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Falsche Erinnerungen Geheimnis Déjà-vu: Was hinter dem mysteriösen Phänomen steckt

Frau hält Spiegel in die Höhe (Symbolbild für das Déjà-vu)
Ein Déjà-vu hinterlässt ein mulmiges Gefühl: Denn obwohl man sicher ist, eine Situation schon einmal erlebt zu haben, weiß man nicht, wann und wo
© Cristina Conti / Alamy Stock Photos / mauritius images
Genau das habe ich doch schon einmal erlebt! Aber wann? Und wo? Daran kann man sich partout nicht erinnern. Déjà-vus lösen oftmals Unbehagen aus. Doch wie lässt sich das verstörende Phänomen erklären? Und sind alle Menschen gleichermaßen von den Erinnerungstäuschungen betroffen? 

Inhaltsverzeichnis

Das Gefühl überkommt einen völlig unerwartet und mit gespenstischer Gewissheit: Das, was ich gerade erlebe, habe ich – genau so – schon einmal erlebt! Doch wann war das? Und wo? So sehr man sich auch anstrengt: Es mag einem partout nicht einfallen. Und meist dauert es nicht lange, dann verfliegt die seltsame Irritation. Alles scheint wieder normal.

Viele von uns kennen solche Déjà-vus. Sind aber alle Menschen gleichermaßen davon betroffen? Wie oft treten die verstörenden Empfindungen auf? Lässt sich das Phänomen wissenschaftlich erklären? Und beruht der Eindruck womöglich darauf, dass Menschen tatsächlich hin und wieder das Gleiche mehrfach widerfährt?

Häufigkeit: Hat jeder Mensch Déjà-vus?

Zahlreiche Umfragen haben ergeben, dass etwa zwei von drei Menschen mindestens einmal in ihrem Leben ein Déjà-vu-Erlebnis haben (die meisten von ihnen häufiger). Während Ältere vergleichsweise selten davon erzählen, treten die befremdlichen Erlebnisse in jüngeren Jahren – vor allem zwischen der Pubertät und einem Lebensalter von Mitte 20 – offenbar recht häufig auf. Nicht untypisch ist, dass Menschen einmal im halben Jahr, mitunter sogar einmal im Monat von einem Déjà-vu berichten.

Erhebungen zeigen obendrein: Wer müde und erschöpft ist oder unter negativem Stress leidet, macht eher die verwirrende Erfahrung. Ebenso wie jene, die oft auf Reisen sind. Und auch, wer sich häufig an seine Träume erinnert. Nicht klar ist bislang, ob bestimmte psychische Erkrankungen �� etwa Schizophrenie – den Hang zum Déjà-vu begünstigen. Doch fest steht: Menschen mit Schläfenlappenepilepsie erleben signifikant öfter jene skurrilen Episoden, vornehmlich vor einem Anfall (dazu später mehr). 

Bedeutung: Woher stammt der Begriff Déjà-vu?

Bekannt ist das Phänomen wohl seit jeher. Bereits der heilige Augustinus schrieb um 400 nach Christus von "falsae memoriae", falschen Erinnerungen. Den Begriff "Déjà-vu" (was soviel bedeutet wie: bereits gesehen) wiederum prägte 1876 der französische Parapsychologe Émil Boirec in seinem Werk "L’Avenir des sciences psychiques" (Die Zukunft der psychischen Wissenschaften). Eine griffige Definition lieferte schließlich Vernon Neppe in den 1970er Jahren: Der südafrikanische Psychiater formulierte, ein Déjà-vu sei "jeder subjektiv unangemessene Eindruck von Vertrautheit der gegenwärtigen Erfahrung mit einer unbestimmten Vergangenheit".

Die gefühlte Wiederholung des bereits Erlebten, an das man sich konkret nicht zu erinnern vermag, kann sich auf jeden unserer Sinne beziehen. Entsprechend sind inzwischen auch andere Begriffe gängig. So bedeutet "Déjà-entendu": Das habe ich schon einmal gehört. "Déjà-pensé": bereits gedacht. "Déjà-rêvé": bereits geträumt. "Déjà-visité": bereits besucht.

Erklärung: Weshalb kommt es zum Phänomen des Déjà-vus?

Es kursieren alle möglichen – teils skurrilen – Vorstellungen, was es damit auf sich hat. Manche Menschen glauben, Déjà-vus stellten einen Zugang zu vergangenen Träumen her. Oder, die jeweilige Situation sei aus einem früheren Leben bekannt und rufe daher die Erinnerung hervor. Andere sind überzeugt, es handele sich um eine Pforte zu Paralleluniversen. Oder um Prophezeiungen, orakelhafte Einblicke in zukünftiges Geschehen also.

Neben solchen esoterischen Ideen gibt es freilich auch wissenschaftlichere Erklärungsansätze. Wobei man sagen muss: Trotz jahrzehntelanger Beschäftigung sind Déjà-vus auch für die Forschung noch immer ein Rätsel. Schließlich ist das Phänomen alles andere als einfach zu greifen und mithin zu untersuchen: Die Erlebnisse treten spontan und unerwartet auf, sind flüchtig, oft nach Sekunden bereits passé. Und unter Laborbedingungen kaum hervorzurufen. Nichtsdestotrotz haben Gelehrte Dutzende psychologische wie neurowissenschaftliche Theorien ersonnen, wie Déjà-vus zustande kommen. 

