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Psychologie Freudscher Versprecher: Was wirklich hinter dem Phänomen steckt

Freudscher Versprecher – eine Frau sagt zu einem Mann: Lass uns aufstoßen! Statt: Lass uns anstoßen
Freudscher Versprecher: Mitunter rutscht uns aus Versehen etwas heraus, das wir gar nicht sagen wollten. Aber: Meinten wir es vielleicht insgeheim? Mit pfiffigen Experimenten versuchen Forschende dem Phänomen "Freudsche Fehlleistung" auf die Schliche zu kommen 
© Hulton Archive / Getty Images
Wenn uns ein Freudscher Versprecher herausrutscht, öffnet sich ein Türchen zum Unbewussten, zu inneren Konflikten, zu sexueller Begierde – das postulierte Sigmund Freud vor mehr als hundert Jahren. Doch gibt es das Phänomen wirklich? Psychologische Experimente geben Aufschluss

Ein Mitarbeiter verkündet vor versammelter Runde inklusive seines ungeliebten Vorgesetzten: "Lassen Sie uns auf unseren Chef aufstoßen". Der Präsident des österreichischen Abgeordnetenhauses sagt bei der Eröffnung einer Sitzung, von der er nichts Gutes erwartet und die er gern bereits hinter sich gebracht hätte: "Hohes Haus! Ich konstatiere die Anwesenheit von soundsoviel Herren und erkläre somit die Sitzung für geschlossen". Jemand offenbart, etwas sei "zum Vorschwein" gekommen. Auf Nachfrage bestätigt er, es handele sich bei den zutage geförderten Umständen tatsächlich um Schweinereien. 

Es sind solche versehentlich falschen Äußerungen, die in unserem Kopf unwillkürlich einen Begriff aufblitzen lassen: Freudscher Versprecher oder Freudsche Fehlleistung. Ein Phänomen, das weltweit bekannt ist – im Englischen etwa als "Freudian Slip", in Spanien als "Desliz freudiano", im Niederländischen als "Freudiaanse verspreking". Und tatsächlich stammen die drei Eingangsbeispiele aus dem Werk "Psychopathologie des Alltagslebens", das der österreichische Nervenarzt Sigmund Freud 1904 publizierte. 

Freudsche Fehlleistung: Offenbart sich darin ein Trauma? Ein verdrängtes Verlangen? Ein schamhafter Gedanke?

Der Begründer der Psychoanalyse, der die Macht des Unbewussten erkannte, postulierte, Menschen würden sich nicht einfach so, zufällig, ohne Grund versprechen. Vielmehr ermöglichten manche verbalen Ausrutscher einen Blick in tiefere Schichten der Psyche. Frei nach dem Motto: Mitunter sagt jemand, was er wirklich denkt, aber nicht sagen wollte. Im Versprechen offenbare sich also bisweilen Verborgenes – sei es ein traumatisches Erlebnis, ein sexuelles Verlangen, ein innerer Konflikt, zurückgedrängte Gefühle oder Gedanken, die mit Scham und Schuld aufgeladen sind. 

"In seinen Ausführungen hat Freud betont, dass diese verbalen Fehlleistungen nicht per se pathologisch sind", sagt der Psychologe Gerald Poscheschnik von der Fachhochschule Kärnten. "Es gibt auch neurologische Leiden oder krankheitsbedingte Umstände wie hohes Fieber, infolge derer es zu vermehrten Sprachfehlern kommt. Doch die zählen eben nicht zu den Freudschen Versprechern."

Sigmund Freud
In seinem Werk "Psychopathologie des Alltagslebens" beschäftigte sich der Nervenarzt Sigmund Freud (1856–1939) mit der Ursache menschlicher Fehlleistungen wie etwa Versprechern
© GL Archive / Alamy / Alamy Stock Photos / mauritius images

Zwar verhaspeln wir uns im Alltag recht selten, im Mittel bloß bei jedem 1000sten Wort. Doch wahrscheinlich hat jeder und jede von uns schon einmal eine solche Situation erlebt: Man verstolpert sich beim Sprechen, womöglich rutscht aus Versehen ein ähnlich klingendes, aber schlüpfriges Wort raus, Schamesröte schießt ins Gesicht – und Umstehende bemerken lachend: Aha, das war eindeutig ein Freudscher Versprecher, jetzt wissen wir ja, was du in Wahrheit meinst! Freilich ist meist auch eine Portion Humor am Werk, ein Augenzwinkern. Und das wache Ich-Bewusstsein tut den sprachlichen Irrtum rasch ab.

Doch worauf beruht das Phänomen wirklich? Öffnet sich in verbalen Entgleisungen tatsächlich ein Türchen zu einer an sich verschlossenen Innenwelt? Was ist dran am Freudschen Versprecher?

Manche Experten halten wenig davon, verbale Ausrutscher tiefenpsychologisch zu interpretieren

Vorweg sei gesagt: Ganz zweifelsfrei lässt sich Freuds These weder beweisen noch widerlegen. Zu vielschichtig ist die menschliche Psyche, zu komplex sind Sprache und Sprechen. Und zu uneins die Meinungen von Psychologen und Sprachwissenschaftlerinnen, die sich mit dem Thema beschäftigen.

