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Essstörung Magersucht: Ursachen, Anzeichen, Auswege

Eine dünne Frau sitzt mit dem Rücken zum Betrachter auf einem Bett
Mädchen und Frauen erkranken häufiger an Magersucht als Jungen und Männer. Betroffene ziehen sich oft mehr und mehr zurück: Die Krankheit bedeutet dann auch soziale Isolation
© Mango Street Lab / Stocksy
Auch wenn Experten die Gründe für Magersucht noch nicht vollends entschlüsselt haben, kennen sie doch eine Reihe typischer Ursachen und Anzeichen. Freunde und Angehörige von möglicherweise Betroffenen sollten auf bestimmte Warnsignale achten. Und bei Gesprächen über das Thema einige Empfehlungen beherzigen     

I. Ursachen

Trotz aller Forschung weiß man bis heute nicht genau, warum schätzungsweise 0,5 bis 1 Prozent der Menschen eine Magersucht (Anorexia nervosa) entwickeln. Klar ist: Die Krankheit beginnt meist in der frühen Jugend, oft auch im jungen Erwachsenenalter; Mädchen und Frauen erkranken häufiger als Jungen und Männer.

Als Auslöser nennen Experten eine Kombination verschiedener Faktoren: So existiert eine noch immer nicht vollends entschlüsselte genetische Prädisposition für Magersucht, wie unter anderem Zwillingsstudien ergeben haben. Dazu kommt eine Reihe von psychischen und sozialen Faktoren wie etwa übertriebener Leistungsdruck, Perfektionismus, Hyperaktivität, falsche Vorbilder in den Medien, Depressionen, Mobbing, sexueller Missbrauch. 

Nicht bei allen Betroffenen sind solche Ursachen klar auszumachen. Und selbst wenn sie gebündelt auftreten, führen sie nicht zwangsläufig in die Magersucht. "Aber sie machen die Krankheit wahrscheinlicher", sagt Stephan Zipfel, Professor für psychosomatische Medizin und einer der führenden Experten für Essstörungen. 

Als "100-Millionen-Dollar-Frage" bezeichnet Zipfel die Frage nach den definitiven Gründen der Magersucht. Er hat eine groß angelegte Studie durchgeführt, für die er Avatare von teilnehmenden Magersüchtigen am Computer erstellen ließ – und die Erkrankten dann mit ihren digitalen Ebenbildern konfrontierte. Das Ergebnis: Die Betroffenen haben keine Schwierigkeit, die – oft extrem dünnen – Avatare als Abbild ihrer selbst zu erkennen. Es ist also nicht so, dass sie beim täglichen Blick in den Spiegel eine korpulente Person sehen würden; und obwohl ihr Körper ausgemergelt ist, geben sie in der Regel an, gern noch dünner sein zu wollen. "Die Körperbildstörung ist kein primäres Problem der Wahrnehmung“, sagt Zipfel, "sondern der Beurteilung."

Eine dünne Frau joggt
Magersüchtige treiben häufig sehr viel Sport. Die Bewegung führt in Kombination mit der mangelnden Nahrungsaufnahme zu besonders schnellem Gewichtsverlust
© Flamingo Images / Stocksy

II. Anzeichen

Von Magersucht Betroffene verzichten oft auf kalorienreiche Lebensmittel, in der Regel kohlenhydrat- und fettreiche Produkte. Sie kontrollieren ihre Nahrungsaufnahme penibel, wiegen Portionen ab; lassen Mahlzeiten weg, essen auffallend langsam, kauen lange, trinken nur sehr wenig oder aber, gegen den Hunger, sehr viel. 

Oft wirken sie rastlos, machen Sport bis zur Erschöpfung, gehen auch mit Erkältung ins Fitnessstudio, joggen auch bei strömendem Regen. Mitunter nehmen sie Abführmittel ein oder Entwässerungstabletten oder führen Erbrechen herbei, um noch mehr abzunehmen.

