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Artenschutz Bestände im Sturzflug: Was dem Kiebitz jetzt noch helfen kann

Kiebitz Männchen steht in einer Sumpffläche
Feucht und spärlich bewachsen: Was auf den ersten Blick ungemütlich erscheint, ist für den Kiebitz idealer Lebensraum
© Volz / imago images
"Ki-wit, ki-wit" – der außergewöhnliche Ruf des Kiebitzes ist selten geworden. Wie viele Wiesenbrüter ist er vom Aussterben bedroht. Was ihm jetzt noch helfen kann und wer dazu an einem Strang ziehen muss

Lauschen kann man dem Kiebitz noch am Langwarder Groden, einem Renaturierungsgebiet auf der Halbinsel Butjadingen, wo sich ein Rundweg entlang des Deiches erstreckt, schmal durch üppige Salzwiesen verläuft und auf einem langen Holzsteg über das Wasser führt – sofern es gerade da ist. 

Wer aus der Vogelbeobachtungshütte im Nationalpark heraus Uferschnepfen, Austernfischer und Säbelschnäbler im Watt beobachtet, Schwalben über das auflaufende Wasser gleiten sieht und auf der Wiese am Deich gleich vier Kiebitze auf einen Schlag entdeckt, kann sich schwer vorstellen, dass die Bestände des schüchternen Wiesenvogels dramatisch eingebrochen sind – um mehr als 90 Prozent in den vergangenen 40 Jahren.

Dem Kiebitz geht der Lebensraum aus

"Groden" – das bedeutet so viel wie "eingedeichtes Land". Salzwiesen, die zuvor dem Meer frei ausgesetzt waren, wurden 1933 mit dem Bau eines Vordeiches vor Fluten geschützt und trockengelegt. Grün- und Ackerland entstand, Lebensraum ging verloren. Heute herrschen andere Prioritäten: Seit 2014 der Sommerdeich geöffnet wurde, sind 140 Hektar des Langwarder Grodens regelmäßig der Tide ausgesetzt. Das schafft ideale Lebensbedingungen, die der Kiebitz entlang der Nordsee, aber auch binnenlands auf Feuchtwiesen sowie in Mooren und Flussauen vorfindet. Nämlich: Wasserverfügbarkeit und lückigen Bewuchs.

"Der Kiebitz bevorzugt Flächen, die während der Wintermonate teilweise mit Wasser überstaut sind, denn dort wächst die Vegetation meist später und lückiger. Das hilft bei der Nestanlage, ermöglicht eine gute Übersicht über die Umgebung und bietet Küken gute Nahrungsbedingungen, da sie auf stocherfähige Böden angewiesen sind", erklärt Jan Skorupa vom Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV). Der karge Bewuchs sei für Kiebitze wichtiger als für viele andere Wiesenvogelarten. "Sie reagieren empfindlich, wenn sich eine Wiese in dieser Hinsicht verändert. Das kann sogar zu einer Brutplatzverlagerung einer ganzen Kolonie führen."

Geeigneter Lebensraum ist jedoch selten geworden, denn die Trockenlegung am Langwarder Groden ist kein Einzelfall. In den vergangenen Jahrzehnten wurden zur Gewinnung von Baugebieten oder zur intensiveren landwirtschaftlichen Nutzung vielerorts Flussauen, Überflutungsgebiete und Moore entwässert. Daraus entstandene Acker- und Grünlandflächen bieten Wiesenvögeln keine oder nur eine geringe Eignung als Bruthabitat, weil Gelege und Küken vielen Gefahren ausgesetzt sind.

Zu selten überlebt der Nachwuchs

So stellt sich laut der Staatlichen Vogelschutzwarte im Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) vor allem die Besiedlung von Äckern in der Regel als ökologische Falle heraus, da Feldfrüchte schnell und dicht aufwachsen und keine geeigneten Aufzuchtbedingungen für die Küken bieten. Maschinelle Bearbeitungsgänge, die zum Beispiel bei der Einsaat von Mais als Sommergetreide spät im Jahr stattfinden, gefährden Gelege und Küken zusätzlich. 