Der große Psychoanalytiker Siegmund Freud nahm an, dass das Doppelerleben dann auftritt, wenn eine Person durch eine äußere Begebenheit an eine im Unbewussten schlummernde Fantasie erinnert wird. Zwar ist das eigentliche Begehren dem Bewusstsein verborgen, doch eine schwer fassbare Vertrautheit walle aus dem Unbewussten empor – und so entstehe jenes merkwürdige Unbehagen.

Mann mit Rasenmäher in vielen unterschiedlichen Positionen in einem Park
Déjà-vus sind keine Ausnahmeerscheinung: Zwei von drei Menschen berichten über solche Erlebnisse, vor allem Jüngere im Alter zwischen 15 und 25 Jahren
© runzelkorn / Adobe Stock

Eine neuere psychologische Erklärung, geläufig als "split-perception-theory", kommt deutlich nüchterner daher und vermutet eine Lücke in unserer Wahrnehmung. Danach tritt ein Déjà-vu etwa dann auf, wenn wir etwas kurz hintereinander zweimal sehen, und zwar auf unterschiedlichen Bewusstseinsstufen. So mögen wir im ersten Moment am Rande unseres Gesichtsfeldes oder mit flüchtigem Blick – und daher unbewusst – ein Objekt oder eine Person wahrnehmen. Ebenso kann es sein, dass wir auf einen Gegenstand oder in einen Raum schauen, gedanklich allerdings noch mit völlig anderen Dingen beschäftigt sind. Im nächsten Moment aber wird uns das bereits unbewusst Gesehene erstmals bewusst. Unsere Wahrnehmung wird dadurch gleichsam zweigeteilt. Und so kann der Eindruck entstehen, dass wir die Szene schon einmal erlebt haben, ohne uns genau daran erinnern zu können. 

Einer anderen These zufolge beruht das Déjà-vu-Erlebnis auf der Tatsache, dass eine gegenwärtig wahrgenommene Situation einem in der Vergangenheit liegenden, im Hirn allerdings nur fragmentarisch abgespeicherten Erlebnis ähnelt. Ausgelöst durch die äußeren Umstände – seien es Möbel, die auf gleiche Art im Raum verteilt sind, Bilder an der Wand, Sätze, die in diesem Moment erklingen, das Abendlicht, das die Szene so wie damals illuminiert – werden diese unscharfen Erinnerungsfetzen aktiviert. Und rufen so das Gefühl einer Vertrautheit hervor, die uns aber perplex macht, da wir uns die vergangene Situation einfach nicht ins Gedächtnis rufen können. 

Wieder eine andere Theorie besagt: Déjà-vus werden etwa von Gegenständen oder Menschen getriggert, die uns bekannt sind, bloß in einem völlig anderen Kontext. So mag man dem Kassierer aus dem Supermarkt überraschenderweise in einer Bar begegnen. Den vertrauten Eindruck – das Gesicht des Menschen – weitet unser Gehirn, so die These, auf die ganze, in diesem Zusammenhang jedoch unvertraute Szene auf. Es entsteht eine Konfusion, jenes ambivalente Gefühl. Als Folge des Unvermögens, die vermeintlich schon einmal erlebte Szene zeitlich und räumlich zuzuordnen.

Was haben Erinnerungstäuschungen mit epileptischen Anfällen zu tun?

Die Neigung zum Déjà-vu geht vermutlich auf Aktivitäten in unseren Schläfenlappen zurück, zwei seitlich gelegenen Regionen unseres Großhirns. Schon vor mehr als einem Jahrhundert fiel auf, dass Betroffene vor einem epileptischen Anfall auffallend oft falsche Erinnerungen erleben (damals wurde dafür der Begriff "dreamy state" geprägt).

Mittlerweile belegen etliche Studien, dass bei Menschen mit Schläfenlappenepilepsie ein Zusammenhang mit dem Auftreten von Déjà-vus besteht. Tatsächlich haben Operationen und neurochirurgische Eingriffe gezeigt, dass durch Stimulation des entsprechenden Hirngewebes mitunter jene Erinnerungstäuschungen evoziert werden können.

Unsere Schläfenlappen beherbergen Areale, die eine Rolle bei der Gedächtnisbildung spielen und Erlebtes in unser neuronales Archiv überführen. Der Hippocampus etwa sortiert Sinnesreize als fremd oder vertraut. Ein ihm benachbartes Areal namens parahippocampaler Gyrus wird immer dann aktiv, wenn wir etwas uns Bekanntes erleben. In der Folge scannt unser Denkorgan unsere individuelle Erinnerungsbibliothek – mit dem Ziel, dass wir noch mehr über die aktuelle Situation erfahren. Einer Theorie zufolge beruhen Déjà-vus darauf, dass eben jene Neurone irrtümlicherweise zu feuern beginnen. Die Folge: Ein Gefühl der Vertrautheit, das ins Leere läuft. 

Ganz gleich, welche der vielen Theorien am Ende stimmt: Treten Déjà-vus nicht übermäßig oft auf oder stehen in Verbindung mit einer neurologischen Erkrankung, besteht kein Grund zur Sorge. Ebenso wenig, wenn Menschen von Zeit zu Zeit das gegenteilige Phänomen erleben, das auch ein äußerst seltsames Gefühl hervorruft. Das "Jamais-vu", bei dem eine Örtlichkeit, eine Person, eine Situation als völlig fremd erlebt wird, obwohl sie doch eigentlich ganz vertraut sein müsste.

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