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Schlafforscher "Uns droht ein Schlaflosigkeitstsunami" – wie die Pandemie unseren Schlaf verändert

Frau liegt im Bett und kann nicht schlafen
Einige Menschen schlafen in der Corona-Krise schlechter
© Photoroyalty/Shutterstock
Einige Menschen haben in der Krise Schlafstörungen entwickelt. Es gibt aber auch eine Gruppe, die durch die Umstände in der Pandemie mehr und näher an ihrem natürlichen Rhythmus schläft. Doch eine Entwicklung könnte nach der Krise zu mehr Schlaflosigkeit führen

Jeder zehnte Deutsche schläft in der Pandemie schlechter – zu diesem Schluss kommt eine Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse. Auch erste Studienergebnisse deuten auf einen Anstieg der Schlafstörungen in der Corona-Krise hin. Doch wie sich die Pandemie auf den Schlaf auswirke, habe viele Facetten und sei komplex, sagt Schlafforscher und Buchautor Dr. Christian Benedict von der Universität in Uppsala.

Aus bisherigen Studien lassen sich laut dem Schlafforscher zwei wesentliche Veränderungen auf den Schlaf in der  Pandemie erkennen: auf der einen Seite die Zunahme von Schlafstörungen und auf der anderen Seite stabilere Zubettgehzeiten und eine Anpassung an den natürlichen Schlafrhythmus.

Ängste und Stress sorgen für mehr Schlafprobleme

Christian Benedict hat zusammen mit internationalen Kollegen in einer bisher unveröffentlichten Kohorten-Studie das Schlafverhalten Bewohner zahlreicher Länder inklusive Europas in der Pandemie untersucht. Dort hat sich gezeigt, dass gesundheitliche und finanzielle Sorgen in der Krise sich stark auf den Schlaf auswirken. Heißt: Menschen, die in der Krise Angst um ihre Gesundheit haben oder viel über finanzielle Probleme grübeln, schlafen schlechter. Der Lockdown habe auch einen Einfluss auf das Schlafverhalten, mutmasst der Schlafforscher.

Christian Benedict mit einem Kissen
Christian Benedict ist Neurowissenschaftler und erklärt in seinem Buch "Schlaf ist die beste Medizin", warum guter Schlaf so wichtig ist
© Stefan Tell

„Gehört jemand durch sein Übergewicht zur Risikogruppe und liest tagtäglich, dass er an der Beatmung auf der Intensivstation oder gar im Grab landen wird, wenn er sich mit dem Coronavirus infiziert, steigert dies die Sorgen und führt zu Stress. Das kann sich negativ auf den Schlaf auswirken“ so Benedict.

Bewegungsmangel wirkt sich negativ auf die Nachtruhe aus

„Aber auch der Mangel an Tageslicht und unzureichende Bewegung – bedingt durch die Arbeit im Homeoffice–  können zu Schlafproblemen und flacherem Schlaf führen.“ Wie sich die Pandemie auf die Schlafarchitektur und Schlaftiefe auswirkt, sei noch in keiner groß angelegten Studie untersucht worden. Zu diesem Punkt brauche es noch wissenschaftliche Erkenntnisse, sagt der Schlafforscher.

„Klinisch relevant werden Schlafstörungen, wenn man mindestens dreimal pro Woche über einen Zeitraum von drei Monaten Schlafprobleme hat. In Kombination mit Tagesmüdigkeit oder Konzentrationsproblemen.“ Wer unter solchen Schlafstörungen leidet, sollte sich Hilfe bei einem Arzt suchen. Eine erste digitale Hilfe biete die kostenlose englischsprachige Webseite „Sleepio“ mit einer kognitiven Verhaltenstherapie für Schlafprobleme.

Flexibilität sorgt für längeren Schlaf

Für bestimmte Gruppen, zum Beispiel Schüler im Distanz-Unterricht oder Arbeitnehmer im Homeoffice, sei die Flexibilität gestiegen. Durch den Wegfall des Arbeits- oder Schulwegs können sie oft später aufstehen. Nach ersten Studienergebnissen geht man davon aus, dass diese Flexibilität dazu führe, dass sich die Menschen später schlafen legen und später aufstehen, sagt Benedict. Eine Schweizer-Studie hat für Deutschland, Österreich und die Schweiz die Auswirkungen der Corona-Krise auf das Schlafverhalten untersucht. Das Ergebnis: Im Vergleich zu vor der Pandemie legen sich die Menschen später ins Bett. „Der Unterschied, wann die Leute ins Bett gehen, ist geringer geworden zwischen Wochen- und Wochenendtagen“, berichtet Benedict.

Das sei ein positiver Effekt: „Menschen mit irregulären Schlafzeiten, die manchmal um 22 Uhr und dann wieder um 1 Uhr ins Bett gehen, haben ein höheres Risiko für die Entstehung von Krankheiten – zum Beispiel Diabetes.“ Eine weitere Erkenntnis: Laut der Schweizer-Studie schliefen die Menschen im Schnitt 13 Minuten länger.

Abnahme der Qualität mindert die positiven Effekte

Die Studienergebnisse zu einem längeren Schlaf würden sehr positiv ausgelegt. Die höhere Flexibilität in der Krise, helfe den Menschen dabei näher an ihrem natürlichen Schlafrhythmus zu sein und sie würden länger schlafen. "Man sollte den Effekt, dass die Menschen später ins Bett können und länger schlafen können, nicht überschätzen. Der längere Schlaf kann seine positiven Seiten gar nicht richtig entfalten, weil wir uns durch die Situation alle Sorgen machen, uns nach sozialen Kontakten sehnen und in einer negativeren Grundstimmung sind."

Die Studie aus der Schweiz zum Beispiel zeige eine leichte Abnahme der Schlafqualität. Außerdem könne es auch sein, dass das veränderte Verhalten der Menschen, zum Beispiel durch längeres Fernsehen oder die vermehrte Zeit am Laptop, dafür sorge, dass sie später schlafen gehen. "Das blaue Licht von Smartphone- oder Laptopbildschirmen, macht uns weniger schnell müde und kann den Takt unserer inneren Uhr nach hinten verschieben", sagt Benedict.

"Schlaflosigkeitstsunami" nach der Corona-Krise

"Doch wie wird es nach der Pandemie aussehen? Viele Arbeitnehmer werden wieder in die Büros zurückkehren müssen und Schülerinnen und Schüler wieder zum frühen Schulbeginn täglich in den Klassenzimmern sein." Sie seien dann gezwungen, ihr über ein Jahr hinweg erlerntes spätes Zubettgehen, wieder vorzuverlegen. "Ich sehe uns vor einem großen Schlaflosigkeitstsunami, wenn wir nach der Pandemie wieder alle in den geregelten, frühen Alltag zurückkehren", mahnt Benedict.

Ob Schlafstörungen, die in der Pandemie entwickelt wurden, sich chronifizieren, lasse sich nicht sagen. "Schaue ich nur die Perspektive des externen Stresses an – ich muss mir keine Sorgen mehr um Geld oder meine Gesundheit machen – wird deren Wegfall dazu führen, dass ich nach der Pandemie wieder besser schlafe", sagt Benedict. Doch für viele Menschen habe sich die Lebenssituation durch die Corona-Krise nachträglich verändert, was sich noch nach der Pandemie auswirken könne.

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