Paradoxerweise lesen sie nicht selten Kochbücher, sammeln Rezepte, kochen und backen für andere, ohne selbst von den Gerichten zu essen – möglicherweise ein Ausdruck einer exzessiven Beschäftigung mit dem Thema Nahrungsmittel, vielleicht auch eine Art Kompensation für den eigenen Verzicht. 

Aber natürlich prägen nicht alle Magersüchtigen diese Kennzeichen in gleicher Weise aus, für viele Betroffene trifft manches nur zum Teil zu. So ist es für Verwandte und Freunde oft schwer, die Erkrankung zu erkennen, zumal gilt: Obwohl Betroffene frühestmögliche Hilfe benötigen, sollte man nicht vorschnell urteilen, ist nicht jedes ungewöhnliche Essverhalten problematisch.

Die Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin Julia Leithäuser, die seit fast 30 Jahren Magersüchtige behandelt, unterscheidet zwischen "essgestörtem Verhalten" und "Essstörung". Wenn Menschen sich ständig mit ihren Mahlzeiten beschäftigen, Ernährungspläne aufstellen, permanent Mengen und Zutaten kontrollieren, weisen sie demnach essgestörtes Verhalten auf, das psychologisch belastend, aber für den Körper durchaus gesund sein kann. Eine Essstörung im Sinne der Magersucht dagegen mache den Körper zum Feind und schade ihm. 

"Das häufigste und klarste Zeichen dafür ist der schnelle und deutliche Gewichtsverlust", sagt Leithäuser. "Dazu kommt das Wegbleiben von gemeinsamen Mahlzeiten am Esstisch, die Ausrede, man habe schon gegessen. Magersucht bedeutet oft auch sozialen Rückzug." 

Leerer Teller mit Besteck daneben
Wenn eine dünne Person auffällig häufig Mahlzeiten auslässt, immer wieder Gründe vorbringt, um sich von gemeinsamen Essensrunden fernzuhalten, könnte es für Freunde und Familie Zeit sein, das Gespräch zu suchen  
© annick vanderschelden photography / Getty Images

III. Auswege

Je früher eine Magersucht behandelt wird, desto höher ist die Chance auf Heilung. Julia Leithäuser empfiehlt Familien und Freunden von Betroffenen in erster Linie, sich zu informieren, nicht wegzuschauen, das Problem anzusprechen, indem man seine eigenen Sorgen ausdrückt. 

Ratsam ist, das Gespräch nicht zu kleinteilig und konkret anzugehen; Diskussionen über Essensmengen und einzelne Nahrungsmittel führen meist zu nichts, erst recht nicht Debatten über die Figur der erkrankten Person. Wichtig auch: Kritik und Vorwürfe sind möglichst zu vermeiden.

"Es bringt nichts, zum Essen anzuregen oder gar aufzufordern", sagt Leithäuser. "Besser ist zu sagen: Ich sehe deinen Gewichtsverlust, ich mache mir Sorgen. Ich habe mich schlau gemacht über Essstörungen und möchte dir davon erzählen, weil ich das Gefühl habe, das könnte bei dir so sein. Was meinst du?" 

Man dürfe jedoch nicht erwarten, dass die oder der Betroffene gleich zustimme. "Es geht darum, einen Anfang zu machen, Vertrauen aufzubauen, das Nachdenken und den Austausch über die Situation in Gang zu bringen." Dann könne man bei nächster Gelegenheit anregen, wiederum mit Verweis auf die eigenen Gefühle, Hilfe von außen zu holen: "Man muss zum Arzt gehen und abklären, wie der körperliche Zustand ist, wie ernst die Lage und wie es weitergehen kann." 

Denn in den allermeisten Fällen gilt: Ohne professionelle Hilfe gelingt die nachhaltige Besserung nicht. Häufig vergeht aber zu viel Zeit, bis Betroffene so weit sind, solche Hilfe anzunehmen. Gerade deshalb sind Gespräche mit Vertrauenspersonen so bedeutsam.

 "Das Thema ist extrem unangenehm", sagt Leithäuser, "und zu oft herrscht Sprachlosigkeit. Die gilt es möglichst früh zu durchbrechen." 

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