Wer auch immer den Leichnam vor mehreren tausend Jahren in die Grabhöhle legte, umgab ihn mit kostbaren Beigaben. Feine Feuersteinklingen, ein Keramikgefäß mit Wein und Cannabis, Zinnoberpulver, ein Kamm und ein Gefäß aus Elfenbein, ein Feuersteindolch mit Bernsteinknauf und ein Elefantenrüssel, 1,8 Kilogramm schwer. Exotische Materialien, wie sie damals auf der Iberischen Halbinsel kaum zu finden waren.
Über den Leichnam und die Beigaben legten die Menschen der Kupferzeit eine Schicht aus Schieferplatten. Als weitere Schätze platzierten sie Straußeneierschale und einen weiteren Dolch: Seine Klinge besteht aus Bergkristall, sein Elfenbein-Griff ist mit Perlmutt verziert.
4650 bis 5900 Jahre vergingen, bis Archäologinnen und Archäologen 2008 nahe der spanischen Stadt Valencia auf die Grabhöhle stießen. Ein aufsehenerregender Fund, denn kein anderes Grab aus der iberischen Kupferzeit (ca. 3200-2200 v. Chr.) ist so reich mit seltenen und wertvollen Objekten ausgestattet. Über die Person, die hier bestattet wurde, war wenig bekannt. Sie dürfte zwischen 17 und 25 Jahre alt gewesen sein, als sie starb. Aus der überwältigenden Grabausstattung schloss das Team, dass hier einer der mächtigsten Männer seiner Zeit begraben lag.
Doch die Forschenden lagen falsch. Bei der Leiche handelt es sich um eine Frau. Das belegt eine Studie, die nun in der Fachzeitschrift Scientific Reports erschienen ist.
Mächtige Frauen in der Kupferzeit
Erst eine neuartige Technik machte die Enthüllung möglich. Denn die Geschlechtsbestimmung derart alter Skelette ist schwierig, vor allem wenn jene Knochen nicht oder nur in schlechtem Zustand erhalten sind, die sich zwischen Mann und Frau besonders unterscheiden: Becken und Schädel.
Das Team suchte deshalb in den Zähnen nach dem schmelzbildenden Protein Amelogenin. Dessen genetischer Bauplan kann auf dem X-Chromosom liegen, dann heißt er AMELX, oder auf dem männlichen Y-Chromosom, dann heißt er AMELY. In einem Backenzahn und einem Schneidezahn fand das Team allein AMELX, aber kein AMELY. Die Zähne stammten also von einer Frau. Aufgrund ihrer Grabbeigaben taufte das Team die bestattete Person "Elfenbeindame".
Die Enthüllung bezeugt nicht nur die hohe Stellung der Frau in der iberischen Kupferzeit. Sie offenbart auch, wie vorurteilsbeladen die Archäologie Funde mitunter interpretiert und dabei heutige Vorstellungen auf frühere Gesellschaften überträgt. Immerhin: neue technische Möglichkeiten der Geschlechtsbestimmung versprechen, ein genaueres – und vielfach überraschendes – Bild früherer Gesellschaften zu zeichnen.
Neuartige Technik offenbart Vorurteile früherer Archäologie
Das Team rund um Marta Cintas‐Peña von der Universität Sevilla berichtet, dass aus jener Zeit kein Grab eines Mannes mit ähnlich hohem Status bekannt ist. Das einzige vergleichbar reich ausgestattete Grab wurde in nächster Nähe entdeckt. In ihm sind mindestens 15 Frauen bestattet. Das Team schließt daraus, dass die ranghöchste Person in der iberischen Gesellschaft der Kupferzeit eine Frau war.
Kinder erhielten damals keine Grabbeigaben; ein Hinweis darauf, dass einflussreiche Menschen ihren Status nicht von Geburt an innehatten. Die Autor*innen vermuten, dass die reich bestatteten Frauen ihren Rang in der Gesellschaft durch Verdienste im Laufe ihres Lebens erlangten.