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Ökologie Waldsterben in Deutschland: Vier von fünf Bäumen sind krank

Waldsterben in Deutschland - hier im Harz
Das Waldsterben zeigt sich eindrücklich im nördlichen Mitteldeutschland, wie hier absterbende Fichten im Harz
© K I Photography / Adobe Stock
Langanhaltende Trockenheit, Stürme, Borkenkäferbefall – die Wälder in Deutschland haben es nicht leicht. Wie das Waldsterben aufgehalten werden soll und warum Wälder so wichtig für unser Ökosystem sind

"Im Wald, da sind die Räuber" heißt es in einem alten Volkslied. Würde das Lied heutzutage komponiert, hätten die Verfasser ein Problem. Es ist nicht mehr genügend Wald für die Räuber da. Vier von fünf Bäumen im deutschen Wald sind krank. Das Waldsterben als Begriff aus den 1980er Jahren ist aktueller denn je.

Waldsterben bedingt durch Sauren Regen

Stickoxide und Schwefeldioxid aus Landwirtschaft, Verkehr und Industrie, in der Atmosphäre gemischt mit Wassermolekülen – dieser unnatürliche Cocktail sorgte vor Jahrzehnten für das Absterben der Bäume. "Saurer Regen" war das Stichwort, das für einen Aufschrei in der Bevölkerung sorgte.

Der deutsche Wald in Gefahr. Horrorprognosen sagten das komplette Verschwinden der Wälder voraus. Es war der Startschuss für die heutige Umweltbewegung bis hin zu politischen Umwälzungen in Sachen Naturschutz und Beschlüssen.

Dem deutschen Wald geht es eher schlechter als besser

Filteranlagen für die Industrie, Katalysatoren für Autos, bleifreies Benzin – Maßnahmen gab es einige und die Luftschadstoffe sind bis heute nachweislich zurückgegangen. Nach Angaben der Umweltorganisation NABU um 90 Prozent beim Schwefeldioxid und um rund 40 Prozent beim Stickoxid. Trotzdem geht es dem deutschen Wald heute eher schlechter als besser.Was ist der Grund dafür?

Tatsächlich gibt es nicht nur einen Grund dafür, sondern gleich mehrere. Ein Grund sind die Monokulturen: die Fichte als schnell wachsender Nadelholzbaum war lange Zeit der Liebling der deutschen Forstwirtschaft. Sie wächst kerzengerade und ist schon nach 80 Jahren reif fürs Sägewerk. Gut ein Viertel der gesamten Waldfläche in Deutschland sind Fichten. Der Fehler: Fichten sind Flachwurzler, werden von Stürmen schnell umgeworfen, sind anfällig für Schädlinge wie den Borkenkäfer.

Klimakrise führt zum Absterben der Fichten

Dazu kommt die Klimakrise und der Teufelskreis für die Fichte: Wird es wärmer und trockner, fehlt der Fichte die Feuchtigkeit zu Harzbildung – dem natürlichen Abwehrstoff gegen Schädlinge. Das Ergebnis: Die Fichten werden noch anfälliger für Borkenkäfer, werden krank, stürzen um und bieten noch mehr Brutplatz für den Schädling – der sich daraufhin noch fleißiger vermehrt. Aktuell besteht der deutsche Wald zu 54 Prozent aus Nadelbäumen.

Trockenheit schädigt die Laubbäume

Die Trockenheit hat aber auch Folgen für Laubbäume – immerhin mit einem Anteil von 43 Prozent in den deutschen Waldflächen vertreten. Das Laub wird früher abgeworfen, um weniger Feuchtigkeit zu verdunsten. Der Waldboden ist trocken und liefert weniger Nährstoffe. Gleichzeitig reduzieren beispielsweise Buchen nach Erkenntnissen des Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung ab 25 Grad Celsius ihre Fotosynthese. Schädlinge wie der Eichenprozessionsspinner breiten sich bei warmen Temperaturen stärker aus.

War vor gut vier Jahrzehnten noch der saure Regen das Problem der Wälder, ist es heute also eher die Trockenheit. Und hat der saure Regen damals dem Boden noch Nährstoffe entzogen, haben die Waldböden heute eher einen Nährstoffüberschuss. Stickstoffverbindungen aus der Viehhaltung und industriellen Abgasen gelangen über die Luft und den Regen in den Boden. Bäume wachsen dadurch schneller als normal. Sie werden leichter krank und damit wiederrum anfälliger für Schädlinge.

Waldzustandsbericht: Mehr Bäume sterben

Der Waldzustandsbericht der Bundesregierung kommt zu dem Schluss, dass es dem deutschen Wald weiterhin schlecht geht. Verglichen mit dem Jahr 1984 sind allein im Jahr 2019 gut doppelt so viele Laub- und Nadelbäume abgestorben. Rund 180.000 Hektar Wald in Deutschland gelten als irreparabel geschädigt oder tot. Trotzdem ist Deutschland innerhalb der Europäischen Union immer noch eines der waldreichsten Länder. Gut ein Drittel sind bewaldet: rund 11,4 Millionen Hektar.