So halten manche Experten wenig davon, Versprecher mit tiefenpsychologischen Deutungen zu beladen. Sie suchen die Ursache sprachlicher Irrtümer eher nüchtern im Prozess der Sprachplanung. Fehler geschähen schlicht dadurch, dass zwei unterschiedliche Wörter zum Beispiel einen sehr ähnlichen Klang hätten – oder auch eine vergleichbare Silbenstruktur aufwiesen. Und so komme es eben hin und wieder beim Sprechen zu Organisationspannen im Gehirn. Nicht mehr und nicht weniger. Forschende wie die Linguistin Helen Leuninger etwa meinen: Wer glaubt, einen anderen Menschen bei einem Freudschen Versprecher und damit beim Ausplaudern einer geheimen Botschaft ertappt zu haben, verrät wohl mehr über seine eigene Psyche als jener, der sich versprochen hat.

Andere Wissenschaftler – zu ihnen zählt Gerald Poscheschnik – halten dagegen, dass die Studienlage mitnichten Freud widerspreche. So gibt es eine ganze Reihe experimentalpsychologischer Laboruntersuchungen, die durchaus auf einen Zusammenhang zwischen unbewussten Inhalten und irrtümlich Gesagtem hindeuten. 

Bereits Mitte der 1970er-Jahre versuchten die beiden kalifornischen Sprachwissenschaftler Michael T. Motley und Bernard J. Baars dem Wesen des Versprechens wissenschaftlich auf die Schliche zu kommen und dachten sich dafür ein pfiffiges Versuchskonzept aus. Um sprachliche Patzer zu provozieren, bedienten sich die Forscher sogenannter Spoonerismen – davon spricht man, wenn die Anfänge zweier aufeinanderfolgender Wörter vertauscht werden. So enthält etwa jeder Schüttelreim einen Spoonerismus – zum Beispiel: Wer kann mit frohem "Herzen schmausen", wenn tief im Eckzahn "Schmerzen hausen". 

Freudscher Versprecher: Studien weisen darauf hin, dass Menschen sich nicht zufällig verhaspeln 

Bei ihrem Experiment baten Motley und Baars die Teilnehmenden, möglichst rasch und fehlerfrei Wortpaare vorzulesen. Und stellten fest: Die Probanden versprachen sich häufiger, wenn sie vorher inhaltlich in bestimmter Weise stimuliert wurden. Lasen sie etwa zuerst Wortpaare, die mit Ungeziefer zu tun hatten – "angry insect" (wütendes Insekt) und "irate wasp" (zornige Wespe) –, verdrehten sie tendenziell öfter ein nachfolgendes Wortpaar so, dass es inhaltlich ebenfalls zu unliebsamen Insekten passte. Sagten statt "bad mug" (böse Tasse) "mad bug" (verrückter Käfer). Lasen sie zuvor das Wortpaar "salary scale" (Gehaltstabelle), vertauschten sie mit höherer Wahrscheinlichkeit die Anfänge des nachfolgenden Wortpaars – und sagten statt "rage weight" (Wutgewicht) "wage rate" (Lohntarif).

Auch die Versuchsbedingungen selbst schienen – das zeigte ein späterer Test – Einfluss zu haben auf die Art des Versprechens. Waren die Probanden durch Kabel mit Elektroden verbunden, versprachen sie sich, statistisch gesehen, häufiger so, dass das entsprechende Wortpaar inhaltlich zum Thema Elektrizität passte. Wurde die Gruppe der männlichen Probanden von einer sexuell aufreizend gekleideten Frau angeleitet, unterliefen ihnen häufiger erotisch gefärbte Sprachfehler.

Weitere Studien offenbarten, dass Menschen, die unter Schuldgefühlen litten, eher geneigt waren, Versprecher mit sexuellem Bezug zu bilden. Und Personen, die an Bulimie erkrankt waren, vertaten sich – häufiger als gesunde Menschen – beim Vorlesen von Wortpaaren, die zum Beispiel mit Körperfett oder Nahrungsmitteln zusammenhingen. Die Forschenden schlossen daraus, dass nicht nur situationsbedingte Trigger die Art und Weise sprachlicher Patzer beeinflussen, sondern auch innere Konflikte. Ganz wie Freud postuliert hatte.

"Zwar können die Experimente nicht alle Annahmen Freuds beweisen – und doch liefern sie empirische Unterstützung für die psychoanalytische Theorie der sprachlichen Fehlleistungen", sagt Gerald Poscheschnik. "Schließlich zeigen die Studien, dass verbale Ausrutscher kein reines Zufallsprodukt sind, sonst wäre die Fehlerrate im jeweiligen Versuch nicht kontext- oder konfliktbezogen gestiegen."

Der "Lapsus Linguae" bringt ungewollt Gedanken zum Vorschein

Sicher ist: Wir geben unserem Gegenüber keineswegs mit jedem Versprecher intime Geheimnisse preis. Und doch hatte Freud aller Wahrscheinlichkeit nicht unrecht: Hin und wieder drängt wohl im Lapsus Linguae (wie Sprachwissenschaftler sagen) ungewollt etwas Verborgenes aus unserem Inneren nach draußen. Das mag nicht unbedingt ein tief verschollenes Geheimnis sein, seit Jahren dem Bewusstsein verschlossen, sondern einfach ein Gedanke, der unter der Oberfläche schlummert – und sich nun unbeabsichtigt Gehör verschafft. 

Vielleicht spüren wir ja auch intuitiv, dass der große Denker Sigmund Freud vor mehr als hundert Jahren nicht ganz falsch lag mit seiner Vermutung. Sonst hätte das Phänomen "Freudscher Versprecher" wohl nicht weltweite Bekanntheit erlangt.

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