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Ein Leben für Rom Gianlorenzo Bernini

Über alle Maßen begabt und von rasender Eifersucht auf Kollegen getrieben, steigt der Sohn eines Bildhauers binnen weniger Jahre zum beherrschenden Künstler der Ewigen Stadt auf. Wie kein anderer Meister seiner Zeit versteht sich Gianlorenzo Bernini auf das barocke Spiel der Überwältigung und erschafft im Auftrag mächtiger Würdenträger Plätze, Brunnenanlagen und Skulpturen von höchster Emotionalität

Noch sitzen die vier Flussgötter auf dem Trockenen. Als Männerakte personifiziert, aus Marmor gefertigt, rekeln sich Nil und Ganges, Río de la Plata und Donau auf einem Felsen inmitten der Piazza Navona in Rom - direkt vor dem Palast der Pamphili, der Familie des amtierenden Heiligen Vaters.

Das Ensemble soll, als Teil eines gewaltigen Brunnens, Papst Innozenz X. beeindrucken. Und den Ruf seines Schöpfers retten: des Bildhauers und Architekten Gianlorenzo Bernini, der lange Zeit Roms Kunstszene beherrscht hat. Gerüchte über den mangelhaft ausgeführten Bau eines Glockenturms von St. Peter aber haben an seinem Ruhm gezehrt, Innozenz X. bevorzugt inzwischen andere Künstler. Wie also wird der Kirchenfürst auf Berninis Arbeit reagieren? An einem Sommertag des Jahres 1651, so berichtet es Berninis Sohn später, besichtigt Innozenz X. die noch im Bau befindliche Brunnenanlage - und ist beeindruckt: ein mächtiger Fels, darauf die vier Flussgötter, einer von jedem damals bekannten Kontinent als Symbol der weltumspannenden Macht des Papsttums, überragt von einem 16 Meter hohen Obelisken, an dessen Spitze eine Taube mit Olivenzweig im Schnabel sitzt, das Wappentier der Pamphili.

Ein Leben für Rom: Gianlorenzo Bernini (1598-1680): Als Junge streift der Barockmeister Tag für Tag durch das römische Stadtgebiet, studiert die berühmte Antikensammlung im Vatikan. Jahrzehnte später ersinnt er für den Kirchenstaat ein grandioses Entrée: Er umgibt die Brachfläche vor dem Petersdom mit bogenförmigen Säulengängen, die jeden Pilger wie die Arme einer Mutter umfangen
Gianlorenzo Bernini (1598-1680): Als Junge streift der Barockmeister Tag für Tag durch das römische Stadtgebiet, studiert die berühmte Antikensammlung im Vatikan. Jahrzehnte später ersinnt er für den Kirchenstaat ein grandioses Entrée: Er umgibt die Brachfläche vor dem Petersdom mit bogenförmigen Säulengängen, die jeden Pilger wie die Arme einer Mutter umfangen
© Galleria degli Uffizi, Florenz/Interfoto

Wann denn das Wasser komme, fragt er Bernini schließlich. Das werde noch eine Weile dauern, antwortet der Künstler ausweichend. Der Papst wendet sich zum Gehen. Da gibt Bernini seinem Mitarbeiter ein Zeichen - und plötzlich erfüllt ein Rauschen den Platz: Wassermassen umspülen die Flussgötter, füllen den Brunnen, erwecken das Kunstwerk zum Leben. Bernini ist 52 Jahre alt, als er mit dieser Inszenierung um seine einst sicher geglaubte Karriere kämpft. Der Bildhauer, der bereits als Knabe dem damaligen Pontifex maximus als Wunderkind präsentiert wurde, muss sich nun beweisen wie jeder andere Künstler auch. Gut 45 Jahre zuvor ist der damals Siebenjährige mit seinem Vater Pietro und der gesamten Familie von Neapel nach Rom gezogen. Pietro, ebenfalls Bildhauer, will dort für Papst Paul V. arbeiten. Stolz stellt der Vater seinen Sohn, der schon früh künstlerisches Talent gezeigt hat, eines Tages am Hof des Heiligen Vaters vor. Ob er denn ein Gesicht zeichnen könne, fragt der Papst den Jungen. Was für ein Gesicht er sich denn wünsche, fragt der forsch zurück. Als Gianlorenzo auf die Bitte des Kirchenfürsten in schnellen, routinierten Strichen ein (natürlich fiktives) Porträt des Apostels Paulus zeichnet, sind der Papst und die Höflinge begeistert.