Gelegeverluste kann der Kiebitz zum Teil mit Zweit- oder Drittgelegen kompensieren. Trotz dieser Anpassung ist er laut Skorupa nicht in der Lage, die aktuellen Herausforderungen zu meistern. Auch auf Grünland "verhindern eine Vielzahl an Bearbeitungsgängen, von Düngung bis zur Mahd, oft das erfolgreiche Ausbrüten der Gelege." Am Ende kommen nur wenige Küken zum Schlupf, wovon viele bei weiteren Bearbeitungsgängen oder durch natürliche Gefahren umkämen, bevor eine kleine Zahl von ihnen schließlich flügge werde. Um die Bestände langfristig zu halten, sind es nicht genug: 0,8 Küken pro Brutpaar müssten es sein – die Reproduktionsrate werde aktuell deutlich verfehlt.

Umso wichtiger ist es, Brut- und Aufzuchtgebiete nicht zu stören. Der LBV-Experte hat einen Tipp für alle, die sich bei Freizeitaktivitäten in der Natur unsicher sind: einfach genau hinhören. "Hört man den Vogel rufen, stört man in dem Moment wahrscheinlich bereits." Besser also, man bleibt auf den Wegen und verhält sich ruhig – egal ob auf zwei oder vier Beinen. Denn auch freilaufende Hunde seien ein Problem. Sogar, wenn sie sich nicht direkt an Nestern vergreifen, verscheuchen sie die Vögel, was dazu führen könne, dass die Küken erfrören oder Gelege aufgegeben würden.

Vogelbeobachtungshütte
Um Kiebitze zu beobachten, zieht man sich unauffällig zurück, zum Beispiel in die Vogelbeobachtungshütte am Langwarder Groden
© GEO / Laura Evers

Es geht nicht um die Schuldfrage

Skorupa betont, es sei unsinnig, um die Frage nach den Bestandsrückgängen eine Schulddiskussion aufzubauen. Die große Rolle, die die Landwirtschaft einnimmt, sieht er auch als Chance: Das Potenzial sei hoch, an entscheidenden Stellen gegenzusteuern. In der Regel sind Kiebitze auf die Bewirtschaftung der Flächen angewiesen. Sie aus der Nutzung herauszunehmen und sich selbst zu überlassen, wäre kontraproduktiv. "Für viele andere Arten sind mehrjährige Brachen zu bevorzugen, speziell für den Kiebitz aber sind sie weniger geeignet."

Es sind deshalb allen voran Landwirtinnen und Landwirte, mit denen der LBV im Artenhilfsprojekt, gefördert durch das bayerische Landwirtschaftsministerium (StMELF), zusammenarbeitet. "Das Bild vom Landwirt, der, komme, was wolle, mit seinen Gerätschaften über den Acker rast und dabei alles in Mitleidenschaft zieht, was sich darauf befindet, ist ein Vorurteil", meint Skorupa. "Einige Landwirte bei uns in Bayern versuchen bei der Bewirtschaftung ihrer Flächen schon seit Jahren, Rücksicht auf die Vögel und ihre Gelege zu nehmen." Das gelingt zum Beispiel durch gezieltes Absuchen der Flächen oder angepasste Termine für Mahd, Ansaat und Weideauftrieb. Bei diesem zeitaufwendigen Unterfangen will das Projektteam unterstützen – und weitere Landwirtinnen und Landwirte dafür gewinnen.

Kiebitz Nest versteckt in einer Wiese
Die Gelege sind so gut getarnt, dass man sie schnell übersieht
© Blickwinkel / imago images

Entscheidend kann auch der extensive Tierbesatz auf Weiden sein, weil er den Verlust von Gelegen durch Trittschäden mindert. Auf verschiedenen Flächen im Nationalpark Wattenmeer grasen deshalb kleine Rinderherden – maximal ein Tier pro Hektar. Düngung und Mahd finden hier nicht statt, eine Bodenbearbeitung ist von Mitte März bis Ende Juli gänzlich untersagt, ebenso wie die Entwässerung, weshalb vor allem robuste Rinderrassen wie das Schwarzbunte Niederungsrind zum Einsatz kommen. Laut Nationalparkverwaltung wurden sie speziell für die Beweidung feuchter Küstengebiete in Norddeutschland gezüchtet. 

