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Medizingeschichte Vor 4000 Jahren: Schon die alten Ägypter versuchten offenbar, Krebsgeschwüre zu entfernen

Dieser 4000 Jahre alte, altägyptische Schädel weist Krebs-Läsionen auf und zeigt mögliche Spuren eines chirurgischen Eingriffs
Dieser 4000 Jahre alte, altägyptische Schädel weist Krebs-Läsionen auf und zeigt mögliche Spuren eines chirurgischen Eingriffs
© Tondini / Isidro / Camarós
Neue Untersuchungen eines altägyptischen Schädels zeigen Schnittspuren um bösartige Knochenveränderungen. Das lässt vermuten, dass Heilkundige des Reichs am Nil bereits vor 4000 Jahren versuchten, Krebs zu behandeln – oder zumindest nach dem Tod des Patienten mehr über dessen Erkrankung in Erfahrung zu bringen. Für Medizinhistoriker ein herausragender Fund

Sie nutzten Medikamente, setzten Zahnfüllungen ein und stellten sogar maßgeschneiderte Prothesen her: Die alten Ägypter verfügten für ihre Zeit über eine überraschend hochentwickelte Medizin. Krankheiten wie Krebs konnten die Ärzte vor vielen tausend Jahren hingegen noch nicht behandeln – aber sie haben es vielleicht versucht, wie eine neue Untersuchung zeigt.

Denn wenn man den Beginn der Krebsforschung datieren möchte, landet man womöglich bei den alten Ägyptern. Bereits vor mehr als 4000 Jahren versuchten Heilkundige offenbar, krebsartige Gewebewucherungen und Metastasen mit scharfen Metallgegenständen zu entfernen. Darauf deuten neu entdeckte Spuren an zwei altägyptischen Schädeln aus dieser Zeit hin.

Der eine von einem Forschungsteam aus Großbritannien und Spanien untersuchte Schädel stammt aus einer Zeit zwischen 2687 und 2345 vor Christus. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ordnen ihn einem 30 bis 35 Jahre alten Mann zu. Bei einer mikroskopischen Untersuchung des Schädels fanden sich eine große Gewebeschädigung sowie mehrere kleine metastasierte Gewebeänderungen.

Auffällige Schnittspuren um erkrankte Stellen im Gehirn

Besondere Aufmerksamkeit erweckten auffällige Schnittspuren rund um die erkrankten Bereiche. Die Autorinnen und Autoren der Studie, die in der Fachzeitschrift "Frontiers in Medicine" veröffentlicht worden ist, vermuten, dass es sich um Spuren eines scharfen Metallinstruments handelt. Die Heilkundigen im Alten Ägypten hätten vielleicht mit einer Art Skalpell versucht, die bösartigen Geschwüre aus dem Schädel des Mannes herauszuschneiden.

Schnittspuren am Schädel
Die Nahaufnahme des Schädels zeigt klare Schnittspuren, die wahrscheinlich mit einem scharfen Gegenstand herbeigeführt wurden
© Tondini, Isidro, Camarós, 2024

Der zweite untersuchte Schädel gehörte einer Frau über 50 Jahren, die vermutlich zwischen 600 und 300 vor Christus geboren wurde. Auch an dem weiblichen Schädel fand das Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Edgard Camarós von der Universität Santiago de Compostela Hinweise auf eine Krebs-OP: Die Forschenden fanden die Überreste eines Tumors sowie Reste von zwei verheilten Wunden. Diese könnten auf einen medizinischen Eingriff hindeuten, den die Frau womöglich überlebt hat. 

Dies zeige, dass Krebs auch schon zur damaligen Zeit eine verbreitete Krankheit gewesen sein muss, so das Forschungsteam, und Krebs nicht nur die Folge des modernen Lebensstils sei. Die Ergebnisse seien jedoch nur unter Vorbehalt zu betrachten, da man weder die komplette Krankheitsgeschichte noch die Lebensumstände beider Personen rekonstruieren könne.

"Dieser Befund ist ein einzigartiger Beweis"

"Wir sehen, dass, obwohl die alten Ägypter in der Lage waren, mit komplexen Schädelfrakturen umzugehen, Krebs immer noch eine medizinische Wissensgrenze darstellte", sagte Tatiana Tondini, Forscherin an der Universität Tübingen und Erstautorin der in "Frontiers in Medicine" veröffentlichten Studie.

Trotzdem halten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Fund für den ersten Beweis dafür, dass man vor über 4000 Jahren versucht habe, Krebs zu behandeln oder zu erforschen. Zwar entdeckten Forschende bereits 2018 in Mumienüberresten die wohl ältesten Brustkrebszellen der Welt, doch damals gab es keinerlei Hinweise auf eine Behandlung.

Schädel unter dem Mikroskop
Ein altägyptischer Schädel wird mittels mikroskopischer Analyse und CT-Scanning untersucht
© Tondini, Isidro, Camarós, 2024

Anders bei den nun untersuchten Schädeln. "Dieser Befund ist ein einzigartiger Beweis dafür, wie die altägyptische Medizin vor mehr als 4000 Jahren versucht hat, mit Krebs umzugehen oder ihn zu erforschen", meint Prof. Edgard Camarós. "Dies ist eine außergewöhnliche neue Perspektive in unserem Verständnis der Geschichte der Medizin."

Ob die altägyptischen Ärzte nun versuchten, die krankhaften Stellen während einer Operation aus den Schädeln zu entfernen oder erst nach dem Tod der Patienten den Schädel untersuchten, um die Krankheit besser verstehen zu können, ist noch unklar.

Beide Möglichkeiten sind allerdings spannend, wie das Forschungsteam betont. "Der Fund ist ein Hinweis darauf, wie die altägyptischen Mediziner vor mehr als 4000 Jahren versucht haben, mit Krebs umzugehen und die Krankheit zu erforschen", so Edgard Camarós. "Unsere Studie bildet damit eine Grundlage für künftige Forschungen auf dem Gebiet der Paläo-Onkologie." Weitere Fallstudien sollen nun folgen, um besser verstehen zu können, wie Gesellschaften der Vergangenheit mit Krebs umgingen.

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