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Ernährung Warum Bio-Kost nicht automatisch gesünder ist

Äpfel
Bio oder nicht? "Auch auf konventionellem Weg kann ein Apfel heranwachsen, der dem idealen Bio-Produkt nahe kommt", sagt Ernährungswissenschaftler Bernhard Watzl
© b-fruchten / photocase
Stärken Lebensmittel vom Öko-Hof wirklich unsere Gesundheit? Wann lohnen sich Bio-Erzeugnisse, wann nicht? Der Karlsruher Ernährungswissenschaftler Bernhard Watzl über die richtige Wahl beim Einkauf

Herr Professor Watzl, ist Bio eigentlich immer gleich Bio?

Nein. Unter dem Logo "Bio" finden wir eine große Variation an Qualitäten – die Bandbreite der Kriterien erlaubt es nicht, alle Produkte in einen Topf zu werfen.

Was verstehen Sie unter einem gehobenen Bio-Lebensmittel?

Es muss sich dabei um ein Produkt aus ökologischem Anbau handeln, das keine oder wenig Zusatzstoffe enthält und gentechnisch nicht modifiziert ist. Bei tierischen Nahrungsmitteln steht unter anderem eine artgerechte Haltung im Vordergrund, ein zurückhaltender Einsatz von Tierarzneimitteln.

Wenn wir von Bio-Lebensmitteln sprechen, sollten wir diese streng zertifizierten Produkte vor Augen haben. Und am besten solche, die aus der Region stammen. Am anderen Ende des Spektrums von Bio-Produkten finden Sie dagegen die nur mit dem EU-Bio-Siegel gekennzeichneten Lebensmittel: Sie dürfen etwa mehr Zusatzstoffe enthalten als strenger zertifizierte Produkte.

Ist der Bio-Apfel besser?

Ein nach den eben genannten Kriterien gewachsener Bio-Apfel hat in der Regel eine höhere Trockenmasse, enthält also weniger Wasser und schmeckt dadurch aromatischer. Ein Grund: In der Massenproduktion wird viel Stickstoff in die Böden gebracht, damit Äpfel mehr Biomasse bilden. Das führt zu einer geringeren Konzentration von Aminosäuren und sekundären Pflanzenstoffen; dazu zählen Substanzen, die einer Pflanze zum Beispiel Geruch, Farbe verleihen. Im Bio-Apfel sind die Nährstoffe gewöhnlich ein wenig konzentrierter – ein geübter Verkoster kann das normalerweise schmecken.

Können Sie erkennen, ob ein Apfel aus biologischem oder konventionellem Anbau stammt?

Sofern er gemäß den strengen Richtlinien angebaut wurde, durchaus. Aber auch in der konventionellen Erzeugung finden sich sehr gute Produkte. Der konventionelle Landwirt verwendet ja nicht zwangsläufig große Mengen Stickstoff. Daher kann auch auf konventionellem Weg ein Apfel heranwachsen, der dem idealen Bio-Produkt nahe kommt. Ohnehin sind die messbaren Unterschiede bei der jeweiligen Nährstoffzusammensetzung zwischen den Anbauweisen überaus klein. Sie liegen bei höchstens zehn Prozent.

Weitaus stärker wirken sich etwa klimatische Bedingungen aus. Ein konventioneller Apfel, der unter günstigen Konditionen gewachsen ist, kann einem Bio-Apfel, der wenig Sonne und Wasser abbekommen hat, bei Nährstoffzusammensetzung und Geschmack überlegen sein.

Und wie finde ich einen guten, konventionell angebauten Apfel?

Ein guter Sensor ist unser Geschmackssinn. Denn ein guter Geschmack lässt auf eine gute Produktionsqualität schließen. Das ist – neben den staatlichen Prüf- und Kontrollsystemen – ein durchaus verlässlicher Indikator. Wenn ein Produkt nicht mundet, sollte man die Finger davon lassen: ob es nun ökologisch oder konventionell erzeugt wurde.

Das zeigt sich auch bei tierischen Produkten: Bio-Hühner werden nicht wie konventionelle Hennen schon nach 30 Tagen geschlachtet, sie erreichen ein weit höheres Alter, bewegen sich länger im Freiland und entwickeln eine ausgereiftere Muskulatur. So wirkt sich allein schon die Haltung der Tiere auf die Konsistenz und den Geschmack des Fleisches aus.

Sind Bio-Lebensmittel weniger mit Schadstoffen belastet?

Ökologisch erzeugte Produkte weisen in der Tat weniger Rückstände von chemischen Pflanzenbehandlungsmitteln auf, solche Substanzen dürfen ja im ökologischen Anbau nicht verwendet werden, im konventionellen schon. Die Unterschiede in den Rück- standsmengen sind aber so gering, dass sie wahrscheinlich keinen physiologischen Effekt haben.