Wiedervernässung: Ist des einen Segen des anderen Fluch?

Eine solche Nutzung von Flächen ist nicht ohne Weiteres machbar, weil ökonomische Nachteile für die Bewirtschafter entstehen können. Die Staatliche Vogelschutzwarte weist darauf hin, dass langfristige Erfolge auf privaten Flächen auch wegen bürokratischer und logistischer Hürden schwer möglich sind. Ein Flächenankauf durch die öffentliche Hand mit anschließender Verpachtung unter Wiesenvogelschutz-Auflagen sei oft erfolgversprechender. Im Zuge des von der EU geförderten LIFE-Projekts "Wiesenvögel" fand beispielsweise ein Flächenankauf von 900 Hektar Land statt, außerdem konnten mehr als 2000 Hektar Grünland wiedervernässt und 960 Hektar einer extensiven Grünlandnutzung zugeführt werden. 

Die Wiedervernässung ehemaliger Moore ist ein Thema für sich - nicht zuletzt, weil Moore riesige CO2-Speicher sind. So fördert zum Beispiel das Bundesamt für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) Modellvorhaben im niedersächsischen Teufelsmoor mit 10,7 Millionen Euro. Solche Maßnahmen können schließlich auch Wiesenvögeln und speziell dem Kiebitz zugutekommen. 

Landwirtinnen und Landwirte fürchten hingegen um nutzbare Flächen und Erträge. Trotzdem: Von einer (teilweisen) Vernässung der Böden kann mit Blick auf den Klimawandel auch die Landwirtschaft profitieren. Dabei ist ein Umdenken erforderlich, das Zeit und finanziellen Ausgleich braucht. Aufschluss über die Vereinbarung von Grünlandnutzung und Wiedervernässung soll das Projekt "GreenMoor" im Ipweger Moor in Elsfleth geben: Ein Betrieb stellt 7,5 Hektar bewirtschafteter Fläche zur Verfügung, wovon 4,5 Hektar teilvernässt und mit weiteren drei Hektar Referenzfläche verglichen werden sollen. Das vierjährige Projekt wird vom Grünlandzentrum Niedersachsen/Bremen e.V. begleitet und vom Land Niedersachsen finanziell unterstützt.

Schutzmaßnahmen zeigen erste Erfolge

Letztendlich komme es laut LBV-Experte Skorupa auf ein vertrauensvolles Miteinander und die Kombination verschiedener Maßnahmen an. Naturschützer, Landwirte und Behörden müssten an einem Strang ziehen. Das Artenhilfsprojekt in Bayern scheint vielversprechend: zwar sei die Auswertung für die Saison noch nicht abgeschlossen, doch Prognosen lassen erahnen, dass im Vergleich zum Vorjahr doppelt so viele Gelege geschützt werden konnten.

In gut gemanagten Vogelschutzgebieten zeige sich laut NLWKN, dass eine Umkehr negativer Trends durchaus möglich ist. Die dazu erforderlichen Maßnahmen seien gut bekannt, müssten aber auf weitere Gebiete übertragen und konsequent umgesetzt werden. "Dann besteht nicht nur die Chance auf ein Überleben der Art in Niedersachsen, sondern auch die realistische Möglichkeit, langfristig stabile, sich selbst tragende Bestände landesweit wiederherzustellen."

Dabei kommt auch den Inseln im Nationalpark Wattenmeer – insbesondere solchen mit hohen Kiebitzbeständen wie Borkum – eine tragende Rolle zu. Hier können sich Quellpopulationen für geschwächte Festlandpopulationen bilden, unter anderem, weil die Inseln frei von Säugetierprädatoren sind. Im Gegensatz zum landesweit rückläufigen Bestandstrend seien die Kiebitzbestände auf Borkum gestiegen, so die Nationalparkverwaltung.

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