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Weltraum-Medizin Warum testen Mäuse Medikamente im All?

Alexander Gerst trainiert auf der ISS
Um nicht an Muskel- und Knochenmasse zu verlieren, sollen die Astronaut*innen auf der ISS mindestens 4,5 Stunden die Woche trainieren. Hier strampelt Alexander Gerst sich warm
© NASA/action press
Auf langen Raumfahrt-Missionen wird Knochenschwund zum ernsten Problem. Ein neuer Wirkstoff könnte Astronautinnen und irdischen Patienten gleichermaßen helfen. An Mäusen wurde er nun erfolgreich getestet - an Bord der Internationalen Raumstation

Als die SpaceX-Rakete CRS-11 im Juni 2017 vom Kennedy Space Center in Florida Richtung Internationale Raumstation ISS abhob, hatte sie neben Ersatzteilen und Lebensmitteln für die Besatzung auch eine ganz besondere Fracht an Bord: 40 lebende Mäuse.

Die Nagetiere waren zuvor sorgfältig ausgewählt worden. Weiblich mussten sie sein, gesund und genau 30 Wochen alt. In einem speziell für sie konstruierten Käfig lebten sie mehrere Wochen an Bord der Raumstation. 20 von ihnen wurden mit einem neuartigen Wirkstoff namens BP-NELL-PEG behandelt. Nach ihrer Rückkehr per Raumkapsel ging es für weitere Untersuchungen nach Kalifornien .

Die Weltraum-Mäuse waren Teil eines aufwändigen Projekts der University of California in Los Angeles (UCLA) und des Forsyth Institute in Cambridge, Massachusetts. Das Forschungsteam, das sie ins All schickte, will eines der gravierendsten gesundheitlichen Probleme angehen: den Knochenschwund. 

Was auf der Erde in erster Linie ein Leiden Älterer ist, betrifft im Weltall nämlich auch junge Menschen: Unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit baut sich ihre Knochensubstanz bis zu 12-mal so schnell ab wie auf der Erde. Etwa ein Prozent ihrer Knochenmasse können Astronaut*innen pro Monat auf diese Weise verlieren. Dadurch erhöht sich zum Beispiel das Risiko von Knochenbrüchen. 

Betroffen davon sind vor allem jene Raumfahrer, die sich lange im All aufhalten – Besatzungsmitglieder der ISS etwa, die in der Regel monatelang an Bord bleiben. Sollten Menschen demnächst tatsächlich zum Mars fliegen, was erklärtes Ziel der NASA ist, würde sich das Problem noch einmal verschärfen: Allein die Hinreise dauert mindestens neun Monate.

Ursache für den Knochenschwund ist wahrscheinlich die im Weltall nicht oder kaum vorhandene Schwerkraft. Weil das Skelett nicht belastet wird, baut der Körper die Knochensubstanz nach und nach ab, ebenso wie die Muskeln. Mit Sport versuchen die Astronaut*innen das Problem bislang einzudämmen: Viereinhalb Stunden pro Woche verbringen sie in der Regel allein mit dem Knochen-Training. Doch das raubt nicht nur Zeit für wissenschaftliche Experimente, es ist auch nur bedingt erfolgreich.

Schon länger suchen Fachleute deshalb nach einer weniger zeitraubenden Behandlung – am besten durch Medikamente. Die bisher eingesetzten, per Spritze verabreichten Bisphosphonate lösen jedoch häufig Magenschmerzen aus. 

Starke Knochen, im All und auf Erden

Nun richten sich die Hoffnungen auf den neuen Wirkstoff BP-NELL-PEG. Nicht nur die Mäuse im All wurden damit behandelt. Weitere 40 blieben am Boden, um das Medikament auch unter dem Einfluss der irdischen Schwerkraft zu testen. Jeweils der Hälfte beider Gruppen wurde zur Kontrolle lediglich Kochsalzlösung gespritzt.

Das Ergebnis des Versuchs, das kürzlich in der Fachzeitschrift "npj Microgravity” veröffentlicht wurde, zeigt: Mit BP-NELL-PEG ließ sich der Knochenschwund bei den Mäusen weitgehend verhindern. Sowohl bei Raumfahrermäusen als auch bei Bodenmäusen nahm die Knochenbildung signifikant zu. Außerdem ließen sich keine offensichtlichen Nebenwirkungen feststellen.

"Unsere Ergebnisse sind sehr vielversprechend für die Zukunft der Weltraumforschung, insbesondere für Missionen, die längere Aufenthalte in der Schwerelosigkeit vorsehen", zitiert die Zeitschrift den Erstautor Chia Soo. "Wenn Studien am Menschen dies bestätigen, könnte BP-NELL-PEG ein vielversprechendes Mittel zur Bekämpfung von Knochenschwund und der Verschlechterung des Bewegungsapparats sein.”

Mehr noch: Dass die Substanz bei jenen Mäusen Wirkung zeigte, die am Boden geblieben waren, lässt hoffen, damit in Zukunft auch krankheits- und altersbedingten Knochenschwund behandeln zu können. Dazu sind jedoch noch weitere Untersuchungen notwendig.

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