Was viel klingt, war einmal wesentlich mehr. Vor gut 4500 Jahren war das  gesamte heutige Deutschland von Wald bedeckt. Und der wesentlichste Unterschied: Es waren Mischwälder aus Eichen, Linden, Eschen- später kamen durch eine Klima-Abkühlung auch Buchen dazu. Doch bereits im 17. Jahrhundert hatte sich etwas anderes so ausgebreitet, dass es jede Menge Holz brauchte: der Mensch. Ackerbau, Schiffbau, Hausbau, Köhler mit der Produktion von Holzkohle zum Heizen. Der Kahlschlag war so gewaltig, dass bereits 1713 der Oberberghauptmann des Erzgebirges, Hans Carl von Carlowitz, ein Buch über den notwendigen Schutz des Waldes und eine geregelte Bewirtschaftung schrieb.

"Für jeden gefällten Baum einen neuen Baum pflanzen"

Er forderte, dass für jeden gefällten Baum ein neuer Baum gepflanzt werden müsse und war damit Vordenker der Nachhaltigkeit im Wald. Das Werk "Sylvicultura Oeconomica" wurde kein Beststeller in Deutschland – obwohl Ludwig XIV, König von Frankreich, bereits 1669 ein Gesetz zum Schutz des Waldes erlassen hatte. In Deutschland hingegen wurde fleißig weiter abgeholzt. Anfang des 19. Jahrhunderts erreichte das Ausmaß der Abholzung seinen Höhepunkt.

Was aber ist denn nun so wichtig an einem gesunden Wald? Warum muss er überhaupt geschützt und gesund gehalten werden? Der Beitrag von Bäumen zu einem funktionierenden Naturkreislauf und damit auch dem Wohl des Menschen ist existenziell:

  • Die Wurzeln der Bäume und die Waldböden speichern Regen.
  • Dadurch wird der Wasserhaushalt in der Natur reguliert.
  • Die Blätter und Nadeln der Bäume filtern Staub aus der Luft.
  • Bäume wandeln Kohlendioxid in Sauerstoff um.
  • Besonders für Ballungsgebiete sind Bäume als grüne Lungen wertvoll.
  • Allein in Deutschland ist der Wald die Heimat für mehr als 1200 verschiedene Pflanzenarten und Tausende von Tierarten.
  • Bäume tragen wesentlich zur Kohlendioxid-Bindung bei: In lebenden Bäumen und im Totholz deutscher Wälder sind nach Angaben der Bundesregierung derzeit rund 1,26 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gebunden.
  • Besonders Laubbäume kühlen durch Wasserverdunstung die Luft und schützen damit den Boden vor Austrocknung. Die gemessene Maximal-Temperaturschwankung in einem Kiefern- und einem Buchenwald am selben Tag: Buchenwald bis zu 20 Grad und Kiefernwald bis zu 35 Grad Celsius.

Vier Milliarden Euro für Naturschutz und gegen Monokulturen

Wer den Wald schützt, schützt demnach sich selber. Die Bundesregierung hat das erkannt und verschiedene Programme gegen das Absterben der Wälder aufgelegt – wie das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz mit einem Volumen von vier Milliarden Euro. So soll die Zahl der Monokulturen mit Fichten und Kiefern reduziert werden und es sollen vermehrt Mischwälder angelegt werden. Dazu gehört vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung auch das Pflanzen von Baumarten, die widerstandsfähiger gegen Hitze sind.

So haben Fortwissenschaftler bei Rotbuchen in Hessen herausgefunden, dass manche der Bäume genetisch besser mit Trockenheitsstress umgehen können. Es wurde ein Test entwickelt, der die Dürreresistenz bei Buchen nachweisen kann – und das schon im Saatgut. Auch Baumarten aus Südeuropa, die mit heimischen Bäumen verwandt sind, könnten zum Einsatz kommen.

Wald bringt der Wirtschaft Milliarden

Das ist schon deshalb notwendig, um den weiterhin unbändigen Holzhunger der Deutschen zu stillen. Zwischen 1990 und 2010 hat sich die Nachfrage nach Holz verdoppelt. Allein im Jahr 2019 betrug der Jahresumsatz der deutschen Holzindustrie rund 36 Milliarden Euro – auch gestützt durch Importe aus dem Ausland. Aber auch, wenn in Deutschland der Wald über Jahrhunderte abgeholzt und industrialisiert wurde – es gibt ihn noch in der deutschen Waldlandschaft: den deutschen Urwald. Wer ihn finden will, fährt in den Bayerischen Wald, in den Harz oder nach Thüringen – muss aber suchen. Es sind weniger als ein Prozent.

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