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von GEO EPOCHE

Religion Was die Forschung über Jesus weiß – und was nicht

Ein Schäfer ziert ein römisches Gewölbe. Der "Gute Hirte", der seine Lämmer schützt und führt, erinnert an Jesus Christus
Ein Schäfer ziert ein römisches Gewölbe. Der "Gute Hirte", der seine Lämmer schützt und führt, erinnert an Jesus Christus
© André Held / akg-images / picture alliance
Aus unzähligen kleineren und größeren Versatzstücken fügen Forschende das Lebensbild Jesu zusammen – denn eigene Schriften des Predigers sind nicht überliefert. Archäologisch gesehen bleibt der "Messias" ein Phantom 

Markus, Matthäus, Lukas und Johannes sind, gemessen an der Auflage ihrer Bücher, die erfolgreichsten Autoren der Geschichte – nur weiß leider niemand, wer sie wirklich waren. Und so sind ihre Evangelien (die gemeinsam fast die Hälfte des Neuen Testaments bilden) die zwar wichtigsten Quellen über den Nazarener, doch sind sie durchaus problematisch.

Jesus selbst hat keinen Text hinterlassen. Auch seine Weggefährten haben nur weitererzählt, was ihnen bedeutsam erschien. Erst irgendwann zwischen den Jahren 40 und 50 n. Chr. schreiben unbekannte Christen die derart überlieferten Sprüche und Gleichnisse auf – so haben Philologen und Theologen es rekonstruiert. Diese "Logienquelle" genannte Ursammlung aber ist verschollen.

Um das Jahr 70 n. Chr. nutzt Markus, der Legende nach ein Jude aus Jerusalem, mündlich überlieferte Berichte als Quelle, um die "frohe Botschaft" (griechisch euangelion) festzuhalten. Mat­thäus (angeblich ein Zöllner) und Lukas (vielleicht ein Grieche aus Antiochia) verfassen, wohl unabhängig voneinander, aus dem Markus-Evangelium sowie der Logienquelle und jeweils eigenem Material in den Jahren zwischen 75 und 100 n. Chr. ihre Werke. Diese drei "synoptischen" Evangelien sind also eng verwandt, da sie zu einem erheblichen Teil aus den gleichen Quellen schöpfen.

Das ebenfalls erst um das Jahr 100 verfasste "Evangelium nach Johannes" beruht dagegen wohl auf anderen, derzeit noch unbekannten Traditionen. Es überliefert weniger biografische Details als die anderen Evangelien und bezieht sich angeblich auf einen der zwölf Apostel: Johannes, den Lieblingsjünger Jesu.

Heute sind rund 5000 antike Abschriften und Fragmente des Neuen Testaments erhalten; die älteste ist ein um das Jahr 125 n. Chr. verfasster ägyptischer Papyrus mit einem Teil des Johannes-Evange­liums. Alle Evangelien sind in Griechisch verfasst, der schriftlichen Weltsprache jener Zeit, und daher Übersetzungen, denn Jesus sprach nur Aramäisch, eine uralte semitische Sprache.

Über das Leben von Jesus erfährt man fast nichts

Neben dem Neuen Testament – das die vier Evangelien enthält sowie unter anderem die Apostelgeschichte des ­Lukas, die Apostelbriefe und die Apokalypse des Johannes über das Ende der Welt (siehe Seite 49) – sind nur wenige an­dere frühchristliche Zeugnisse ­erhalten geblieben. So kennen ­Wissenschaftler etwa ein "Evangelium nach Thomas" und ein "Petrus-Evangelium" (in dem angeblich Petrus als Ich-Erzähler ­berichtet). Dies sind allesamt antike Texte, die zum Teil andere und radikalere Worte Jesu enthalten. Doch über das Leben Jesu erfährt man dort fast nichts, biografische Angaben sind den Verfassern dieser nahezu vergessenen Evangelien offenbar nie wichtig gewesen.

Kein einziger zeitgenössischer nicht christlicher Chronist berichtet von Jesus, doch immerhin erwähnen ihn drei namhafte Autoren, die nicht lange nach seinem Tod geboren wurden:

  • Der römische Anwalt, Beamte und Kaiserbiograf Gaius Suetonius Tranquillus (etwa 70–130) hält in einer Schrift fest, dass Kaiser Claudius, wohl im Jahr 49, "die Juden, die, von Chrestus auf­gehetzt, fortwährend Unruhe stifteten", aus Rom verwiesen hat.
  • Publius Cornelius Tacitus, Senator, Beamter und Geschichtsschreiber (etwa 55–116), beschreibt den Brand Roms unter Nero im Jahr 64, für den viele Römer, wie auch der Kaiser, die Christen verantwortlich machen (zu Unrecht). Einen "unheilvollen Aberglauben" nennt Tacitus deren Lehre und erwähnt, dass "Christus unter Tiberius vom Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden war".
  • Flavius Josephus, ein um das Jahr 37 geborener Jude aus reicher Jerusalemer Familie, berichtet um 93 in seinem Werk "Jüdische Altertümer", in dem er die Geschichte seines Volkes darstellt, dass im Jahr 62 der Hohepriester den Jakobus steinigen ließ, den "Bruder Jesu, der Christus genannt wird".

