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Kriegführung Das lange Ringen gegen die Qualen: Was das Chemiewaffenverbot regelt – und wie es entstand

Soldat der Bundeswehr mit Gasmaske
Ein Soldat der Bundeswehr mit Gasmaske: Auch heute noch müssen sich Krieger gegen giftige Substanzen schützen, die ihre Gegner im Gefecht verschießen. Dabei sind diese Waffen eigentlich seit 1997 weltweit vollständig verboten
© Christophe Gateau / dpa / picture alliance
Die USA werfen Russland den Einsatz von chemischen Waffen in Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine vor – und damit den Bruch der internationalen Chemiewaffenkonvention. Doch um was für ein Abkommen handelt es sich dabei? Und wie und warum ist es entstanden?

Chemiewaffen einzusetzen, gilt als eine der grausamsten Arten, Krieg zu führen. Schon sehr lange. Bereits in der Antike nutzten Streitkräfte toxische Substanzen, um Gegner zu töten oder kampfunfähig zu machen. Die Athener etwa vergifteten um 600 v. Chr. die Brunnen ihrer Feinde. Doch erst die Möglichkeiten der modernen Wissenschaft enfesselten die finstere Kraft der Chemie – und ließen das 20. Jahrhundert zur traurigen Ära der chemischen Kriegführung werden. 

Es waren deutsche Offiziere, die zum ersten Mal einen Giftgasangriff in großem Stil befahlen: Mit Chlorgas töteten ihre Truppen während des Ersten Weltkriegs am 22. April 1915 beim belgischen Ypern 5000 französische und algerische Soldaten. Weil schnell auch die Gegenseite aufrüstete, wurde der Erste Weltkrieg zum heftigsten Chemiekrieg der Geschichte, mit einem Arsenal ganz unterschiedlich wirkender Kampfstoffe: Substanzen, die zu Erstickung führen, die Menschen über den Blutkreislauf töten, andere, die Soldaten außer Gefecht setzen, indem sie Ausschlag, schmerzvoll tränende Augen oder nicht endende Niesanfällen verursachen.

Etwa 1,3 Millionen Menschen wurden durch solche Waffen im Ersten Weltkrieg schwer versehrt, fast 100.000 starben qualvoll. Und so einigten sich, unter diesem Eindruck, nach dem Weltenbrand die meisten Staaten darauf, jene Form der Kriegführung fortan zu ächten. Nach dem Genfer Protokoll von 1925 war der Einsatz chemischer (wie auch biologischer) Waffen verboten. Eine zwar ehrenvolle Vereinbarung, aber keine konsequente. Denn nicht untersagt wurden die Produktion und der Besitz von Chemiewaffen – und keinerlei Überwachungsinstrumente zur Durchsetzung des Banns waren vorgesehen. 

Noch in den 1980er-Jahren sterben Zehntausende

Nicht überraschend blieben Chemiekampfstoffe danach weiter in der Welt, viele neue, noch tödlichere Varianten wurden entwickelt. Im Zweiten Weltkrieg allerdings drohten die beteiligten Nationen lediglich mit ihrem Einsatz, schritten (bis auf Japan in China) nie zur Tat. In der Zeit des Kalten Krieges nach 1945 waren die Arsenale vieler Staaten ebenfalls gut bestückt. Während des Iran-Irak-Krieges in den 1980er Jahren setzte der Irak, der den Streitkräften des Iran zahlenmäßig unterlegen war, massiv chemische Kampfmittel ein, auch gegen die kurdische Bevölkerung im eigenen Land.

Das Schild der Organisation für das Verbot chemischer Waffen an einem Gebäude in Den Haag
Eine unabhängige internationale Institution mit Sitz in Den Haag hat den Auftrag, zu kontrollieren, ob die Chemiewaffenkonvention der UNO eingehalten wird. Das Logo dieser "Organisation für das Verbot chemischer Waffen": eine Kombination aus Weltkugel und Laborgefäß
© Sascha Steinach / ZB / picture alliance

Das Ende des Kalten Krieges aber brachte um 1990 weltweit politische Entspannung – und die Bereitschaft bei vielen, nun doch ein wirkungsvolleres Verbot zu erreichen. Nach eingehenden Beratungen beschloss die UNO Anfang 1993 ein neues Regelwerk: Die so genannte "Chemiewaffenkonvention" erweiterte nun den Bann auf sämtliche Aspekte: Entwicklung, Herstellung, Lagerung und Einsatz, all das war nicht mehr zulässig. Zudem sollten sich die Staaten auf eine baldige Zerstörung ihrer Arsenale verpflichten. Besonders wichtig: Eine Institution, die "Organisation für das Verbot chemischer Waffen" in Den Haag, sollte nun mit regelmäßigen Inspektionen von Lagerstätten und Produktionsanlagen dafür sorgen, dass das Abkommen auch tatsächlich befolgt wurde. 

Nun gibt es Kontrollen – doch sind sie gründlich genug?

Nach einer langen Periode, in der die einzelnen Staat das Dokument unterzeichnen und ratifizieren mussten, trat die Chemiewaffenkonvention am 29. April 1997 in Kraft. In fast 200 Staaten gilt das Abkommen inzwischen. Und laut eigenen Verlautbarungen haben die beiden größten vorherigen Chemiewaffenstaaten, die USA und Russland, ihre Bestände inzwischen tatsächlich zerstört, Washington im Jahr 2023, Moskau bereits 2017. Unklar ist jedoch, ob es weiterhin geheime Bestände gibt – und falls ja, wie groß diese sind.

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