Kürbisernte
Weil Bio-Bauern sparsam düngen, wächst ihr Gemüse langsam – und hat ein besonders starkes Aroma
© mauritius images / Wavebreakmedia

Bio ist nicht automatisch gesünder?

Nein. Da herrscht eine überzogene Erwartungshaltung. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Die jeweiligen BioSiegel, ganz gleich an welcher Stelle im Spektrum, erlauben nur Aussagen über gewisse Qualitätsstandards bei der Herstellungsweise. Sie geben keinen Hinweis darauf, inwieweit ein Produkt gut für die Gesundheit ist oder nicht.

Aber die meisten Konsumenten kaufen Bio-Ware doch gerade aus gesundheitlichen Aspekten.

Viele haben schlicht eine falsche Vorstellung, wenn es um den gesundheitlichen Nutzen von Bio-Lebensmitteln geht. Tatsächlich können die Menschen über ihren Lebensstil – zu dem neben Sport und Bewegung natürlich auch die Ernährung zählt – das Risiko etwa für Diabetes oder Herz- Kreislauf-Erkrankungen um mehr als 80 Prozent senken.

Dies hat aber kaum etwas damit zu tun, ob sie sich von Bio-Kost oder konventionell erzeugten Lebensmitteln ernähren. Der zusätzliche Effekt von Bio liegt vermutlich bei wenigen Prozent. Viel entscheidender ist die richtige Wahl der Lebensmittel, vor allem: dass sie wenig tierische Lebensmittel und viel Obst und Gemüse zu sich nehmen.

Gilt der für den Laien über­raschend geringe gesundheitliche Nutzen von Bio-Lebensmitteln auch für tierische Produkte wie Fleisch, Milch, Eier?

Auch dort gilt: Es gibt geringe Unterschiede. So enthalten zum Beispiel Milch, Fleisch und Eier von Bio-Bauern mehr ungesättigte Fettsäuren, die wichtig für die Entwicklung von Nervenzellen sind, und damit für die Funktionsweise des Gehirns. Das hat einen einfachen Grund: Bio-Kühe und -Hühner fressen frisches Futter in Form von Gräsern und Kräutern, das die entsprechenden Fettsäuren enthält – und so in die Milch, das Fleisch, die Eier gelangt. Ob sich daraus gesundheitliche Vorteile ergeben, ist allerdings noch unklar.

Hühner freilaufend
Wenn Hühner nach der EG-Öko-Verordnung gehalten werden, dann tragen ihre Eier im Supermarkt die Kennziffer 0. Das heißt allerdings nicht, dass es auf Biohöfen so romantische aussehen muss wie auf diesem Foto. Die ökologische Haltung sieht maximal sechs Legehennen pro Quadratmeter vor
© mauritius images / Cultura / Sofie Delauw

Wenn der Verzehr von Bio-Lebensmitteln keinen nennenswerten gesundheitlichen Vorteil bringt – weshalb sollten wir dann überhaupt Bio-Produkte kaufen?

Der gesundheitliche Nutzwert ist nur einer von mehreren Aspekten, die den Wert eines Lebensmittels bestimmen. Ich bin ein überzeugter Käufer ökologisch erzeugter Produkte. Damit tue ich vielleicht nicht mehr für meine eigene Gesundheit, aber für die der Tiere und für die Umwelt. Schließlich bringen Bio-Lebensmittel nicht zu unterschätzende systemische und ethische Vorteile mit sich.

Können Sie die Vorteile näher umschreiben?

Bei pflanzlichen Lebensmitteln wirkt sich der Bio-Anbau positiv auf die Umwelt aus, etwa auf die Artenvielfalt von Wildkräutern, Vögeln und Insekten oder die geringere Belastung des Trinkwassers durch Düngemittel. Wer auf regional erzeugte saisonale Produkte setzt, minimiert zudem die CO2-Emissionen, die etwa durch lange Transportwege zustande kommen.

Bei Fleisch steht dazu die Frage nach der jeweiligen Tierhaltung im Vordergrund. Wenn Sie Bio-Fleisch kaufen, das nach strengen Richtlinien zertifiziert wurde, können Sie sicher sein, dass die Tiere weitgehend frei von Leid aufgewachsen sind – und nicht eng an eng in stickigen Ställen vegetierten.

Prof. Dr. Bernhard Watzl ist Direktor am Institut für Physiologie und Biochemie der Ernährung in Karlsruhe. Dieses Interview ist eine gekürzte Version. Das ganze Gespräch lesen Sie in GEO Wissen Ernährung Nr. 6 "Was soll ich essen?".

GEO Wissen Ernährung Nr. 6 - Was soll ich essen?

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