Ein Leben für Rom: Lorbeerzweige sprießen der Nymphe aus den Fingerkuppen, Blätter aus den Spitzen ihrer Haare: In einen Baum verwandelt, wird sie ihrem Verehrer entkommen. Das mythologische Drama um "Apollo und Daphne" haut Bernini um 1623 für einen Kardinal aus dem Stein
Lorbeerzweige sprießen der Nymphe aus den Fingerkuppen, Blätter aus den Spitzen ihrer Haare: In einen Baum verwandelt, wird sie ihrem Verehrer entkommen. Das mythologische Drama um "Apollo und Daphne" haut Bernini um 1623 für einen Kardinal aus dem Stein
© Galleria Borghese, Rom/Andrea Jemolo/akgimages

Der Junge wird in der väterlichen Werkstatt groß - und schnell übertreffen seine Zeichnungen und Skulpturen die Werke des Vaters. Er ist noch keine 25, da sorgen schon mehrere seiner Marmorarbeiten für Aufsehen. Die berühmteste dieser Skulpturen, die Bernini für den mächtigen Kardinal Scipione Borghese aus dem Stein haut, stellt Apollo und Daphne dar, die mythischen Helden einer Geschichte aus Ovids Metamorphosen: Fliehend vor ihrem göttlichen Verehrer, rettet sich die Nymphe Daphne, indem sie sich in einen Lorbeerbaum verwandelt. Bernini präsentiert die Szene auf einem ansteigenden Steinvorsprung, an dessen Spitze Daphne steht, dicht gefolgt von Apollo. Auf Erlösung hoffend, reckt die Nymphe ihre Arme in die Höhe, während Apollo sich nach ihr ausstreckt, um sie zu greifen. Meisterhaft fängt der Bildhauer den flüchtigen Moment der Verwandlung ein: Daphnes Zehen, die zu Wurzeln, ihre Beine, die zu Rinde, ihre Finger, die zu Zweigen werden. So hält Bernini das Vergängliche im harten Marmor fest: ein Kontrast, der Kunstkenner bis heute begeistert. 1623 gelangt Maffeo Barberini auf den Papstthron, ein Mann mit hochfliegenden Plänen: Als Urban VIII. will er Rom umgestalten und zu neuer Pracht führen - zum Ruhm seiner selbst und des Stuhls Petri. Im Europa der Reformation und der aufstrebenden Nationalstaaten ist der Vatikan längst keine überragende Macht mehr; umso wichtiger erscheint es Urban, das Papsttum als strahlenden Mittelpunkt der Christenheit zu inszenieren. Er bedient sich dafür eines neuen Kunststils, der in Formen und Farben schwelgt und prächtiger ist als alles je Dagewesene: des Barock.

Ein Leben für Rom: Mit dem "Vier-Ströme-Brunnen" vollendet Bernini 1651 ein Sinnbild des päpstlichen Machtanspruchs: Unter einem Obelisken mit dem Wappen des Heiligen Vaters arrangiert er Flussgötter als Allegorien der vier Erdteile (hier: Río de la Plata und Donau)
Mit dem "Vier-Ströme-Brunnen" vollendet Bernini 1651 ein Sinnbild des päpstlichen Machtanspruchs: Unter einem Obelisken mit dem Wappen des Heiligen Vaters arrangiert er Flussgötter als Allegorien der vier Erdteile (hier: Río de la Plata und Donau)
© Piazza Navona, Rom/Art Archive/images.de

Der Künstler seiner Wahl ist Gianlorenzo Bernini, denn der hat mit seinen Arbeiten für die Villa des Kardinals Borghese bewiesen, dass er die bewegte, spannungsreiche Formensprache des Barock in Vollendung beherrscht. Der junge Meister wird zum Leiter der Baumaßnahmen am Petersdom ernannt - und steigt während des 21-jährigen Pontifikats Urbans zum beherrschenden Künstler Roms auf. Um 1625 unterbreitet der Bildhauer dem Papst einen Vorschlag, wie die Vierung im Petersdom, also der Kreuzpunkt von Haupt und Querschiff in der bedeutendsten Kirche der Christenheit, angemessen zu gestalten sei. Denn seit Jahrzehnten ist ungeklärt, wie der gigantische Raum unter der um 1550 von Michelangelo Buonarroti erdachten Kuppel am besten wirken könnte. Bernini legt zwei Altäre zu einem neuen Hochaltar zusammen, den er mit einem gewaltigen, 28 Meter hohen Bronzebaldachin bekrönt und so zum Zentrum der Kirche macht. Gegossen aus der eingeschmolzenen Deckenverkleidung des heidnischen Pantheon und aus je fünf Teilen zusammengesetzt, bilden die vier hohen, verdrehten Säulen einen spielerischen Kontrast zu den von Michelangelo ersonnenen, gradlinigen Marmorpfeilern der Vierung in der klaren Formensprache der Renaissance.

