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Fentanyl Mehr Drogentote in Deutschland befürchtet: Was eine Entscheidung der Taliban damit zu tun hat

Afghanischer Polizist zerstört ein Mohnfeld in Masar-e-Scharif als Maßnahme zur Eindämmung des Opiumhandels
Seit 2022 unterbinden die Taliban den Anbau von Schlafmohn (hier ein afghanischer Polizist in einem Feld in Masar-e-Scharif)
© imago images
In Afghanistan ist die Opium-Produktion eingebrochen. Was zunächst nach einer guten Nachricht klingt, könnte zu vielen Toten in Europa führen. Denn mehr und mehr zeichnet sich ab, dass nun weit gefährlichere Ersatzstoffe den Markt fluten

Nicht zufällig ist das synthetische Schmerzmittel Fentanyl auch als "Zombie-Droge" bekannt. Neben seiner betäubenden und euphorisierenden Wirkung attackiert es unter anderem die Muskeln. Bei Langzeitkonsumenten versteift sich daraufhin der Körper: Wie in einem Horrorfilm neigen Betroffene zu unkontrollierten Bewegungen, wanken durch die Gegend oder sacken nach vorn.

Solche Bilder sind bislang vornehmlich aus den USA bekannt. Dort stuft die nationale Drogenbehörde DEA Fentanyl inzwischen als "die tödlichste Drogengefahr" überhaupt ein. Zehntausende sterben jedes Jahr an einer Überdosis. Viele von ihnen waren zuvor süchtig nach starken Schmerzmitteln wie Oxycotin, die ihnen Ärzte leichtfertig verschrieben haben. Als die Rezepte ausliefen, gerieten sie auf dem Schwarzmarkt an Fentanyl.

Bis zu 100-mal wirksamer als Heroin

Fentanyl ist nicht nur vergleichsweise einfach und günstig herzustellen, sondern überaus potent: Die tödliche Dosis liegt bei gerade einmal zwei Milligramm; bei Heroin sind es 200 Milligramm. Wenige winzige Krümel können bereits einen Atemstillstand herbeiführen. Laut New York Times steht die sinkende Lebenserwartung in den USA in direktem Zusammenhang mit den vielen Fentanyl-Toten.

Auch in Deutschland sterben wieder mehr Menschen an Drogen. Laut jüngst veröffentlichten Zahlen hat das Bundeskriminalamt im Jahr 2023 insgesamt 2227 drogenbedingte Todesfälle registriert – etwa doppelt so viele wie vor zehn Jahren und rund zwölf Prozent mehr als im Vorjahr. Bei 1479 der Verstorbenen wurde ein Mischkonsum verschiedener illegaler Substanzen festgestellt. Das sind 34 Prozent mehr als 2022. 

Und es besteht die Sorge, dass sich diese Situation in den kommenden Jahren weiter verschärfen könnte, nicht zuletzt durch Fentanyl. Zwar hat Deutschland kein den USA vergleichbares Opioid-Problem und noch ist die Substanz hierzulande eher punktuell verbreitet, doch Expertinnen und Experten fürchten, dass sich dies bald ändern könnte.

Mullahs dämmen den Opiumhandel ein

Einen Grund dafür sehen sie in einer Entscheidung der Taliban in Afghanistan. Nach der Machtübernahme verbot das Mullah-Regime im Jahr 2022 den Anbau von Schlafmohn, der zur Produktion von Heroin genutzt wird. Bereits im Jahr darauf brach die Produktion um circa 95 Prozent ein, wie Satellitenbilder der UN offenbaren. Afghanisches Heroin (das den europäischen Markt dominiert) benötigt von der Ernte des Mohns etwa zwei Jahre, bis es nach Deutschland gelangt. 

In den kommenden Monaten dürften die Bestände also rapide sinken, was unter anderem dazu führen könnte, dass kriminelle Netzwerke das noch vorhandene Heroin mit synthetischen Substanzen wie Fentanyl strecken. Schon jetzt zeigen Stichproben in verschiedenen europäischen Städten, dass die Qualität des Heroins auf dem Schwarzmarkt sinkt und Beimischungen gefährlicher Ersatzstoffe zunehmen. 

Fenttanyl Ampulle in den Händen eines alten Mannes
Nur in Ausnahmefällen und bei stärksten Schmerzen (etwa aufgrund von Tumoren oder Verbrennungen) setzen Ärzte Fentanyl ein. Das synthetische Opioid birgt ein hohes Suchtpotenzial  
© imago images

Das Problem: Konsumierende können Verunreinigungen in der Regel nicht erkennen und werden von ihren Dealern meist auch nicht darüber informiert – zum Teil, weil diese selbst nicht Bescheid wissen. Ähnliches ist so schon einmal in den baltischen Staaten während der Taliban-Herrschaft Anfang der Nullerjahre geschehen: Auch damals brach infolge eines Verbots von Schlafmohn der europäische Heroinmarkt ein, was zu einer Fentanyl-Epidemie mit vielen Toten vor allem in Estland führte. 

Fentanyl längst in Europa angekommen

Anfang Februar erklärte der Generalsekretär von Interpol Jürgen Stock gegenüber Welt am Sonntag, dass Fentanyl bereits in Europa angekommen sei und als "unmittelbare Bedrohung" behandelt werden müsse. Das unterstreichen auch Zahlen eines Bundesmodellprojekts der Deutschen Aidshilfe: Im Sommer 2023 hatten Mitarbeitende ein halbes Jahr lang in öffentlichen Drogenkonsumräumen Schnelltests auf die lebensgefährliche Beimengung von Fentanyl in Heroin angeboten. Insgesamt reagierten von 1401 Tests 3,56 Prozent positiv auf Fentanyl. In Hamburg lag der prozentuale Anteil am höchsten. 

Angesichts der sich verschärfenden Lage auf dem Heroinmarkt ist davon auszugehen, dass diese Zahlen in der kommenden Zeit steigen werden. Hierzulande konsumieren geschätzt etwa 170.000 Menschen Heroin. Nicht grundlos mahnen Fachleute zu erhöhter Wachsamkeit. Sie fordern unter anderem, dass Konsumierende mehr Möglichkeiten bekommen sollten, ihre Drogen zu testen. Auch sollten Rettungssanitäter künftig das Notfallmedikament Naloxon flächendeckend vorhalten. Es ist imstande, die Wirkung synthetischer Opioide akut aufzuheben.

Dass Fentanyl zukünftig auch in Europa eine größere Rolle spielen wird, scheint allein schon aus wirtschaftlichen Gründen eine ausgemachte Sache zu sein: Vor einigen Jahren schätzte die US-Drogenbehörde den Marktwert von einem Kilogramm Heroin auf etwa 80.000 Dollar. Wegen seiner starken Wirkung ließen sich aus einem Kilogramm Fentanyl hingegen 1,5 bis zwei Millionen Dollar Profit schlagen – bei geringeren Produktionskosten.

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