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Psychologie Warum Angst so ansteckend ist

Zwei Jungen halten sich die Augen zu, während sie fernsehen
Was uns ängstigt, hängt davon ab, wie die anderen reagieren 
© Rich Vintage / Getty Images
Achtung ansteckend! Wovor wir Angst haben, schauen wir uns bei unseren Mitmenschen ab. Was dahintersteckt, erklärt der Neurobiologe Henning Beck

"Welches ist der widerstandsfähigste Parasit? Ein Bakterium? Ein Virus? Ein Darmwurm? – Ein Gedanke! Resistent, hochansteckend. Wenn ein Gedanke einen Verstand erst mal infiziert hat, ist es fast unmöglich, ihn wieder zu entfernen." Das sage nicht ich, sondern das sagt Leonardo DiCaprio in seiner Rolle im Film "Inception". Und obwohl er außer Verdacht steht, ein neurowissenschaftlicher Experte zu sein, hat der Mann recht. Denn weitaus infektiöser als jede Krankheit ist der bloße Gedanke daran – Angst erzeugt Angst. Und zwar nicht nur in der Wirklichkeit, sondern auch online.

Das wurde vor im Herbst 2014 weltweit messbar. Damals kam es zum Ausbruch des Ebolafiebers in Westafrika. Weitaus schneller als das eigentliche Virus verbreitete sich die Angst vor der Krankheit auf Twitter. Offenbar gilt in sozialen Netzwerken: Geteilte Furcht ist doppelte Furcht – und die verbreitet sich dann auch doppelt so schnell.

Angst ist ein uraltes Verhaltensmuster, tief verankert in unseren neuronalen Schaltkreisen. So vollziehen Menschen kulturunabhängig die gleiche Schreckreaktion, ganz egal, wovor sie sich genau ängstigen. Man mag sich vor Spinnen oder engen Räumen fürchten, doch die körperlichen Reaktionen (Freisetzung von Stresshormonen, Beschleunigung des Herzschlags, Aufreißen der Augen) sind universell und werden von der Amygdala im limbischen System des Gehirns gesteuert. Doch wovor wir Angst haben, schauen wir uns bei unseren Mitmenschen ab.

Was uns ängstigt, hängt davon ab, wie andere reagieren

Wie das genau erfolgt, konnte man nun im Experiment bestimmen: Dabei schauten Probanden einer Person zu, während diese wiederum Gesichter von anderen Personen auf einem Bildschirm betrachtete. Bei bestimmten Gesichtern erhielt die beobachtete Person einen leichten Stromschlag, sodass sie im Laufe des Versuchs Angstgefühle vor jenen Stromschlag-Gesichtern entwickelte.

Daraufhin empfanden die eigentlichen Testpersonen auch ein Angstgefühl vor den Stromschlag-Gesichtern, obwohl sie überhaupt keinen Stromschlag bekamen. Es reichte schon, zu sehen, wie jemand anderem Angst eingetrichtert wurde, um selbst Angst zu entwickeln. Wenn die Probanden jedoch sahen, wie die Testperson zunächst alle Gesichter betrachtete, ohne einen einzigen Stromschlag zu erhalten, entwickelten sie auch später keine Angst vor irgendeinem Gesicht.

Merke: Was uns ängstigt, hängt davon ab, wie die anderen reagieren. Mit diesem Wissen ausgestattet, kann man der emotionalen Ansteckung ein Schnippchen schlagen. Haben Sie keine Angst vor der Angst, sondern lachen Sie dem Unangenehmen ins Gesicht. Denn eine positive Einstellung ist noch ansteckender als eine negative. Auch das kam heraus, als man Twitter-Nachrichten des Jahres 2015 analysierte: Fröhliche Botschaften verbreiten sich online am schnellsten. Das nennt man dann zwar auch "viral", ist aber allemal gesünder als jedes echte Virus.

Literatur: Golkar, A. & Olsson, A. (2016): Immunization against social fear learning. J Exp Psychol Gen, 145(6): 665–71

GEO Nr. 09/2016 - Spricht mit mir!

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