der Stammzellen liegt also in ihrer enormen Wandlungsfähigkeit.

Sie werden immer dann aktiviert, wenn der Körper irgendwo Schaden nimmt oder einzelne Zellen ersetzt werden müssen. Kommt es etwa zu einem Defekt in der Haut, erzeugen die dortigen Stammzellen durch Teilung neue Zellen, die dann in die benötigte Form ausreifen. Botenstoffe beeinflussen, ob sich eine Blutstammzelle beispielsweise zu einer Antikörper produzierenden Abwehrzelle oder zu einem Sauerstoff transportierenden roten Blutkörperchen entwickelt.

Welche Typen von Stammzellen sind bekannt?

Forscher unterscheiden zwei übergeordnete Gruppen: adulte (erwachsene) Stammzellen und embryonale Stammzellen. Während sich adulte Stammzellen nur noch in bestimmte Körperzellen entwickeln können, bergen embryonale Stammzellen das Potenzial, jedes beliebige Körpergewebe zu bilden. Sie existieren jedoch nur im frühen Embryo – wenn sich Samen und Eizelle zu neuem Leben vereinigt haben.

Prinzip der Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen
Da für die Gewinnung von embryonalen Stammzellen Embryonen zerstört werden, ist dies hierzulande aus ethischen Gründen verboten
© dpa infografik / picture alliance

Dazu muss ein Spermium die Wand einer Eizelle durchbohren und in sie eindringen. Die so befruchtete Eizelle teilt sich rund 30 Stunden später in zwei Tochterzellen. Durch weitere Teilungen entsteht ein immer größerer Zellhaufen. Die äußeren Zellen des Haufens flachen sich nach und nach ab und verwandeln sich in die Hülle einer Kugel. Im Inneren der Kugel reift der eigentliche, aus Stammzellen gebildete Embryo heran.

Im Laufe der weiteren Entwicklung beginnen sich diese Stammzellen zu spezialisieren – gesteuert durch ein genetisches Programm, bilden sich aus manchen Muskeln, Knochen und Bindegewebe des Embryos, während aus anderen später Leber, Lunge, Magen oder Darm hervorgehen. Wollen Forscher mit embryonalen Stammzellen im Labor forschen, entnehmen sie diese dem Embryo, bevor die Spezialisierung eingesetzt hat.

Wo kommen Stammzellen zum Einsatz?

Mithilfe bestimmter Signalstoffe können Forscher die Stammzellen dazu anregen, sich in sogenannte Vorläuferzellen zu entwickeln. Das sind Gebilde, aus denen dann jeweils die verschiedenen Körperzellen hervorgehen – etwa Muskel- oder Nervenzellen. Durch Transplantation solcher Vorläuferzellen erzielen Mediziner immer neue Erfolge bei der Behandlung von krankem oder zerstörtem Gewebe, zum Beispiel nach einem Herzinfarkt, bei Diabetes, Parkinson, Alzheimer oder Querschnittslähmung. 

Der weltweit erste Mensch, der durch Stammzellen Teile seiner Beweglichkeit wiedererlangte, war der Amerikaner Kris Boesen. Nach einem Autounfall war Boesen vom Hals abwärts gelähmt. Bei einem Eingriff an der Halswirbelsäule spritzten ihm Ärzte im Jahr 2016 spezielle, aus embryonalen Stammzellen entwickelte Vorläufer-Gewebezellen in den lädierten Rückenmarkskanal. Dort halfen die Zellen, neues Nervengewebe aufzubauen, sodass Boesen einige motorische Fähigkeiten zurückzugewinnen vermochte. 

Gerade in den letzten Jahren haben die Wissenschaftler bahnbrechende Fortschritte erzielt, und so ruht die Hoffnung vieler Patienten auf diesen neuartigen Therapien. Da bei dieser Form der Forschung lebensfähige Embryonen zerstört werden, ist sie hierzulande jedoch untersagt.

Welche Alternative zu Stammzellen gibt es?

Lange Zeit galt das Dogma, dass nur embryonale Stammzellen in der Lage sind, alle anderen Zelltypen des Körpers zu formen. Doch inzwischen sind Forscher in der Lage, gewöhnliche Gewebezellen (etwa der Haut) so zu verändern, dass sie ihre Spezialisierung gewissermaßen aufgeben und sich wieder in einen embryonalartigen Zustand zurückentwickeln. 

induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen)
Um auf Stammzellen verzichten zu können, versuchen Forschende, mithilfe von genetischer Umprogrammierung aus normalen Körperzellen alle möglichen Gewebe neu aufzubauen 
© chombosan / Istock

Dazu entnehmen sie einem Probanden Hautzellen (1). Durch eine genetische Manipulation im Labor (2) entstehen aus den Hautzellen sogenannte iPS-Zellen (Zellen mit "induzierter Pluripotenz"). Die iPS-Zellen werden anschließend vermehrt (3). Aus ihnen lässt sich nun jede Art von Körperzelle entwickeln (4). Noch ist das Verfahren recht aufwändig, doch es kommt einer Revolution in der Stammzellforschung gleich. Denn für etliche therapeutische Anwendungen müssen Mediziner nicht länger lebensfähige Embryonen zerstören. So gelang es Molekular-Biomedizinern aus Münster etwa, aus iPS-Zellen funktionsfähige Netzhautzellen zu gewinnen und daraus Retina-Gewebe aufzubauen.

Da iPS-Zellen aus dem Gewebe eines potenziellen Empfängers hergestellt werden können, haben sie zudem den Vorteil, dass Abstoßungsreaktionen durch das Immunsystem quasi ausgeschlossen sind. 

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