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Debatte Klimafreundlich reisen - geht das überhaupt?

Lofoten
Reisende sehen sich immer mehr mit den Klimafolgen ihrer Urlaube konfrontiert
© everst / Shutterstock
Wie soll er heute noch reisen, wenn er mit dem unterwegs produzierten CO2 die Lebensbedingungen seiner Nachkommen unstrittig verschlechtert? Unser Autor Harald Willenbrock sucht nach Antworten

Alle reden von Klimakrise. Wie sieht eigentlich meine ganz persönliche Reise-Klimabilanz aus? Neulich, kurz vorm Abflug in meinen Sommerurlaub, wollte ich es genauer wissen. Ich rief bei Nikolaj Koch von »Arktik« an. Das ist eine jener Orga­nisationen, bei denen man seinen individuellen CO2-Ausstoß berechnen und »Wiedergutmachung« leisten kann, indem man zum Beispiel Bäume pflanzen oder Solarkocher sponsern lässt.

Ich hatte keine Ahnung, wie ernüchternd die Antwort ausfallen würde. Nikolaj erklärte mir zunächst die goldene Klimaschützerformel »Vermeiden – reduzieren – kompensieren«, also: Viel besser als der Ausgleich klimaschädlicher Reisen sei es, sie so weit wie möglich zu reduzieren oder am besten ganz zu vermeiden. Das wusste ich natürlich schon. Eigentlich zähle ich mich zu jenen leicht angegrünten Typen, die man früher LOHAs (Lifestyles of Health and Sustainability) nannte: Strom kaufe ich bei Greenpeace Energy, Lebensmittel bevorzugt aus biolo­gischem Anbau, Fleisch – ein Produkt des Klimapupsers Rind– esse ich sowieso kaum. Und mein Auto hat ob ausgedehnten Herumparkens tatsächlich schon ritzenweise Moos angesetzt.

Andererseits reise ich gern und viel. Im März zum Beispiel war ich auf den Lofoten, einmal Nordlichter sehen, ein uralter Traum, es war großartig. Für den Herbst bin ich mit Freunden zum Wandern in den Karpaten verabredet, auch da­für werde ich in ein Flugzeug steigen. Mit anderen Worten: Ich bin genauso ambivalent wie alle anderen. Dachte ich jedenfalls.

Nikolaj aber klärte mich auf, dass ich klimabilanziell eher einem Lehman-Brothers-Banker am Vorabend der Finanzkrise gleiche – einem Typen also, dem nur noch nicht klar ist, wie megapleite er in Wirklichkeit ist. Im ernüchternden Detail: Auf den 2765 Kilometern, die ich in diesem ersten Halbjahr mit dem Auto unterwegs gewesen war, hatte mein Volvo rund 550 Kilogramm Treibhausgas durch den Auspuff geblasen. Dagegen fielen meine 1400 in der ersten Jahreshälfte zurückgeleg­ten Bahnkilometer (57,4 Kilogramm CO2-Ausstoß) kaum ins Gewicht. Der Hammer aber waren die elf Flüge auf meinem Meilenkonto – ein verlängertes Städtetrip-Wochenende in Porto, ein paar innerdeutsche Businessflüge sowie meine Lofoten- Reise. Diese Flugbewegungen, rechnete mir Nikolaj vor, zogen zusammengenommen eine gewaltige Wolke von mehr als 8200 Kilogramm CO2 hinter sich her. Unterm Strich hatte ich im Laufe dieser ersten sechs Monate fast zehn Tonnen Kohlendioxid auf die Waage unseres klimakranken Planeten gesattelt, und da waren die Emissionen für Produktion meiner Nahrung, Kleidung, Möbel und anderem noch gar nicht mit eingerechnet.

"Mit anderen Worten: Klimatisch stand ich knietief im Dispo."

»Zehn Tonnen sind mehr als das Doppelte von dem, was einem Erdbewohner im Jahr zusteht, wenn wir die Erwärmung auf zwei Grad begrenzen wollen«, sagte Nikolaj mit leichtem Mitleid, als er mein Erschrecken bemerkte. Der Durchschnittsdeutsche emittiert übrigens elf Tonnen CO2 im Jahr, was natürlich auch viel zu viel, aber nur etwa die Hälfte dessen ist, was ich Frequent Traveller in die Atmosphäre blase. Mit anderen Worten: Klimatisch stand ich knietief im Dispo.

