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Gentechnik Wie Genforscher die Medikamente der Zukunft entwickeln

Medikamente, Tabletten
© Africa Studio / Fotolia
Auf die Medizin kommt eine Revolution zu: Wissenschaftler forschen an der DNS, um maßgeschneiderte Arzneien zu entwickeln

Inhaltsverzeichnis

Lange taten Mediziner so, als wären alle menschlichen Körper im Prinzip gleich und ließen sich sämtliche Gebrechen mit den gleichen Medikamenten heilen. Das aber ist falsch. Viele Patienten reagieren höchst unterschiedlich auf Arzneien, manchen geht es durch die Einnahme herkömmlicher Therapeutika sogar schlechter als ohne.

Der Grund: Unsere Körper sind eben durchaus nicht alle gleich, und zwar nicht nur äußerlich, sondern auch in ihrem Inneren – und das liegt auch an ihren Genen. Deshalb arbeiten Pharmakonzerne seit einiger Zeit daran, maßgeschneiderte Arzneien für individuelle Patienten zu entwickeln. Dafür müssen Forscher vor allem winzige Unterschiede im Erbgut eines Individuums entschlüsseln. Denn diese Variationen können große Folgen haben. Ein Beispiel dafür ist der Stoffwechsel.

Jedes Mal, wenn wir Nahrung – oder ein Medikament – zu uns nehmen, werden in unserem Verdauungstrakt Enzyme aktiv. Diese Proteine (Eiweiße) sind die Werkzeuge des Körpers. Sie werden eigens nach den in den Genen gespeicherten Bauplänen gebildet. Sie steuern unter anderem jene Prozesse, mit denen die Zellen bei der Verdauung Stoffe zerlegen, umwandeln und ausscheiden.

Enzyme stehen im Fokus der Forschung

Die Mediziner richten ihr Augenmerk bei der Behandlung von Patienten besonders auf das Enzym „CYP2D6”. Es wirkt in der Leber und bestimmt bei vielen Arzneien, wie schnell sie im Körper abgebaut werden. Je nachdem, welche Genversion ein Mensch besitzt, variiert auch die Konzentration des CYP2D6-Enzyms – und damit auch der Zeitraum, in dem Medikamente eliminiert werden.

Die Folgen sind zuweilen dramatisch. Abhängig von den Enzymen im Körper eines Menschen (und CYP2D6 ist nur eines von vielen), kann es etwa vorkommen, dass er nach der Standarddosis eines Blutverdünners innerlich blutet – oder an einem Schlaganfall stirbt, weil sich die Gerinnsel in seinen Adern noch nicht aufgelöst haben. Er kann tiefer als geplant in eine Narkose fallen oder trotz Schmerzmittelgabe empfindsam sein. Oder ein Tumormedikament wird so schnell abgebaut, dass es nicht wirkt.

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Was die Sache noch weiter verkompliziert: Ärzte beobachten, dass Krankheiten, die in ihren Symptomen scheinbar identisch sind, auf molekularer Ebene variieren. Bei der Infektionserkrankung Hepatitis C etwa unterscheiden Mediziner mittlerweile sechs Haupttypen des Virus. Und je nachdem, welcher Erreger das Leiden ausgelöst hat, muss ein Patient zwölf, im Einzelfall aber gar 24 Wochen behandelt werden.

Protein steuern verschiedene Arten von Krebs

Bei Krebs nahm man lange an, dass alle Tumoren eines Organs gleich seien, etwa bei Lungenkrebs, Darmkrebs oder Hautkrebs. Heute wissen Onkologen, dass sich hinter jeder Krebsart viele und teils höchst unterschiedliche Geschwulste verbergen können. So sitzen bei manchen Krebspatienten auf der Tumoroberfläche bestimmte Proteine, über deren Signale das Wachstum der Geschwulst stimuliert wird. Die lassen sich oft mit einem Medikament blockieren. Fehlen diese Proteine, bleiben solche Therapeutika jedoch wirkungslos.

Inzwischen beginnen Krebsforscher daher, Medikamente auf den Einzelnen zuzuschneiden. Dafür analysieren sie den individuellen Aufbau der Tumoren und entwickeln Stoffe, die vor allem Krebszellen zerstören, ohne dem gesunden Gewebe wesentlich zu schaden. Anhand einer Blutprobe können Ärzte zudem prüfen, wie effizient der Stoffwechsel eines Patienten arbeitet - und die Medikamente entsprechend dosieren. Die Anpassung gelingt allerdings vor allem dann, wenn die einzelnen Gene und ihre Wirkung bekannt sind – an den meisten Körperprozessen aber sind viele verschiedene Erbanlagen beteiligt.

GEO kompakt - Unser Erbe, unsere Gene
GEOkompakt Ausgabe Nr. 54
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Selbst Zwillinge reagieren unterschiedlich auf Medikamente

Zudem werden Teile des Genoms zuweilen ausgeschaltet und wieder aktiviert. Das ist vermutlich der Grund dafür, dass eineiige Zwillinge oft unterschiedlich auf Therapien ansprechen. Darüber hinaus genügt die Kenntnis der Gene allein nicht. Denn die nach den Bauplänen der Erbinformationen gebildeten Proteine sind ungeheuer vielfältig: Jedes Gen ist der Bauplan für wohl Dutzende Eiweiße, sodass der Körper viele Hunderttausende Proteine im Repertoire hat – und die aufeinander einwirken können.

Bis zu einer wirklich personalisierten Medizin werden daher wohl noch Jahrzehnte verstreichen. Doch da es heute schon Hunderte von Tests gibt, mit denen Genetiker das Risiko des Einzelnen für Herzinfarkt, Diabetes, Alzheimer oder Darmkrebs abzuschätzen versuchen, malen sich manche Forscher bereits eine Zukunft aus, in der man das Genom eines Menschen – womöglich gleich nach der Geburt – vollständig und planvoll auf sämtliche Anfälligkeiten untersucht.Experten sprechen bereits von einem „historischen Wendepunkt” hin zu einer Medizin, in der Ärzte nicht mehr blind ausprobieren müssen, welche Behandlung zum Einzelnen passt, sondern gezielt individualisierte Therapien entwickeln.

Medikamente sollen wirksamer und besser verträglich werden

Die Hoffnung: Wenn ein Mensch erkrankt, wird es zunehmend Behandlungsmöglichkeiten geben, die – auch dank eines neuen Verständnisses des menschlichen Genoms – sowohl wirksamer als auch besser verträglich sind als die Therapien, die derzeit existieren.

GEOkompakt Nr. 54 - Unser Erbe, unsere Gene

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