Lorbeerzweige ranken sich an den Bronzestützen empor, auf den Säulen sitzen Fliegen, Eidechsen und die Wappentiere der Barberini, Bienen. Und über allem strahlt, als Symbol der allumfassenden Herrschaft Christi, eine Weltkugel mit Kreuz. Für die gewaltigen Pfeiler der Vierung plant der Künstler Nischen, in denen vier kolossale, jeweils fünf Meter hohe Statuen aufgestellt werden sollen. Doch nur eine der Heiligenskulpturen kann Bernini selbst fertigen; für die anderen werden - sehr zu seinem Missfallen - Kollegen beauftragt, damit sich die Arbeiten nicht zu sehr in die Länge ziehen. Der Meister schlägt den römischen Zenturio Longinus aus dem Stein, der dem hingeschiedenen Jesus angeblich mit der Lanze in die Seite stach und das wahre Wesen Christi offenbarte. Bernini schafft die Figur nicht aus einem Stück, sondern fügt sie, weil er so leichter arbeiten kann, aus vier Marmorblöcken zusammen - eine Vorgehensweise, die in der Renaissance verpönt war, als es als einzig wahre Kunst galt, eine Skulptur aus nur einem Stein zu schlagen. Doch Bernini kümmert das alte Dogma nicht. Er zeigt Longinus im Moment leidenschaftlicher Verzweiflung, den Kopf nach hinten geworfen, die Augen gen Himmel gerichtet, die Arme in einer pathetischen Geste ausgebreitet: "Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen."

Unter seiner Aufsicht füllen sich bis in die 1640er Jahre auch die anderen Pfeiler der Vierung mit Skulpturen - trotz mancher Schikanen: Der Bildhauer Francesco Mochi, der die heilige Veronika erschafft, erhält seine Marmorblöcke erst mit acht Monaten Verspätung. Und das Gipsmodell für die Skulptur des heiligen Andreas, die der Flame François Duquesnoy herstellen soll, wird angeblich bei einem Unfall zerstört, doch schnell werden Gerüchte laut, Bernini habe die Transporteure bestochen, um seinem Konkurrenten zu schaden. Mag der Meister die Statuen in der Vierung auch nicht alle selbst geschaffen haben: Die Figuren mit der massigen Wucht der Vierungspfeiler zu kontrastieren und zum architektonischen Rahmen des Baldachins zu machen, ist Berninis Idee - so wie auch bei anderen seiner Arbeiten Architektur und Bildhauerei verschmelzen.

Als Urban VIII. 1644 stirbt, spürt Bernini die Konsequenz seiner Kunsttyrannei: Der neue Papst Innozenz X. lässt ihn fallen; er fördert nun die Konkurrenten des Meisters. Vorwürfe kommen auf, einer der Glockentürme des Petersdoms, die Bernini im Auftrag Urbans VIII. errichtet hat, sei fehlerhaft konstruiert und verursache Risse im Mittelschiff. Innozenz X. befiehlt den Abriss des Turmes, denkt darüber nach, Bernini die entstandenen Kosten anzulasten. Der Bildhauer erhält keinen öffentlichen Auftrag mehr - bis er sich 1648 in die Planungen für eine Brunnenanlage auf der Piazza Navona einmischt: Dank alter Kontakte in der Aristokratie gelingt es ihm, im Vatikan ein von ihm entworfenes Modell zu platzieren. Der Entwurf sagt Innozenz X. auf Anhieb zu: Bernini, der als Zeichen der päpstlichen Herrschaft eine mächtige Steinnadel auf dem Platz errichten will, erhält den Zuschlag.

Ein Leben für Rom: 1665 verlässt Bernini für ein halbes Jahr Rom, um für den französischen König zu arbeiten. Bis in die Haarspitzen stilisiert, von einem aufgewirbelten Gewand der Welt gleichsam enthoben, stellt er "Ludwig XIV." als Inbegriff absoluter Macht dar
1665 verlässt Bernini für ein halbes Jahr Rom, um für den französischen König zu arbeiten. Bis in die Haarspitzen stilisiert, von einem aufgewirbelten Gewand der Welt gleichsam enthoben, stellt er "Ludwig XIV." als Inbegriff absoluter Macht dar
© Musée du Château de Versailles/Dagli Orti/Art Archive

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GEO EPOCHE EDITION Nr. 11 - 04/2015 - Italien und seine Meisterwerke

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