Das war die deprimierende Nachricht. Die etwas opti­mis­tischere: Wenn schon zwei Handvoll Flüge mein Klima­­konto bereits derart ins Minus drehen, so mein Gedanke, müsste ich es mit ein paar Umbuchungen auf die Bahn doch ziemlich schnell wieder ausgleichen können. Aber, Moment mal: Wieso eigentlich? Der Flugverkehr ist für lediglich zwei bis drei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich, der Tourismus insgesamt für ungefähr acht. Der allergrößte Teil des schäd­lichen Klimagases stammt aus Strom- und Wärmekraftwerken, gefolgt von Verkehr und Industrie. Welchen globalgalak­tischen Unterschied macht es da, wenn ich auf ein paar Flüge verzichte? An meinem Wesen, so viel steht fest, wird unser Klima nicht genesen.

Mehr als jeder zweite Flug der Deutschen landet im Urlaub

Andererseits: Wie unbeschwert kann eine Reise sein, in deren Schlepptau ich die Lebensbedingungen meiner Erdmitbewohner und Nachkommen unstrittig verschlechtere? Das von mir produzierte Kohlendioxid wird unserer Atmosphäre Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende lang er­halten bleiben. Und drei Prozent der Kohlendioxidemissionen sind sehr viel, wenn man berücksichtigt, dass ohnehin nur drei Prozent der Weltbevölkerung fliegen. Wir Deutschen übrigens noch einmal überdurchschnittlich viel: Unsere Flüge sind für zehn Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich, und davon sind mehr als die Hälfte Urlaubsflüge.

Wir winzige Minderheit der global Bessergestellten halten also einen überdurchschnittlich starken Hebel in der Hand, der für die restlichen 97 Prozent der Weltbevölkerung einen spürbaren Unterschied machen kann.

Wissenschaftler der Vereinten Nationen gehen davon aus, dass unser heutiger Kohlendioxidausstoß »die Lebensbedingungen von Hunderten Millionen von Menschen verschlech­tern wird« – zum Beispiel durch vermehrte Überflutungen, Wasserknappheit, Mangelernährung und Gesundheitsschäden. Und das Ganze auch noch zu und nach einer Zeit, in der ich mich schon längst nicht mehr an einem Abfluggate, sondern allenfalls noch zum Abendessen im Altenheim anstellen werde.

Seit der Anwalt Dirk Gratzel seine komplette CO2-Bilanz kennt, fährt er Bahn statt Jaguar

Natürlich ist es angesichts dieser Aussichten höchste Zeit für radikale Gegenmaßnahmen. Klimafreundliche Verkehrsmittel wie Fahrrad und Bahn müs­sen massiv gefördert und ausgebaut, klimaschäd­lichere dagegen mit ihren wahren Umweltkosten belegt werden (un­sere französischen Nachbarn beispielsweise erheben ab 2020 eine Umweltsteuer von 1,50 bis 18 Euro pro Flug). Solange hierzulande ein Bahnticket nach München noch mehr kostet als ein Flugticket nach Mallorca, läuft jedenfalls gewaltig etwas schief. Wenn wir aber abwarten, bis Bundesregierung, Euro­päische Union oder gar die Ver­einten Nationen sich auf Maßnahmen geeinigt haben, ist der letzte Gletscher vermutlich längst ge­schmol­zen. Ohnehin sind mir Leute, die stets genau wissen, was andere tun müssten, während sie selbst entspannt die Hände in den Schoß legen, schwerst suspekt. Und es gibt ja auch Gegenbeispiele. Sehr bemerkenswerte sogar.

