Anzeige

Archäologie Diese knackige Pflanze ernährte die Menschen in den ersten Megasiedlungen

Illustration einer frühen Megasiedlung
Wahrscheinlich schuf die Trypillia-Kultur die ersten Megasiedlungen der Welt bereits vor 6000 Jahren auf dem Gebiet der heutigen Ukraine und Moldawien. Wie sie es schafften, die bis zu 15.000 Menschen zu ernähren, haben Forschende jetzt entschlüsselt
© Susanne Beyer
Bis zu 15.000 Bewohnerinnen und Bewohner lebten in den Megasiedlungen der Trypillia-Kultur in Südosteuropa. Doch wovon ernährten sich so viele Menschen? Jetzt hat die Forschung eine Antwort: Vor allem die kleine, runde Frucht einer Pflanze erlaubte das Überleben in den Riesendörfern

Vor mehr als 6000 Jahren entstanden nördlich des Schwarzen Meeres die ältesten Siedlungen Europas und die größten der damaligen Welt: Sie sind damit also sogar älter als die Urzeit-Metropole Uruk im heutigen Irak und die Cheops-Pyramide in Ägypten. Diese Megasiedlungen der Trypillia-Kultur auf dem Gebiet der heutigen Ukraine und Moldawiens waren bis zu 3,2 Quadratkilometer groß und boten Lebensraum für bis zu 15.000 Menschen. Aber wie sich eine so große Bevölkerung zu Beginn der Zivilisation ernähren konnte, gab Forschenden bisher ein Rätsel auf. Jetzt hat sie die Antwort gefunden.

Tatsächlich besaß die Trypillia-Kultur bereits ein raffiniertes System aus Ackerbau und der Viehzucht, aber mit einem Fokus: der Erbse. "Die Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner der Megasiedlungen beruhte auf einem äußerst ausgeklügelten Nahrungs- und Weidemanagement", sagt der Erstautor und Paläoökologe Frank Schlütz von der Universität Kiel. Demnach wurde ein großer Teil der Rinder und Schafe auf eingezäunten Weiden gehalten. "Der dort anfallende Dung der Tiere wurde von den Menschen benutzt, um insbesondere die Erbsen intensiv zu düngen."

Hauptnahrung bestand aus Erbsen und Getreide

Demnach waren Erbsen und Getreide die Hauptpfeiler der damaligen Ernährung, während Fleisch nur etwa 10 Prozent beitrug. Das beim Pflanzenbau anfallende Erbsenstroh diente vermutlich zur Fütterung der Herden auf den Weiden. Diese eng verzahnte Wirtschaftsweise habe den Menschen der Megasiedlungen eine gesunde Ernährung gesichert, schreibt das Team um Schlütz in den "Proceedings" der US-nationalen Akademie der Wissenschaften ("PNAS").

Die Trypillia-Gesellschaften - auf Russisch Tripolje genannt - entstanden vor etwa 6800 Jahren in der äußerst fruchtbaren Waldsteppe zwischen dem Donauzufluss Pruth an der rumänisch-moldawischen Grenze und dem Dnipro (Dnjepr). Die Größe der Siedlungen erreichte ihr Maximum vor mehr als 6000 Jahren. Die Großsiedlungen lösten sich vermutlich infolge sozialer Spannungen nach wenigen Jahrhunderten wieder auf und vor 5000 Jahren waren die Trypillia-Gesellschaften ganz verschwunden. Die mit Abstand größten Siedlungen lagen im östlichen Gebiet, südlich des heutigen Kiew.

Die Gebäude jener Siedlungen wurden planmäßig ringförmig um einen zentralen Platz angelegt und enthielten neben Wohnhäusern riesige Versammlungshallen, die zu den größten damaligen Bauten Europas zählten, sowie kleinere Versammlungsgebäude in den einzelnen Vierteln. Aufgrund der Architektur geht das Team von einer Gesellschaft aus, die noch in der Blütezeit der Megasiedlungen recht egalitär strukturiert war.

Fleischanteil betrug weniger als zehn Prozent

Um die damalige Wirtschaftsweise zu verstehen, analysierte das Team Stickstoff- und Kohlenstoff-Isotope in Böden, Pflanzenresten sowie in Tier- und Menschenknochen von Siedlungen verschiedener Größe – darunter die etwa 200 Hektar große Stadt Maidanetske, die mit bis zu 15.000 Bewohnern als bevölkerungsreichste Stadt jener Zeit gilt.

Wie die Untersuchung ergab, lieferten den Menschen dort Erbsen 54 Prozent und Getreide 28 Prozent der Proteine – insgesamt also etwa 82 Prozent – und zusammen rund 92 Prozent der Kalorien. Tierprodukte sorgten demnach für weniger als 10 Prozent des Kalorienbedarfs. Sie dienten jedoch als Lieferanten wichtiger Nährstoffe wie Vitamin B12 und wurden vermutlich eher bei gemeinsamen Feiern verspeist.

"Der Hauptfokus der intensiven Viehwirtschaft war die Entnahme von Dung, um die Ernte proteinreicher Hülsenfrüchte auf den ohnehin fruchtbaren und zusätzlich gedüngten Böden zu ermöglichen", schreibt die Gruppe. "In den Megasiedlungen wurden die meisten Rinder wahrscheinlich eingezäunt gehalten, um den Dung in einem kleinen Areal zu konzentrieren und so leichter sammeln zu können und um die angrenzenden Pflanzenbeete vor den Tieren zu schützen." Eine solch ausgeklügelte und umfangreiche Wirtschaftsweise gab es zu jener Zeit wohl nirgendwo sonst auf der Welt.

Allerdings zeigt die Analyse der Städte auch, dass die planvolle Wirtschaftsweise nicht von sehr langer Dauer war. Das Verschwinden der kleineren Versammlungshäuser und ein steigender Anteil unterschiedlich großer Wohngebäude deutet auf fortschreitende soziale Ungleichheit hin. "Wie wir aus vorhergehenden Untersuchungen wissen, kam es infolge zunehmender sozialer Ungleichheit zu gesellschaftlichen Spannungen", sagt Ko-Autor Robert Hofmann. "Die Menschen kehrten den Großsiedlungen den Rücken zu und entschieden sich wieder für ein Leben in kleineren Siedlungen."

Walter Willems, dpa

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel