Unter Psychologen gibt es einen prägnanten Witz: Ein Patient berichtet ausufernd von seinen Symptomen, die ihm unerklärlich erscheinen, die er aber nicht ablegen kann. Der Behandler legt die Stirn in Falten, denkt eine Weile schweigend nach und fragt dann bedeutungsschwanger: "Sagen Sie, haben Sie zufällig Eltern, ja?"
Jahrzehnte schien das Ziel von Psychotherapien darin zu bestehen, die Ursachen seelischer Leiden in der Kindheit von Patienten aufzuspüren. Schuld für Blockaden und Hindernisse waren im Zweifel Mutter und Vater, die sich einst lieblos verhalten hatten, die das Kind bloßgestellt hatten, die es in entscheidenden Situationen beschämt und nicht unterstützt hatten. Mit Einsicht in die Ursachen sollten sich die Symptome endlich abstreifen lassen, in Luft auflösen. Oft allerdings mit eher mäßigem Erfolg.
Einige Patienten blieben regelrecht an der Klippe ihrer Kindheit hängen, noch im reifen Erwachsenenalter wiederholten sie ihre Therapieeinsichten und blieben fixiert auf ihren Ärger: Weil die Eltern damals den vergessenen Turnbeutel nicht zur Schule gebracht hatten (und sie beschämt im Unterhemd turnen mussten), konnten sie gewisse Hürden von Scham später nicht überwinden. Indem sie immer wieder ihren alten Schmerz in Therapien umkreisten und durchlebten, vergrößerten sich Traurigkeit und Depressivität.
Festhängen am inneren Kind
Dieser Psychotherapietrend früherer Jahrzehnte läuft inzwischen keineswegs besser. Ein populäres Konzept der Bestseller-Autorin Stefanie Stahl legt etwa mit großem Zuspruch die "Innere-Kind-Heilung" nahe. Nach dieser Metapher sollen unterversorgte kindliche Anteile nachbeeltert und getröstet werden. Eigentlich eine gute Idee. Doch einige Menschen, so der Eindruck des Trierer Psychotherapieforschers Prof. Wolfgang Lutz, bleiben dadurch eher in einer Opferperspektive gegenüber ihrer Kindheit gefangen und leben zu stark vergangenheitsorientiert, statt ihre Probleme in der Gegenwart zu lösen. Eine gefährliche Sackgasse.