Für ihre grundlegenden Arbeiten zu mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19 erhalten in diesem Jahr die in Ungarn geborene Forscherin Katalin Karikó und der US-Amerikaner Drew Weissman den Nobelpreis für Medizin. Das teilte das Karolinska-Institut am Montag in Stockholm mit. "Durch ihre bahnbrechenden Resultate, die unser Verständnis davon, wie mRNA mit dem menschlichen Immunsystem interagiert, grundlegend verändert haben, trugen die Preisträger zu dem beispiellosen Tempo der Impfstoffentwicklung während einer der größten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit in moderner Zeit bei", hieß es vom Nobelkomitee.
Die beeindruckende Flexibilität und Geschwindigkeit, mit der mRNA-Impfstoffe entwickelt werden könnten, ebne den Weg für die Nutzung der neuen Plattform auch für Impfstoffe gegen andere Infektionskrankheiten. "In Zukunft könnte die Technologie auch zur Verabreichung therapeutischer Proteine und zur Behandlung bestimmter Krebsarten eingesetzt werden."
"Mehrere andere Impfstoffe gegen Sars-CoV-2, die auf unterschiedlichen Methoden basieren, wurden ebenfalls rasch eingeführt, und insgesamt wurden weltweit mehr als 13 Milliarden Covid-19-Impfdosen verabreicht", so das Komitee. "Die Impfstoffe haben Millionen von Menschen das Leben gerettet und bei vielen weiteren schwere Erkrankungen verhindert, sodass sich die Gesellschaften öffnen und zu normalen Bedingungen zurückkehren konnten."
Katalin Karikó, 1955 in Ungarn geboren, arbeitet derzeit an den Universitäten Pennsylvania und Szeged (Ungarn). Von 2013 bis 2022 war sie für die deutsche Biotech-Firma Biontech tätig, deren mRNA-Impfstoff während der Corona-Pandemie Millionen Menschen erhielten. Drew Weissman (64) ist Professor an der Universität Pennsylvania in den USA. Gemeinsam erhalten sie ein Preisgeld von 11 Millionen schwedischen Kronen (950 000 Euro).
RNA-Impfstoffe: Der Körper als Bioreaktor
Impfstoffe trainieren das Immunsystem darauf, einen Erreger im Fall einer Infektion schnell zu erkennen und zu bekämpfen. Das geschieht beispielsweise, indem eine abgetötete oder abgeschwächte Version des Erregers verabreicht wird. In manchen Fällen wird die Körperabwehr auch nur mit markanten Bruchstücken des Keims, etwa bestimmten Oberflächen-Eiweißen, konfrontiert.
RNA-Impfstoffe dagegen regen die Körperzellen des Empfängers an, die Eiweiße des Krankheitserregers selbst herzustellen. Sie liefern eine Bauanleitung, die in den Proteinfabriken der Zelle ausgelesen und umgesetzt wird - ganz so, wie es mit Aufträgen für zelleigene Eiweiße geschieht. Anhand der selbst gefertigten Virus-Proteine lernt das Immunsystem, den Feind zu identifizieren. Der Vorteil von mRNA ist: Im Gegensatz zu anderen Impfstoffen muss sie nicht aufwendig in Bioreaktoren gezüchtet werden, sondern lässt sich in großen Mengen künstlich herstellen. Außerdem ist sie leicht anzupassen, sollte der Erreger mutieren.
Als Karikó und Weissman sich in den 1990er-Jahren an der University of Pennsylvnia kennenlernten (nach eigenen Angaben am Kopierer), war das Potential von mRNA als Impfstoff-Plattform bereits ersichtlich. Die Gemeinde der Forschenden hatte Wege gefunden, um die Biomoleküle außerhalb lebender Zellen herzustellen, und Lipidhüllen entwickelt, um die fertige mRNA unbeschadet ins Zellinnere zu bringen. Doch es gab zwei ernste Probleme: Die Menge an Proteinen, die Zellen anhand der eingeschleusten Anleitung herstellten, war zu gering. Und der Körper reagierte auf die im Reagenzglas gefertigte mRNA, indem er Entzündungssignale aussandte. Karikó und Weissman fanden den Grund dafür - und die Lösung.
Dazu muss man wissen: Auch unsere Zellen stellen unentwegt mRNA her. Die Moleküle sind Abschriften einzelner Erbgutabschnitte. Sie bringen Bauanleitungen für Eiweiße aus dem Zellkern zu den Proteinfabriken im Zytoplasma. Genau wie DNA bestehen sie aus vier Basen, die den vier Buchstaben unseres genetischen Codes entsprechen (allerdings enthalten sie Uracil, kurz U, anstelle von Thymin, kurz T). Im menschlichen Körper liegen sie meist nicht in "Reinform" vor, sondern sind chemisch modifiziert.
Ein chemischer Kniff bringt die Lösung
Karikó und Weissman erkannten, dass diese fehlende Modifizierung der künstlichen mRNA die Entzündungsreaktion auslöste. Arbeiteten sie bei der Synthese direkt mit chemisch veränderten Bausteinen, blieb die Abwehr der Zellen aus. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Jahr 2005 - fünfzehn Jahre vor Beginn der Corona-Pandemie. Im Folgenden zeigten sie, dass die chemische Veränderung der Basen auch die Menge an Eiweißen erhöhte, die unsere Zellen nach Anleitung des Impfstoffs herstellen. In heutigen Impfstoffen ist der Einsatz der RNA-Bausteine in ihrer chemisch abgewandelten Form Standard.
Die Basis für die Herstellung sicherer und effektiver mRNA-Impfstoffe war damit gelegt. Während der Corona-Pandemie hat sich die Technologie bereits im Kampf gegen Infektionskrankheiten bewährt. Auch gegen Krebs soll sie künftig helfen: Die mRNA dient den Zellen der Immunabwehr als Fahndungsfoto, damit sie Tumorzellen anhand charakteristischer Eiweiße erkennen und zerstören.
Mit dem Medizin-Preis startete der Nobelpreis-Reigen. Am Dienstag und Mittwoch werden die Träger des Physik- und des Chemie-Preises benannt. Es folgen die für Literatur und für Frieden. Die Reihe der Bekanntgaben endet am kommenden Montag mit dem von der schwedischen Reichsbank gestifteten sogenannten Wirtschafts-Nobelpreis.
mit dpa