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Plastik im Meer "Das deutsche Recyclingsystem ist eine gigantische Mogelpackung"

Surfer
Alexander Nolte und Oliver Spies sind Surfer, Designer, Innovationsberater, Gründer des nachhaltigen Surferlabels "Langbrett" und Erfinder von "Guppyfriend", einem Mikrofaserfilter für die Waschmaschine
© Madlen Krippendorf
Wo Wasser ist, ist mittlerweile auch Mikroplastik – an Stränden und Fluss­ufern, in Fischen und Muscheln. Alexander Nolte und Oliver Spies, Gründer der Initiative »STOP! Micro Waste«, über die Quellen unserer Plastikflut

Walden: Was genau ist das Problem?

Rund 50 Prozent des weltweit produzierten Kunststoffs wird nur ein Mal verwendet und dann weggeworfen. Was beim Abtrans­port oder von Deponien in die Umwelt gelangt, wird vom Wind übers Land ins Wasser getrieben, an Strände gespült und zu mikro­skopisch kleinen Plastikpartikeln zerrieben, die Jahrzehnte und sogar Jahrhunderte überdauern. Zusam­mengenommen knäueln sich diese mikroskopisch kleinsten Teilchen zu einem Riesenproblem, das wir vermutlich nie mehr loswerden.

Und wo steckt das Mikroplastik?

Überall. Du findest es mittlerweile nicht nur im Ozean und an Stränden, sondern auch in der Tiefsee, in der Arktis, in abgelege­nen Bergregionen, in Honig und Salz, im Plankton und in Fischen. Über die Nahrungskette landet das Ganze auf unserem Teller.

Woher kommt das Zeug?

Neben Kunststoffprodukten und Verpackungen unter anderem aus dem Abrieb von Teppichen, Möbeln, Reifen und Schuhsohlen. Fleece­ Pullover, Socken und Sporthosen verlieren bei jedem Waschen Tausende Fasern. Eine Metropole wie Berlin pumpt auf diese Weise das Äquivalent von 500.000 Plastik­tüten ins Meer. Tag für Tag.

Was machen denn die Kläranlagen?

Sie sind jedenfalls nicht die zuver­lässigste Auffanglösung für Mikro­plastik. Der Kunststoff aus Haus­abwässern wird zwar größtenteils herausgefiltert, landet dann aber häufig mit dem Klärschlamm auf Feldern und Äckern. Der Abrieb von Reifen und Schuhsohlen wiederum wird direkt über Gulli und Kanali­sation in Flüsse und Seen gespült.

Wäre »Ocean Plastic« die Lösung?

Was in unseren Meeren umhertreibt, ist ein Cocktail aus alten und sehr alten, verdreckten und zersetzten Kunststoffen unterschiedlichster Art. Keine Anlage dieser Welt könnte aus diesem Gemisch direkt etwas Sinnvolles herstellen. Alle uns bekannten »Ocean Plastic«­-Produkte enthalten nur geringe Anteile an Plastik aus den Meeren und sind Ablenkungsmanöver einer Industrie, die vor nichts zurückschreckt. Auch nicht davor, heute, nachdem sie sich an der Verschmutzung der Meere mitschuldig gemacht hat, nun noch mehr Verschmutzung zu verur­sachen, indem sie Konsumenten vorlügt, ihre Produkte seien „gut für die Umwelt“ oder könnten diese sogar durch weiteren Konsum verbessern. Es ist Zeit, endlich zu verstehen: Unser Konsumverhalten muss sich ändern!

Aber ist der Plastikteppich in den Meeren nicht eher ein asiatisches Problem?

Könnte man denken, denn ein Gutteil des Mülls in Flüssen und Meeren stammt von schlecht gesicherten Deponien in Asien. Aber genau dort landet ein großer Teil unseres Plastikabfalls. Offiziell werden in Deutschland 38 Prozent des Kunststoffmülls wiederverwer­tet, aber da sind Verbrennung und Export nach Indien, Malaysia oder Indonesien schon mit eingerechnet. Das deutsche Recyclingsystem ist eine gigantische Mogelpackung.

Das Problem müsste politisch angegangen werden, oder?

Wir waren in diesem Jahr unter anderem bei der Umweltkonferenz der Vereinten Nationen in Nairobi, und seither wissen wir: Wenn wir darauf warten, bis diese Politiker die Initiative ergreifen, warten wir ewig. Was nicht bedeutet, dass wir Wirtschaft und Politik aus der Verantwortung entlassen, im Gegenteil: Produkte aus Recycling­kunststoff müssen gefördert, Einwegplastik muss teurer werden. Und die Hersteller müssen sich ernsthaft um echte Lösungen bemühen, statt mit fetten Werbe­etats vermeintlich nachhaltige Nischenprodukte zu vermarkten.

Was ist mit kompostierbaren Kunststoffen aus nachwachsenden Rohstoffen?

Die verschlimmern das Problem eher, weil sie in keinen Recycling­prozess passen. Auf den Kompost schmeißen sollte man sie sowieso nicht – nach Tests britischer Forscher sind vermeintlich kompos­tierbare „Bio-­Kunststoffe“ auch nach Jahren in der Erde noch so stabil, dass man sie wieder benutzen könnte. Und für unsere Ökosysteme sind biobasierte und recycelte Mikroplastikartikel ebenso schäd­lich wie solche auf Petroleumbasis.

Ist Kunststoff wirklich die Wurzel allen Übels?

Nein. Es gibt hervorragende langlebige Kunststoffe, die etwa im Bootsbau nachhaltiger sind als ein mit Glasfaserkunststoff beschichte­ter Holzrumpf. Aber Einwegplastik und unser Umgang mit ihm sind ein globales Übel. Eines, das jeden Tag, jede Minute weiter wächst.

Wie geht’s weiter?

Das Thema wird ganz automatisch enorm an Fahrt aufnehmen, leider. Bei Tieren durchdringen Mikro­plastikpartikel die Hirn-­Blut­-Schranke und führen zu Verhaltens­änderungen und Reproduktions­störungen. Es wäre erstaunlich, wenn das bei uns Menschen anders wäre. Der Müll, den wir über die Toilette oder den Abfalleimer entsorgt zu haben glaubten, kehrt gerade in einer Riesenwelle zu uns zurück.

Was bringt dann überhaupt noch persönlicher Einsatz?

Wir werden sicher nicht das Problem lösen. Aber mit konse­quentem Verhalten kann jeder von uns 70 bis 80 Prozent seines persönlichen Mikroplastik­ Austrags stoppen. Mindestens.

Alexander Nolte und Oliver Spies sind Surfer, Designer, Innovationsberater, Gründer des nachhaltigen Surferlabels »Langbrett« und Erfinder von »Guppyfriend«, einem Mikrofaserfilter für die Waschmaschine. Mit ihrer Initiative »STOP! Micro Waste« suchen die Freunde nach Lösungen für das weltweite Plastikproblem

Walden Nr. 03/2019 - Abenteuer in Sicht

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