An einer anderen Stelle im gleichen Buch lobt Josephus den am Kreuz Gestorbenen als den "Vollbringer ganz unglaublicher Taten und Lehrer aller Menschen. Er wurde der Christus genannt. Und obgleich ihn Pilatus auf Betreiben der Vornehmsten unseres Volkes zum Kreuzestod verurteilte, wurden doch seine früheren Anhänger ihm nicht untreu." Die Passage ist allerdings hoch umstritten: Gut möglich, dass Christen diese Sätze erst später in das Manuskript geschrieben haben.

Auch Bildwerke dienen dazu, die frühchristliche Geschichte zu rekonstruieren. In Katakomben in Rom, in denen Gläubige zusammenkommen, prangen Fresken mit religiösen Motiven, wie diese Darstellung einer betenden Frau
Auch Bildwerke dienen dazu, die frühchristliche Geschichte zu rekonstruieren. In Katakomben in Rom, in denen Gläubige zusammenkommen, prangen Fresken mit religiösen Motiven, wie diese Darstellung einer betenden Frau
© Max Rossi / REUTERS

Die Grabungen von Archäologen (und die daraus folgenden Erkenntnisse) erhellen die Welt, in der sich Jesus sowie seine Anhänger und Feinde bewegten: Wie sahen die Häuser aus, in denen sie wohnten? Auf welchen Straßen gingen sie, was aßen sie, in welchen Booten fuhren Fischer auf den See Genezareth?

Sogar über Kreuzigungen haben Forscher grausige Details geborgen: In Jerusalem ist 1968 ein Grab aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. mit den Gebeinen eines jungen Mannes entdeckt worden, der derart hingerichtet worden war.

Der (krumm gehauene) Eisennagel, mit dem das Fersenbein des Unglücklichen an den Balken geheftet worden war, steckte noch im Knochen.

Von Na­za­reth bis Golgatha: vieles bleibt Spekulation

In der Küstenstadt Caesarea ist eine lateinische Inschrift mit dem Namen und Titel des Pontius Pilatus aufgetaucht, die einstmals ein Bauwerk schmückte. Und in Jerusalem ist im Jahr 1990 höchstwahrscheinlich sogar das Familiengrab des Hohepriesters Kajaphas lokalisiert ­worden.

Nur Jesus selbst bleibt archäologisch gesehen ein Phantom.

Ob es um seinen Heimatort Na­za­reth geht oder um den Gasthof in ­Bethanien, wo er das letzte Abendmahl einnahm, ob es der Ort der Kreuzigung zu Golgatha ist oder das Felsengrab in dessen Nähe: Stets vermögen Wissenschaftler nur mehr oder weniger präzise Vermutungen über diese Lokalitäten anzustellen. Doch nirgend­wo könnte ein seriöser Forscher auf eine bestimmte Stelle deuten und mit Sicherheit sagen, dort und genau dort habe sich diese oder jene Episode der Evangelien zugetragen.

Am ehesten wagen Gelehrte diese Spekulation noch in Kapernaum, einer Stadt am Saum des Sees Genezareth.

Dort liegen die ­Ruinen eines größeren Gebäudes frei, dessen Grundriss auf die Verwendung als Hauskirche hinweist und das, so die Vermutung der Forscher, einst Petrus gehört hat.

In den Putz der Mauern haben Besucher bereits in der Antike zahlreiche Graffiti geritzt, die teilweise bis heute erhalten, allerdings nur schwer zu entziffern sind.

Offenbar handelt es sich um die Zeugnisse früher christlicher Pilger, die glaubten, vor dem Haus Petri zu stehen, in dem sich einst auch Jesus selbst aufgehalten habe.

Gut möglich, dass die Gläubigen – die in einer Epoche lebten, in der die Kreuzigung erst einige Jahrzehnte zurücklag – noch genau wussten, wo Christus gewirkt hat. Und dass sie uns Heutigen durch ihre Kritzeleien einen der wenigen Hinweise auf die Existenz Jesu gegeben haben.

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