Neulich las ich die faszinierende Geschichte von Dirk Gratzel, einem Anwalt aus dem Rheinland. Gratzel führte bis vor einiger Zeit ein ganz normales deutsches Besserverdienerleben mit Urlaubsreisen und Premium-Pkw, gutem Essen und einem schicken, denkmalgeschützten Zuhause. Bis sich Gratzel ein­mal von einem Berliner Forschungsinstitut eine komplette CO2-Bilanz seines Lebens erstellen ließ. Gratzel erfuhr da unter anderem, dass sein drei Minuten morgendliches Duschen mit 310 Gramm sogenannten CO2-Äquivalenten (das ist die Maß­einheit, in der man die Wirkung unterschiedlicher Klimagase wie CO2, Methan oder Lachgas vergleicht) zu Buche schlagen. Eine Tasse Tee bedeutet 20 Gramm auf seinem Klimakonto, ein Glas Wein 600 Gramm, ein Lammfilet ungefähr 1540 Gramm. Unterm Strich produzierte der 50-Jährige rund 27 Tonnen CO2 pro Jahr, zwei Drittel davon durch seine Urlaubs- und Geschäftsreisen. Gratzel beschloss, dass es so nicht weitergehen könne. Für den statistisch zu erwartenden Rest seines Lebens nahm er sich vor, seine CO2-Bilanz so weit wie möglich ins Plus zu drehen.

Seitdem fährt der Anwalt nicht mehr Jaguar, sondern Bahn. Lebensmittel kauft er regional und saisonal (Brokkoli beispielsweise kommt nur noch von Mai bis November auf den Teller), und statt ständig neue Klamotten zu kaufen, trägt er seine alten auf. Sein morgendliches Duschen hat er auf gestoppte 45 Sekunden reduziert, und zu Geschäftsterminen fliegt er nicht mehr, sondern nimmt grundsätzlich den Zug. Sicherheitshalber reist er immer mit einem Puffer von einer Stunde los, schließlich ist die Deutsche Bahn ähnlich pünktlich wie mein 17-jähriger Sohn beim Abendbrot. Statt drei Stunden nach Berlin braucht der Geschäftsmann jetzt sechs, Termine vor zwölf Uhr mittags sind für ihn gar nicht mehr machbar. Verrückt, oder?

Mehr Verantwortung für die Erde bedeutet nicht weniger Spaß am Reisen

Natürlich dachte ich das zunächst, als ich die Story dieses Superkonsequenten las. Andererseits hält man ja auch nie­manden für verrückt, der mit Sport und ausgewogener Er­nährung dafür sorgt, dass sein Körpergewicht einigermaßen in Balance bleibt. Ähnlich ist es bei unseren persönlichen Finanzen: Wer nicht für einen ausgeglichenen Kontostand sorgt, bekommt keinen Applaus, sondern früher oder später Besuch vom Gerichtsvollzieher. Alles völlig normal.

Nur im Umgang mit unserem Planeten tun wir so, als gäbe es irgendeinen supersolventen Gönner, der unsere tiefrote Bilanz eines Tages auf wundersame Weise ausgleichen würde. Doch der existiert nicht. Es gibt auch keinen Planet B für uns. In diesem Hitze- Rekordsommer schien es vielmehr, als würde der einzige, den wir haben, uns gerade seine glühend heiße Rechnung präsentieren.

Also beschloss ich, zu­min­dest anzufangen und die Bilanz meines zweiten Halbjahrs deutlich unter jene des ersten zu drücken. Geschäfts­termine lassen sich ja tatsächlich meist so legen, dass man mit der Komm-ich-oder-komm-ich-nicht-Bahn anreisen kann. Statt Städte-Wochenendtrips mit dem Flugzeug fahre ich künftig vermehrt mit Bahn und Rad aufs Land. Und meinen Flug in die Karpaten, auf den ich wirklich nicht verzichten möchte, werde ich zumindest kompensieren. Selbst für meine aktuell noch zehn Tonnen CO2-Ausstoß, rechnet mir Nikolaj vor, müsste ich nur rund 150 Euro an Klimaschutzprojekte überweisen – weniger als die Hälfte dessen, was ich für meine Flüge auf die Lofoten bezahlt habe. Es kostet also nicht die Welt, beim Reisen mehr Verantwortung für unsere Welt zu übernehmen. Es bedeutet auch nicht weniger Spaß und Reisevergnügen. Alles, was es erfordert, ist ein wenig mehr Nachdenken.

Natürlich weiß ich, dass das erst der Anfang sein kann. Ich bin noch weit entfernt von einem echten Klimaschützer wie Dirk Gratzel, der dank seiner konsequenten Klimadiät heute keine 27 Tonnen, sondern nur noch bescheidene 7,8 Tonnen Klimagas pro Jahr auf die Waage bringt. Aber schon dieser Anfang gibt mir beim Unterwegssein neuerdings ein besseres Gefühl. Und geht’s darum nicht letztlich, wenn wir reisen?

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